Mit Wellen kann man tolle Dinge anstellen: Hat man ein Medium das man untersuchen möchte, ohne es zu zerstören, dann schickt man an einem Ende eine Welle hinein und schaut wie und wo sie herauskommt. Den Untergrund kann man z.B. mit Seismik oder Radar von der Oberfläche aus untersuchen: Gibt es Hindernisse im Untergrund, z.B. Schichtgrenzen oder vergrabene Gegenstände die man sucht, dann reflektieren diese einen Teil der Wellen; und man kann diese an der Oberfläche wieder messen. Eine wichtige Information steckt dabei in der Zeitspanne zwischen Senden und Empfangen: Kennt man die Ausbreitungsgeschwindigkeit im Medium, kann man so die Tiefen errechnen.
In der Seismik muss man dazu Schall erzeugen. Für oberflächennahe Messungen kann man z.B. mit einem Hammer auf eine Stahlplatte schlagen. Amerikaner nehmen lieber Schrotflinten. Für tiefere Messungen (z.B. die Suche nach Öllagerstätten) muss man zu Sprengungen greifen. Man kann aber für großskalige Seismik aber auch Erdbebendaten untersuchen, die quasi natürliche, wohldefinierte Quellen darstellen.
In Physics Today vom September 2010 stellen Roel Snieder und Kees Wapenaar (PDF) neuere Entwicklungen vor, die auf wenig klar definierte Quellen setzen und stattdessen mit Umgebungslärm arbeiten. Und dennoch, dank einer eigentlich recht einfachen Eigenschaft kann man quasi den eigentlich störenden Lärm-Untergrund nutzen, um Bilder des Untergrundes zu machen. Und es ist eine sehr generelle Methode, die nicht auf Seismik und nicht auf die Erde als Medium beschränkt ist: Es ist die Bildgebung mit Umgebungslärm.

Ein Kreuz mit der Korrelation

Diese Eigenschaft der Wellen ist die Kreuzkorrelation. Das lässt sich auch recht einfach erklären. Stellt euch vor, Julio und Kalpana sitzen in einigen Kilometern Abstand an einer Bahnstrecke, an der ab und zu Güterzüge vorbeifahren. Beide schreiben, immer wenn sie ein Zug passiert, die Zeit auf und vergleichen ihre Beobachtungen hinterher.

i-cf7556dd7a013f17364618a2f8537019-ambientCorr-thumb-375x79.png

Dann werden sie feststellen, dass ihr Zeitmessungen korreliert sind: Immer kurz nachdem bei Julio ein Zug vorbeikam, hat auch Kalpana einen beobachtet.
Jetzt machen wir die Situation aber noch etwas komplizierter. Jetzt setzen wir die beiden auf eine Autobahnbrücke im Abstand von 100 km.

i-f799f064985c997419d6b61b20b7eed0-ambientCross-thumb-375x108.png

Sie filmen alle Autos und abends werten sie dann die Filme aus: Sie notieren alle Kennzeichen und dazu die Zeiten, an denen sie vorbeikamen. Dann suchen sie nach Kreuzkorrelationen zwischen ihren Beobachtungen.
Natürlich werden sie nicht die gleichen Autos gesehen haben, denn auf einer Strecke von 100 km werden viele abgefahren sein oder neu auf die Autobahn aufgefahren sein. Aber es werden doch einige Autos bei beiden vorbeigekommen sein. Bei der Bestimmung der Kreuzkorrelation gibt man einen Zeitabstand vor und sucht dann nach Ereignissen, die bei beiden aufgetreten sind, und zwar mit genau diesem zeitlichen Abstand. Es könnte z.B. sein, dass die beiden für einen Zeitabstand von einer Stunde eine starke Kreuzkorrelation finden: Dass einige Autos die Julio beobachtet hat, etwa eine Stunde später bei Kalpana vorbeifahren. Dann könnten die beiden schließen, dass auf dieser Straße wohl ein Tempolimit von 100 herrscht. (Achtung: Idealisiert! In Deutschland wäre es wohl eher 80 oder so, mit einem “long tail” an BMWs, Straßenpanzern und anderen Leuten die sich für besser halten)

Anisotropie aus Pumpenlärm

Vom Prinzip her ist das tatsächliche Verfahren der Bildgebung mit Umgebungslärm nicht anders, aber natürlich ist ein Autokennzeichen noch ein deutlicher Marker. Wellen aus Umgebungslärm sind aber scheinbar zufällig; und zwei an verschiedenen Positionen aufgenommene Seismogramme haben augenscheinlich wenig miteinander zu tun. Aber wenn man mathematisch nach Kreuzkorrelation sucht, kann man dennoch charakteristische Zeitabstände finden, die nichts anderes sagen als: Oft, kurz nachdem an A eine Welle vorbeikam, kam diese auch an B vorbei.
In Geophysics haben Masatoshi Miyazawa und seine Ko-Autoren (PDF) vertikal unter einer Öl-Fabrik, die Öl aus dem Untergrund fördert, in einigen Tiefen Geophone installiert.

i-c7f47f19444ca1771f8359a00e107b5c-ambientPump-thumb-300x206.png

Nach: Snieder&Wapenaar, Physics Today September 2010

Diese zeichneten den Umgebungslärm auf, der in diesem Fall vor allem von den Pumpen und anderen Maschinen der Fabrik ausging, und somit auch vor allem von oben nach unten wanderte. Vergleicht man in zwei Tiefen die Wellen, die ankommen, sieht man erstmal nichts:

i-a833a95e16d1d21a76f306c10436a0eb-ambientWaves-thumb-275x145.png

Nach: Snieder&Wapenaar, Physics Today September 2010

Ganz anders ist da das Ergebnis der Kreuzkorrelation: Hier sieht man über die gesamte Strecke schön, wie Wellen hinunterwandern und kann die Ausbreitungsgeschwindigkeit bestimmen:

i-e01a2b749ec0f5c5a8d94ad02ce0085b-ambientWavesCross-thumb-275x125.png

Nach: Snieder&Wapenaar, Physics Today September 2010

Die gezeigten Wellen sind Kompressionswellen, bei denen also die Schwingungsrichtung der Wellen in die Ausbreitungsrichtung zeigt. Es gibt aber auch Wellen, die senkrecht zur Ausbreitungsrichtung schwingen (siehe auch hier). Indem man beide Arten von Wellen untersucht, kann man Unterschiede in der Ausbreitungsgeschwindigkeit in der Vertikalen und Horizontalen messen (das nennt man Anisotropie), die hier tatsächlich vorliegt, da die Risse im Fels eine Richtung bevorzugen.

Virtuelle Erdbeben

Man kann die Methode natürlich in mehr Dimensionen erweitern. Für das Geophysical Journal International haben Fan-Chi Lin, Snieder und ihre Koautoren (PDF) sich ein über Kalifornien verstreutes Messnetz von Seismometern vorgenommen. Aber wer macht auf dieser Skala den Lärm? Einfach: das Meer. Es ist erstaunlich wie genau Seismometer sind, aber ja, sie können tatsächlich das Meer rauschen hören. Und die Reisezeiten dieses Rauschen machen sich die Forscher dann wiederum zunutze, um Kreuzkorrelationen auszurechnen.
In mehr Dimensionen wird das natürlich etwas schwieriger: Im obigen Beispiel war klar, dass man nach Signale sucht, die von A nach B wanderten. Die Rollen sind klar zugeteilt: Man kann sich A als einen Sender vorstellen und B als einen Empfänger. In zwei Dimensionen könnte aber jedes andere Geophon die Quelle oder der Empfänger sein – da werden die Kreuzkorrelationen eben zu etwas größeren Integralen…
Was man damit aber anstellen kann, ist genau dies mathematisch durchzuspielen: Nämlich dass eines dieser Geophone tatsächlich der Ursprung einer Welle ist. Einer seismischen Welle, einem Erdbeben.

i-dc5958f3501ed9ace5b75e24c1b09bcf-ambientEarthquake-thumb-375x278.png

Aus: Lin, F.-C. et al., Geophys. J. Int. (2008)

Im Bild geht man von einem Erdbeben am Lake Tahoe aus, und aus den Wanderzeiten die man aus den Kreuzkorrelationen kennt kann man die Ausbreitung des Erdbebens simulieren. Und die Daten aus dem Meeresrauschen erlauben noch mehr Rückschlüsse auf das Medium Erde: Nicht nur die Geschwindigkeit, auch die Reduzierung der Wellenhöhe (Amplitude) kann man bestimmen und somit auch auf die Stärke des Erdbebens in verschiedenen Entfernungen schließen.


Flattr this

Kommentare (3)

  1. #1 schlappohr
    12/01/2010

    Meeresrauschen ist aber doch ziemlich homogen, also eine zeitlich nahezu gleichbleibende Verteilung über ein bestimmtes Spektrum, oder? Das ist fast so, als würden nur gleiche Autos mit gleichen Kennzeichen im gleichen Abstand über die Autobahn fahren. Wie kann man da etwas korrelieren? Können die Algorithmen in diesem Tohowabohu noch eine Signatur erkennen? Das ist ja wohl völlig abgefahren.

    P.S.: Julio und Kalpana sind wohl die “Alice und Bob” der Geophysiker 🙂

  2. #2 zulu
    12/01/2010

    Wenn das Pumpen waren, duerfte die Anregung aber eher Vibration (Koerperschall) gewesen sein als Luftschall – also kein “Laerm” im herkoemmlichen Sinne.

  3. #3 Quh.
    12/01/2010

    Es geht wohl ehe um die Art des Meeresrauschens. Eine Dünung erzeugt ein deutlich anderes Signal als ein kräftiger Herbststurm.
    In Europa wird der größte Noise bei Stürmen durch Brandung in Norwegen erzeugt.