Spiegel Online lesen ist normalerweise keine gute Idee, vor allem in der Wissenschaftsabteilung. Aber jetzt hat sich selbst SPON selbst übertroffen: “forscher fangen erstmals Antimaterie ein“. Das ist selbst für Spiegel-Verhältnisse ausnehmend dämlich.

Sorry, aber etwas andere fällt mir dazu nicht ein. Es geht nämlich nicht um irgendwelche Antimaterie, sondern um Anti-ATOME. Antimaterie ist alles, Anti-Proton, Positron, Anti-Quark. Positronen wurden sogar schon in Beschleunigern eingesetzt, gerade dort am CERN im Tunnel wo heute der LHC steht im Large Electron-Positron Collider (LEP). Antimaterie speichern (nichts anderes tut man ja wenn man die Positronen auf hoher Geschwindigkeit in einem Speicherring kreisen lässt) ist also beim besten Willen nichts Neues. Der SPON-Schreiber versteht offenbar nicht den Unterschied zwischen Teilchen und Atomen – das sollte man aber von einem Startseiten-Artikel auf der größten deutschen Nachrichtenseite erwarten können. Wenigstens das.

Denn zum Anti-Atom gehören zwei Antiteilchen, ein Anti-Proton und ein Positron (Anti-Elektron), die man auch noch nahe zusammen bringen muss. Und dann können sie ein Anti-Atom, in diesem Fall Anti-Wasserstoff bilden. Das Problem ist, dass Antimaterie beim Kontakt mit ihren “normalen” Partnern sofort in Strahlung aufgeht. Zum ersten Mal erzeugt und beobachtet werden konnte Anti-Wasserstoff 2002 1995 am CERN. Man möchte das Anti-Atom aber auch gerne länger untersuchen. Daher muss man die Antiteilchen sorgsam isolieren und zusammenführen, und dann in einer Falle speichern, was jetzt beim ALPHA-Experiment gelungen ist. Hier habe ich schon einmal beschrieben, was dort passiert. In der Pressemitteilung des CERN kann man außerdem erfahren, dass das ASACUSA-Experiment erfolgreich eine neue Art von Falle für das Anti-Atom entwickelt und getestet hat.

An diesen Experimenten und anderen sollen die Eigenschaften von Anti-Atomen gemessen werden, denn beispielsweise könnten sie sich ja gegenüber der Gravitation gerade anders herum verhalten. Niemand erwartet das, aber experimentell getestet ist es noch nicht. Noch interessanter ist die Untersuchung der Anregungsspektren – ganz feine Unterschiede in den Bahnen der Elektronen um den Atomkern waren schon immer ein Mittel um neue Physik zu entdecken. Hätte das Anti-Atom minimal andere Bahnen, wären die Photonen die es aussendet auch minimal anderer Frequenz – und könnten einen Schlüssel zum Verständnis der Symmetriebrechung zwischen Materie und Anti-Materie sein.

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Bildquelle: CERN

Die Ergebnisse von ALPHA sind heute in Nature publiziert worden. Man hat es geschafft, 38 Anti-Wasserstoff-Atome einzufangen und für etwa eine Zehntelsekunde (also lange!) zu speichern. Der Ansatz dazu erscheint wenig chirurgisch: Etwa 10 Millionen Anti-Protonen und 700 Millionen Positronen wurden benötigt. Na hoffentlich haben die noch genug auf Vorrat 😀

Die Schnitzer in dem Spiegel-Artikel beschränken sich übrigens nicht auf die Überschrift:

Natürlich vorkommende Antimaterie haben Wissenschaftler bisher noch nicht nachweisen können.

Auch Quatsch. Der Satellit PAMELA misst z.B. die Antiprotonen in der kosmischen Strahlung. Wahrscheinlich ist auch dieser Satz wieder eine Verwechslung von Antimaterie und Anti-Atomen, das zieht sich konsequent durch den Artikel.
Und wo wir gerade dabei sind

Insgesamt gelang es den Forschern, mindestens 38 Antiwasserstoffatome herzustellen und jeweils 172 Millisekunden festzuhalten.

Die Bedeutung von Mittelwerten lesen wir dann auch nochmal nach, lieber Spiegel…


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Kommentare (18)

  1. #1 JensM
    11/18/2010

    Selbst “scinexx” schreibt in der Überschrift “Antimaterie erstmals in Gefangenschaft”:
    https://www.scinexx.de/wissen-aktuell-12579-2010-11-18.html

  2. #2 schlappohr
    11/18/2010

    Hm…ich kann Deiner Kritik diesmal nicht ganz folgen. Was genau ist der Unterschied zwischen Antimaterie und Antiteilchen? Oder anders gefragt, wenn ich ein Antiproton hergestellt habe, warum ist es dann falsch zu sagen, ich habe Antimaterie hergestellt, wenn auch keine ganzen Atome?

  3. #3 Jörg
    11/18/2010

    Was genau ist der Unterschied zwischen Antimaterie und Antiteilchen?

    Das ist kein Unterschied – der Witz ist aber dass man Atome gebaut hat und nicht nur einzelne Teilchen. Das ist ein RIESENunterschied.

  4. #4 Herr Bach
    11/18/2010

    Auch bei der Frankfurter Rundschau gibt es heute einiges zur Antimaterie zu lesen:
    https://www.fr-online.de/wissenschaft/triumph-der-materie-im-kosmos/-/1472788/4846046/-/index.html

  5. #5 Name
    11/18/2010

    Unglaublicher Skandal. Der Spiegelschreiber hat den Unterschied zwischen Teilchen und Atomen nicht richtig aufgeschlüsselt. Tausend Dank dem mutigen Blogger, der es sich nicht nehmen lässt, diese unglaubliche Inkompetenz schonungslos aufzudecken. Weiter so!

  6. #6 Frank Wappler
    11/18/2010

    Jörg Rings schrieb:
    > An diesen Experimenten und anderen sollen die Eigenschaften von Anti-Atomen gemessen werden, denn beispielsweise könnten sie sich ja gegenüber der Gravitation gerade anders herum verhalten.

    Wäre es überhaupt korrekt, die in den genannten Experimenten vorgefundenen Objekte (einzeln oder in den beschriebenen gebundene Konfigurationen) “Anti-” zu nennen, falls sie sich gravitativ nicht genau gleich den Objekten verhielten, mit denen sie verglichen und (ansonsten) kontrastiert würden?

    Ist es denn nicht überhaupt und grundsätzlich dämlich, das Ergebnis solcher Messungen schon von vornherein durch die Namensgebung zu unterstellen? …

  7. #7 roel
    11/18/2010

    Aus der Pressemitteilung des CERN: “Antimatter atoms produced and trapped at CERN
    Geneva, 17 November 2010.”

    Der Spiegelautor ist wohl auf Antimatter atoms reingefallen. Wenn Sie das dem Spiegel-Online vorwerfen, warum nehmen Sie nicht gleich die Pressemitteilung auseinander?

    “The ALPHA experiment at CERN1 has taken an important step forward in developing techniques to understand one of the Universe’s open questions: is there a difference between matter and antimatter?”

    Da fragt also wirklich jemand vom CERN: Gibt es einen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie? Und stellt das als eine der noch offenen Fragen des Universums dar. Materie und Antimaterie unterscheiden sich in ihrer elektrischen Ladung. Vielleicht teilt das jemand mal dem CERN mit.

  8. #8 Jörg
    11/18/2010

    Der Spiegelautor ist wohl auf Antimatter atoms reingefallen. Wenn Sie das dem Spiegel-Online vorwerfen, warum nehmen Sie nicht gleich die Pressemitteilung auseinander?

    Weil die Pressemitteilung absolut korrekt war und die Spiegel-Meldung falsch. Oder darf ich nicht mehr erwarten dass Spiegel-Wissenschafts-Autoren einfaches Englisch lesen können und wissen was Atome sind?

    Da fragt also wirklich jemand vom CERN: Gibt es einen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie? Und stellt das als eine der noch offenen Fragen des Universums dar. Materie und Antimaterie unterscheiden sich in ihrer elektrischen Ladung. Vielleicht teilt das jemand mal dem CERN mit.

    Und vielleicht überlegst du dir mal eine neue Betrollungstaktik als selektives Zitieren, das ist einfach nur noch saublöde.

  9. #9 derhanfi
    11/18/2010

    Vielen Dank für den sehr guten Blogeintrag. Mit Spannung verfolge ich die Errungenschaften des LHC regelmäßig, wenngleich ich auch nicht alles auf Anhieb verstehe. Aber dafür schreiben Sie ja vorzuügliche Blogeinträge.

  10. #10 Moss
    11/18/2010

    darf ich nicht mehr erwarten dass Spiegel-Wissenschafts-Autoren einfaches Englisch lesen können und wissen was Atome sind?

    Erwartest Du angesichts der regelmäßig gezeigten Kompetenz der Spiegel-Autoren, dass dort irgend jemand von irgend etwas wirklich Ahnung hat (außer vielleicht von Terrorgeschwafel und sexistischen Aufmachern)? Na siehste.

  11. #11 roel
    11/18/2010

    @Jörg Mal im Ernst. Der ganze Absatz gibt nicht mehr her, siehe unten. “Is there a difference between matter and antimatter?” Vielleicht kann der Autor sich nicht so gut auf englisch ausdrücken. Diese Frage ist voll daneben und hätte komplett anders formuliert werden müssen. What are the differences between matter and antimatter, apart from what we know now? Oder so ähnlich. Der offensichtlichste Unterschied ist doch wohl die Ladung.

    Ist klar, ich weise auf diesen Fehler hin also bin ich ein Troll. Sehen Sie es doch mal anders: Sie werden auf einen Fehler hingewiesen und beschimpfen daraufhin den Hinweisgeber als Troll. Das ist einfach nur dumm!

    Hier für Sie nochmal der komplette Absatz:

    “Geneva, 17 November 2010. The ALPHA experiment at CERN1 has taken an important step forward in developing techniques to understand one of the Universe’s open questions: is there a difference between matter and antimatter? In a paper published in Nature today, the collaboration shows that it has successfully produced and trapped atoms of antihydrogen. This development opens the path to new ways of making detailed measurements of antihydrogen, which will in turn allow scientists to compare matter and antimatter.”

    Ich weiß, im nächsten Absatz erkennt der Autor dann seinen Fehler. Macht aber nichts, denn er korrigiert ihn oben nicht.

  12. #12 ares
    11/18/2010

    Man hat es geschafft, 38 Anti-Wasserstoff-Atome

    äh, jetzt mal ne hoffentlich nicht ganz blöde frage. 38 AW-Atome, sind die gezählt worden? wie kommt können 38 atome festgestellt werden?

  13. #13 roel
    11/18/2010

    @Jörg Aus Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Antiproton_Decelerator : “2002 konnte ATHENA auf diese Weise insgesamt 500.000 kalte Antiwasserstoffatome herstellen. Die kinetische Energie betrug 0,2 eV, was einer Temperatur von ca. 2000 °C entspricht. Dies ist zwar nicht “kalt” im Sinne von wenigen Millikelvin, vergleicht man die Temperatur allerdings mit den 1,4 × 1013 °C bei PS210, so ist die Ausdrucksweise gerechtfertigt. An ATHENA wurden allerdings keine Hochpräzisionsexperimente durchgeführt, es wurde nur die Herstellung von größeren Mengen kalten Antiwasserstoffs demonstriert. Inzwischen wurde das Projekt zu Gunsten der Nachfolgeexperimente AEGIS und ACE eingestellt.”

    Im Vergleich hierzu erscheinen die 38 jetzt hergestellten Antiatome als verschwindend geringe Anzahl. Warum wiederholt man nicht einfach das Experiment von 2002 und führt weitergehende Experimente und Messungen an der großen Anzahl von Antiatomen durch? Wo ist der Vorteil der neuen Methode bzw. der Nachteil der alten?

  14. #14 dnfyngng
    11/18/2010

    das Ziel sind möglichst langsame Atome. umso langsamer das atom umso länger hat man auch zeit es zu beobachten. daher sind 38 atome die langsam waren dass sie in der falle geblieben sind schon eine recht gute anzahl.

    @ares : da antimaterie sich bei kontakt mit normaler materie direkt anihiliert hat man dann ein ereignis das sich von dem detektor anzeigen lässt. da der antiwasserstoff erst viel später freigesetzt wird ist auch dessen ereignis später zu sehen. und diese einzelnen ereignisse kann man zählen.

  15. #15 dnfyngng
    11/18/2010

    das Ziel sind möglichst langsame Atome. umso langsamer das atom umso länger hat man auch zeit es zu beobachten. daher sind 38 atome die langsam waren dass sie in der falle geblieben sind schon eine recht gute anzahl.

    @ares : da antimaterie sich bei kontakt mit normaler materie direkt anihiliert hat man dann ein ereignis das sich von dem detektor anzeigen lässt. da der antiwasserstoff erst viel später freigesetzt wird ist auch dessen ereignis später zu sehen. und diese einzelnen ereignisse kann man zählen.

  16. #16 Alexander
    11/18/2010

    Es ist ja so, das sich normale Materie und Antimaterie beim Zusammenrreffen gegenseitig auslöschen. Passiert dies immer ungeachtet der “Atom- bzw. Molekülart” oder müssen dazu gleiche Arten zusammentreffen (also z.B. Eisenatom und Eisen-Antiatom)? Wenn die “Art” egal ist, was würden dann passieren bzw. übrigbleiben wenn z.B. Atome hoher Ordnungszahl mit Anti-Atomen niedriger Ordnungszahl (oder umgekehrt) zusammentreffen? Wäre klassen wenn es darauf eine verständliche Antwort gäbe 🙂

    Gruß
    Alex

  17. #17 Carl
    11/18/2010

    @Alex: Hier ist erklärt, wie Teilchen reagieren: https://www.scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2010/10/wie-funktionieren-feymandiagramme.php

    Antiteilchen und Teilchen zerstrahlen allgemein zusammen. Wenn also ein Antiproton auf einen Atomkern stoßen würde, würde es dem Kern wohl ein Proton stehlen, das Positron würde sich ein Elektron aus der Hülle schnappen. Übrig bliebe ein wahrscheinlich instabieler Atomkern. Dabei entsteht dann eine Menge Gamma-Strahlung.

  18. #18 P. T. Pintsch
    11/20/2010

    Jörg,

    bei allem Respekt den ich für deine Fachkenntnis und dafür diese zu teilen auch hege, gibt es doch eine Sache, die sich mir ganz gewaltig störend in den Weg stellt: deine Arroganz und Überheblichkeit. Mag ja sein das der Spiegel nur ein weiteres Massenversorgungsmedium ist, doch sollte man als solches nicht auch seine Wichtigkeit berücksichtigen? Wenn nun ein solcher Artikel (der übrigens mich als Laie erst einmal in euphorische Aufregung versetzt hat, völlig vergessend der fraglichen Fakten) am ende jedoch nicht ordentlich recherchiert und verfasst wurde, ist es doch sinnvoller eine ernstzunehmende, konstruktive Kritik zu üben, als sich in einem Blog – auch nur ein Blog – auf seiner Wolke 9 auf eine arrogante und unfreundliche Art und Weise über Fehler her zu machen. Als seiest du mit deinem Doktortitel etwas besseres. Du machst da eine unnötige Front auf und tust so, als gehörst du zu einer Gruppe unverstandener Genies. Auch deine unverhaltenen Antworten auf Kommentare, welche ich nicht zitiere da hier genug herumzitiert wird, halten mich davon ab, weiter in deinen Veröffentlichungen rumzusurfen. Ich betone, dass ich mit dem Inhalt und dem Antrieb deines Artikels wirklich kein Problem habe, und es auch unterstütze das Leute vom Fach ihren Senf abgeben, gerade bei solchen Themen. Aber du solltest mal von deinem hohen Ross herunterkommen, denn du hast auch nicht immer recht (wie einer meiner Vorredner treffend bemerkte @roel). Der Artikel war jedoch trotz allem sehr informativ, und ich danke dafür, ich habe einiges mehr verstanden. Demnach wünsche ich einen angenehmen Tag, und viel glück mit weiterer Arbeit,

    hochachtungsvoll,

    P. T. Pintsch
    Austauschstudent Deutschland – Südafrika