Da gab es doch letzte Woche den Nobelpreis in Physik und n=2 Physikblogs hier haben immer noch nichts dazu geschrieben? Na, besser langsam als die Schnellschüsse in der Presse. Ich habe es mir ja abgewöhnt, Wissenschaftsartikel beim Spiegel oder anderen Käseblättern zu lesen; aber zum Graphen habe ich schon in den Zusammenfassungen im zweiten Satz gelesen von den großen Applikationen die uns bevorstehen, neue Transistoren und was noch alles. Das ist sehr traurig. Einmal traurig, weil der Nobelpreis nicht dafür vergeben worden ist. Das wäre auch schlimm, das wäre wie der Obama-Nobelpreis letztes Jahr: Man hat gute Aussichten und hofft mal dass sich diese auch bestätigen. Nein, der Graphen-Nobelpreis ist NICHT für irgendwelche Anwendungen die kommen können. Sicher, es werden Anwendungen kommen aber ob Graphen das große Material wird ist nicht sicher. Lest mehr bei Joerg Heber dazu.
Wirklich traurig ist die Berichterstattung aber deswegen, weil der Nobelpreis deswegen vergeben wurde weil Graphen so viel spannender ist als irgendein paar dumpfe Anwendungen. Es kommt mir so vor, als ob wir außeriridisches Leben auf einem anderen Planeten entdeckt hätten und die Berichte sich darauf beschränken zu fragen ob es dort wohl leckere Burger gibt. Nein, der Grund warum es einen Nobelpreis gab nur 6 Jahre nach der Entdeckung liegt darin, dass Graphen ein neues Universum ist. Ein zweidimensionales Universum, dessen Existenz man gar nicht erwartet hat, aber an dem jetzt jeder Physiker und seine Großmutter nach neuer Physik und neu nach alter Physik sucht. Graphen ist Weltmeister in fast allen Klassen physikalischer Eigenschaften.
Als Spielzeugsystem für die Theoretiker war Graphen schon bekannt – bietet sich doch die schöne Struktur an um die Gleichungen der Festkörperphysik zu üben und testen – mit einer Dimension weniger ist das Graphen wie geschaffen dafür. Aber realisierbar sollte es nicht sein, im Gegenteil, Landau und Peierls hatten vorhergesagt dass ein zweidimensionaler Kristall instabil sei. Und doch, Andre Geim und Konstantin Novoselov verkündeten 2004 die bemerkenswerte Erzeugung einer zweidimensionalen Kohlenstoffschicht, zunächst wenige Atome dick, später tatsächlich nur einatomig. Es stellte sich schließlich heraus, dass die Schicht doch ganz wenig in die dritte Dimension verbogen ist und so stabil wird – aber dass das System sich physikalisch als zweidimensionales Universum mit bemerkenswerten Eigenschaften zeigt.
Neben rekordverdächtigen mechanischen Eigenschaften (härtestes aber gleichzeitig zugelastischstes Material) und interessanten Eigenschaften für die Chemie (z.B.: Graphen lässt nicht einmal Heliumatome durch) sind es vor allem die elektrischen Eigenschaften, die Graphen so faszinierend machen.
Von Waben, Untergittern und schnellen Elektronen
Wenn man in einem Festkörper die elektrischen Eigenschaften bestimmen möchte, untersucht man wie der Aufbau des Kristalls die Beweglichkeit der Elektronen bestimmt. Man bestimmt das bindende Potential und schaut sich an, wie man die Elektronen dazu bekommen kann sich frei zu bewegen. In einem Metall z.B. sitzen manche Elektronen sowieso schon in Zuständen in denen sie frei im Kristall sind und sich daher als Stromleiter anbieten. Im Halbleiter ist der Sprung zum Leitungsband sehr klein, und das macht man sich dort in Verbindung mit einigen anderen Tricks zunutze.
Um herauszufinden wie das im Graphen aussieht, muss man sich zunächst einmal die Gitterstruktur auflösen. Da ja im Kristall die Atome in gleichmäßigen Abständen sitzen, reicht es anzugeben wie die einfachste Form aussieht, die das Gitter aufbaut, und dann aus der Wiederholung dieser Form das Potential ableitet das die Elektronen bindet (oder nicht).
Im Graphen sitzen, wie man im obigen Bild sieht, die Kohlenstoffatome in Waben. Die einfachsten Form dies auszudrücken besteht tatsächlich darin, die Waben in zwei Untergitter aufzuteilen. Die einfachsten Zellen sind dann die eingezeichneten Dreiecke. Die Untergitter sind identisch, und das hat entscheidenden Einfluss auf die Lösung.
Jetzt bastelt man sich ein Modell der Elektronenbewegung, mit Hilfe dessen man die Energiebeziehungen bestimmen kann. Für Graphen erreicht man schon mit einem einfachen Modell, dem Tight-Binding-Modell, gute Ergebnisse. Das Modell schaut sich die Möglichkeiten für ein Elektron an, auf einen anderen freien Gitterplatz zu springen. Die Möglichkeiten werden durch die Form des Gitters bestimmt, und in diesem Fall bestimmen die beiden identischen Untergitter die Lösung.
Trägt man die Beziehung zwischen Energie und Impuls auf (sehr grob ausgedrückt, wie sehr man das Elektron treten muss um es auf eine bestimmte Geschwindigkeit zu bringen), erhält man dieses Bild:
Die beiden Flächen entsprechen den zwei Bändern: das untere dem letzten voll besetzten Band und das obere dem freien Band. Ab absoluten Nullpunkt ist das untere Band genau vollbesetzt und das obere leer. Aber die Bänder berühren sich in sechs Punkten, die sich aus den sechs Ecken der Waben ergeben. Außerdem macht sich die Identität der Untergitter bemerkbar, denn die beiden Flächen sehen genau gleich aus (nur eben gespiegelt).
Was heißt das? Nun, zum einen lässt sich der Nullpunkt leicht mit einem elektrischen Feld verschieben. Aber die Hauptfolgerung ergibt sich, wenn man sich die Kontakpunkte vergrößert ansieht: Man sieht dass sich die Impuls-Energiebeziehung in der Nähe des Kontakt kegelförmig ausbreitet. Das ist sehr ungewöhnlich – es bedeutet eine lineare Beziehung zwischen Impuls und Energie.
Hä?
Also, normalerweise sieht diese Beziehung nicht so aus, statt kegelförmig nimmt die Energie quadratisch mit dem Impuls zu, also wie links im Bild hier:
Stattdessen sieht es im Graphen wie rechts aus. Normalerweise bedeutet diese Abhängigkeit, dass die Masse einen Einfluss auf die Energie hat. Quantenmechanisch beschreibt daher die Schrödinger-Gleichung die Bewegung der Elektronen. Im Graphen erhält man bemerkenswerterweise als Bewegungsgleichung etwas in der Form der Dirac-Weyl-Gleichung für masselose Teilchen! Tatsächlich verhalten sich die Ladungsträger im Graphen also wie masselose Teilchen; daher spricht man auch von pseudorelativistischem Verhalten. Zwar ist die Bewegungsgeschwindigkeit noch weit weg von der Lichtgeschwindigkeit, liegt aber jenseits aller anderen Leiter. Zusammen mit der hohen Anzahl verfügbarer Elektronen macht dies Graphen zu einem gewaltigen Leiter.
Die Zukunft der Transistoren
Und pseudorelativistische Teilchen empfinden einen besonderen Effekt, der bereits für neuartige superschnelle Transistoren verwendet wird. Ob sich der Graphen-Transistor breit durchsetzen kann oder ein Produkt für Spezialanwendungen bleibt wissen wir in 5-10 Jahren. Ansonsten möchte ich zu Anwendungen unbedingt auf die wunderbare Anekdote (ab 36:50) von Andre Geim im unten eingebundenen Vortrag verweisen.
In der Quantenmechanik haben Teilchen eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, durch Barrieren hindurchzuspringen, man nennt das Tunneln. Relativistische Teilchen aber können durch Barrieren einfach immer hindurchspringen. Man nennt dies das Klein-Paradoxon, und da man die Energie der Elektronen durch die Spannung am Gate steuern kann, kann man damit sehr schnelle Transistoren bauen.
Ein weiterer bemerkenswerter Effekt des Graphen, dass es niemals nichtleitend wird. Eigentlich treffen sich ja im obigen Bild des Energiespektrums die beiden Flächen genau am Nullpunkt, es müsste also am absoluten Nullpunkt keine Leitfähigkeit mehr vorhanden sein. Stattdessen findet man, dass auch dann immer noch ein Quantum Leitfähigkeit vorhanden ist. genau erklären kann man es noch nicht; aber man vermutet dass starke Interaktionen nahe der Treffpunkte verhindern, dass ein Elektron dort als Teilchen einen Ort finden kann – und sich nur als Welle verhalten kann.
Gekoppelte Durchsichtigkeit
Es gibt noch viele Eigenschaften des Graphen, von der Chiralität der Ladungsträger habe ich erst gar nicht angefangen. Ich will nur noch ein Experiment erwähnen, das beste zuletzt, denn das ist wirklich schon fast anbetungswürdig schöne Physik.
Mit ihren Koautoren haben sich Geim und Novoselov einmal angesehen, wieviel Licht denn durch solch eine Graphenschicht durchdringen kann. Die Antwort mag zunächst unspektakulär erscheinen: Quer durch alle Frequenzen schluckt die einatomige Kohlenstoffschicht 2.3 % des einfallenden Lichtes.
Bemerkenswert wird das allerdings, wenn man den quantenphysikalischen Hintergrund dafür kennt, wie Licht geschluckt werden kann. Man kann sich im Feynman-Diagramm ansehen, wie so ein Prozess vor sich geht, und in die Berechnung fließt jede solche Kopplung (in diesem Fall eines Protons an das Atom, bzw. seine Bestandteile) mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/137 ein. Das ist die berühmte Feinstrukturkonstante! Irgendwo kommt dann noch ein Pi her, denn letztendlich ist der geschluckte Anteil an Licht 0.023 = Pi/137! Nur durch Beobachtung des geschluckten Lichtes einer einatomigen Schicht kann man eine grundlegende Größe der Quantenelektrodynamik finden!
So, wer jetzt noch mehr will der könnte z.B. diesen Artikel zum Quanten-Hall-Effekt in Graphen lesen oder diesen zu DNA-Sequenzierung mit Hilfe von Graphen. Oder sie sollte sich diesen gelungenen und unterhaltsamen Vortrag von Andre Geim anschauen:
Und wer jetzt lieber ein bisschen leichtere Graphen-Unterhaltung möchte, für den gibt es den “Graphene Song”:
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