Ich wage mal zu behaupten, herausgefunden zu haben, dass geschlechtsneutrale Sprache wichtig ist und dass ich mich darum bemühen will. Was also nun?
Leider sind viele Kommentatoren noch anderer Meinung, einer hält die Diskussion gar für den Tiefpunkt der Scienceblogs. Aber andererseits sehe ich an der Leseranzahl, an den flattrs, an den Retweets, dass viele das für eine gute und wichtige Diskussion halten. Oder wenigstens anerkennen dass ich darüber schreibe. Aber das ist auch egal, ich schreibe eh über das, was mich interessiert.
Viele werden auch nicht müde zu betonen dass sie immer gegen Sexismus vorgehen, was ich auch durchaus glaube, aber trotzdem gewaltige Anstrengungen unternehmen, geschlechtsneutrale Sprache als irrelevant, unpraktisch, historisch/etymolgoisch unsinnig oder sonstwie einzustufen oder die Bemühungen darum gar als hinderlich für den Wahren Feminismus™ abzulehnen. Leider oft auch mit dem Strohmann, dass wir geschlechtsneutrale Sprache als Wunderwaffe im Kampf gegen den Sexismus verkaufen. Behauptet hat das niemand. Und überhaupt, es gibt keinen Kampf gegen Sexismus. Es geht um ein kleines (!) Teil in der Lösung eines komplexen Problems. Und dass es ein Problem gibt brauche ich wohl nicht mehr auszuführen. Frauen und Männer sind gleich gut in Mathe, wie eine gewaltige Meta-Studie ergeben hat – und doch ließen die Frauenquoten in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern etwas anderes vermuten.
Ich sehe das anders rum – wenn eine solche kleine Maßnahme, die nur etwas Bemühen braucht, schon so viel Widerstand erzeugt, was ist dann erst mit anderen, vielleicht schwieriger erkennbaren oder behebbaren Problemen?
Nein, die Gegenwehr erinnert mich irgendwie an Gaston. Kennt ihr Gaston? Das ist ein Comic, rund um den Laufburschen Gaston in einer französischen Redaktion )bei Fantasio aus Spirou&Fantasio), und mein absoluter Lieblingscomic. Gaston ist sehr faul, verspielt und ein wenig trottelig. Es gibt eine Episode, in der er sich vor der Arbeit drückt. Er versteckt sich eingerollt unterm Tisch, auf dem Schrank, usw. Im letzten Bild steht er dann vor Fantasios Tisch und fragt freiwillig nach Arbeit – Verstecken sei einfach zu anstrengend.
Hier ist mein Ausgangspunkt, warum ich geschlechtsneutrale Sprache verwenden will: Wenn Frauen sich dafür aussprechen weil sie sich schlecht fühlen im aktuellen Sprachgebrauch, dann hab ich als Privilegierter erst mal die Klappe zu halten, zuzuhören und (in vernünftigem Ausmaß) für Abhilfe zu schaffen – hauptsächlich erstmal indem ich zeige dass ich das Problem erkannt habe. Das Problem ist nämlich, dass ich einen schiefe Wahrnehmung habe. Ich und alle. Ich zucke zusammen wenn ich sehe dass ich auf Martins Experiment voll reingefallen bin. Ich zucke zusammen, wenn ich “Prof.” lese und erst zwei Sekunden später erkenne dass es eine Frau ist, und ich wie selbstverständlich mit einem Mann gerechnet habe. Also macht es bereits ausreichend Sinn, eine geschlechtsneutrale Sprache einzusetzen. Diese Vorurteile bekommt man nicht einfach so raus aus Köpfen und Kulturen, aber man kann sie eingestehen, markieren und so weit möglich ausbalancieren. Bei Sprache ist das etwas schwierig, da sie nicht so viel hergibt und man erst einmal zufrieden sein muss, seine Vorurteile anzuerkennen indem man sich bemüht so wie es geht.
Danach ist es sinnvoll sich genauer mit den Fragen zu befassen. Stimmt es denn, dass diese Vorurteile so existieren? Da gibt es doch dieses Dings…wie heißt es noch…achja, Wissenschaft. Das ist ein wenig friemelig, da die Studien zu finden aus einem Bereich den man nicht kennt. Es wäre viel leichter als “community effort”, aber wenn das nicht sein soll muss man sich eben ab und zu alleine auf die Suche machen. Und soweit ich das gefunden habe gibt es deutliche Hinweise, dass eine schiefe Wahrnehmung durch geschlechtsgefärbte Sprache ausgelöst wird.
Wie also setzt man das Bemühen jetzt auch in etwas wie Gelingen um? Es gibt viele Anleitungen dazu, wie diese hier (danke, Hel aus den Kommentaren). Man kann immer beide Formen schreiben. Das Binnen-I scheint nicht so toll zu sein, da man es als exklusiv weibliche Pluralform empfinden kann, das verfehlt natürlich auch den Sinn. (Als kleine Störung, die Aufmerksamkeit erzeugt, ist die Verwendung des weiblichen Plurals aber sehr effektiv, wie Ludmila mit Kommentatoren zum Fremdschämen beweist). Es gibt also keinen Automatismus, den man einsetzen kann. Und das ist auch gut so. Denn es soll ja eben so sein, dass man sich ein bisschen Bemühen soll – genau diese Aufmerksamkeit soll doch das Denken anregen. Also, wo es geht eine neutrale Formulierung einsetzen, und wenn das nicht geht ab und zu mal eine weibliche Form einsetzen, wo jeder gemeint sein könnte. Und nochmal – dass das nicht immer gelingen wird weil die Sprache es nicht hergibt, ist kein Grund es nicht zu versuchen. Ist wirklich nicht SOO schwierig.
Bleibt weiterhin die Frage nach Studien, die versucht haben, den Effekt geschlechtsneutraler Sprache qualitativ oder gar quantitativ zu erfassen. Ich würde vermuten, dass das schwierig ist. Wenn ich mir aber ansehe, dass geschlechtsneutrale Formulierungen von Berufsbezeichnungen kulturell männliche belegte Berufe gleich interessanter für Frauen machen, würde ich auch vermuten dass sich ein positiver Effekt auffinden lassen müsste.
Zum Schluss möchte ich noch ein Bedenken äußern, dass mich quält seit ich von diesen Studien gehört habe. Und zwar gilt das (vielleicht, vermutlich auch unterschiedlich stark), in verschiedenen Bereichen wie dem Klimawandel. Es scheint, dass kleine Maßnahmen die nicht die Welt verändern aber Bewusstsein erzeugen (keine Plastiktüten kaufen, Energiesparlampen einsetzen) eine Sättigung in den Köpfen erzeugen. Die Leute sagen dann: Ich hab ja was getan, warum soll ich jetzt auch noch eine größere, eventuell staatliche Maßnahme unterstützen? Es kann also kontraproduktiv für das größere Bild sein wenn man solch kleine Maßnahmen propagiert. Andererseits weiß ich nicht, ob diese Studie auch irgendwie mit einrechnen dass Aufmerksamkeit für ein Problem erzeugt wird. Jedenfalls kann man nicht folgern, dass man die kleinen Maßnahmen unterlassen sollte wenn man den Klimawandel begrenzen möchte. Die Tatsache, dass durch Fahrradhelme die Unfallquote nicht sinkt, ist darauf zurückzuführen dass Autofahrer unvorsichtiger werden wenn sie behelmte Radfahrer sehen. Daraus kann ich doch aber nicht folgern dass ich keinen Helm tragen sollte?! Es ist geradezu ein Paradoxon…
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich würde vermuten dass geschlechtsneutrale Sprache es wert ist weil sie Momente der Aufmerksamkeit erfordert, die dann auch in anderen Situationen (ich erinnere z.B. an diese kleine Untersuchung zur Wahrnehmung von Dozentinnen im Vergleich zu Dozenten) Denkprozessse triggern könnte. Aber das wäre wirklich wert, genauer untersucht zu werden (was wahrscheinlich endgütig hoffnungslos kompliziert ist). Ist es vielleicht schon, und immer noch würde ich mich freuen wenn jemand mich auf Studien zu den Themen, die ich erwähnt habe, hinweisen könnte. Oder auf Studien, die etwas anderes zeigen als die bislang vorgestellten.
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