Den ersten Weg vom Hotel zur Konferenz konnte ich blind antreten: Einfach aus dem Hotel treten und dem Menschenfluss folgen. Dass man richtig war, konnte man daran erkennen, dass sich immer weitere Vorfluter an Konferenzteilnehmern mit einem klaren Anteil an Posterrollen anschlossen. Die Posterrollen tauchten schon früher auf, vereinzelt in Frankfurt, aber dann so richtig ab dem Umsteigen in Denver. Meine Staffelübergabe der geteilten Posterrolle (mit dem Kollegen hin, Übergabe nach seinem Poster am Dienstag pünktlich für mein Poster am Mittwoch) stand noch bevor, aber der Sog zog mich klar mit zum Moscone Center, dem gewaltigen Konferenzzentrum und dem Schauplatz der weltgrößten Konferenz der Geowissenschaften: Dem AGU Fall Meeting 2010 in San Francisco.
Das Vorspiel hatte schon Sonntag Abend angefangen, mit der traditionellen Ice Breaker Reception nach der Anmeldung. Beeindruckend sind die Dimensionen der Konferenz, auch wenn man die größte europäische Konferenz kennt, die EGU in Wien, legt die AGU noch eine Ordnung drauf. 20000 Teilnehmer mit etwa so vielen Beiträgen, verteilt auf eine gewaltige Halle mit Anmeldung und Posterhalle (nächstes Bild) und ein Riesengebäude mit drei Stöcken an jeweils gleich großen Sessionräumen. Im Vergleich zu Wien ist der Ort deutlich besser: Die Räume bieten mehr Platz, in Wien hängt man oft in kleinen Seminarräumen, gerade wenn man so etwas massenunwirksames wie Hydrogeophysik macht (auch wenn es dann deutlich wichtiger aussieht, wenn der Raum aus allen Nähten platzt). Die Versorgung ist auch besser, wenigstens an Flüssigkost. In den Pausen gibt es ausreichend Kaffee (Starbucks natürlich, oder auch Seattle Company), kostenlose Sodas (wobei das Mountain Dew immer gleich vergriffen war – und was soll man mit Diet Mountain Dew? Der Sinn von dem Zeug ist, das Schlafzentrum in kurzer Zeit mit abartig großen Mengen Zucker abzulenken!) und ab drei Uhr Nachmittag sogar Bier vom Fass (!!)
Während ich also Samstag mit Fliegen beschäftigt war, und Sonntag erst mal dem örtlichen MOMA (Museum of Modern Art – nett aber kann dem New Yorker nicht das Wasser reichen. Es sei denn ihr steht total auf Photographien. Warum auch immer man das sollte.) und dem örtlichen Macy’s und meinem neuen Freund Kenneth Cole einen Besuch abgestattet habe, stehe ich erstmal desorientiert in der Anmeldung, denn ich habe natürlich keinen Treffpunkt abgemacht (wir waren in mindestens Decurienstärke aus Jülich eingerückt). Der winzigkleine SNOOT* in mir hatte kurz protestiert, weil sich Menschen die vorregistriert waren (also “pre-registered”) bei “Pre-Registration” (also “Vorregistrierung”) anstellen mussten. Mein Umhänger mit Namensschild hat ein albernes kleines Fähnchen, weil ich zum ersten Mal dabei bin. Ich trage ihn mit gequältem Ehrgefühl bis zum Ende.
In der Ice Breaker-Halle finde ich schnell die taktisch klug aufgestellten (mitten im Weg) Kollegen. Fantastisch. Wir entwickeln fünf verschiedene Arten, mit denen man die Anzahl an Menschen in der Halle abschätzen könnte. Da wir weder Laser noch Methanzähler zur Hand haben, korrigiert meine Pseudo-Monte-Carlo-Methode (die Anzahl an Quadraten an der Decke zählen und abschätzen, wieviele Menschen unter einem Quadrat stehen) die naive Schätzung von 2000-3000 Menschen auf 3300. Abendessen. Der Strom an Menschen in die Stadt erreicht um unsere Profs lokale Dichtemaxima. Wir setzen uns ab und strömen in die Gegenrichtung zu mäßig guten, aber wenigstens teuren Tapas.
Montag beeindrucke ich Kollegen mit meinem Schlaftalent. Während alle irgendwann zwischen 2 und 4 aufgewacht sind, kommt mir 6 schon früh vor. Aber so bleibt es die Woche über: Irgendwann zwischen 6 und 7 aufstehen, Konferenz und Abendprogramm, gegen etwa 22-23 Uhr ins Bett fallen und wegschnarchen. Zurück in Deutschland habe ich aber mehr mit Jetlag zu kämpfen. Weswegen ich diesen Bericht auch seit VERDAMMTEN FÜNF UHR tippe.
Die nassen Sessions (Hydrologie et al.) liegen alle in einem Flur (Bild oben) der Sessionhalle. Die Größe der Konferenz wirkt immer noch beeindruckend, auch wenn man bedenkt, dass dort auch Ärztekongresse mit 50000 Teilnehmern stattfinden. Die Kreuzung vor Moscone West (Vorträge) auf dem Weg zu Moscone South (Poster und größere Sessions wie Klimawandel) wird regelmäßig von neonumhüllten Pfeifenträgern behütet. Die machen aber auch nichts anderes als die Ampelschaltung zu replizieren. USA!
Ich gebe mir in der Regel den ersten Sessionblock ganz, und auf den Rest des Tages verteilt dann herausgepickte Sessionteile oder einzelne Vorträge; und natürlich die Poster.
Hier sind die Möglichkeiten, auf einer großen Konferenz die eigene Arbeit vorzustellen: du darfst eine Zusammenfassung einreichen. Es sind große Themenblöcke ausgeschrieben (“Hydrology”, “Near Surface Geophysics”, “Non Linear Geophysics”, “Biogeosciences”, “Global Environmental Change”, “Tectonophysics”, usw usw), in denen schon vor längerer Zeit Sessions vereinbart wurden, die dann jeweils einen Unterbereich davon versorgen (z.B. gab es 2 Sessions zu Hydrogeophysik) und in die man sich mit der Zusammenfassung als Beitragender einschreibt. Die Sessionleiter entscheiden dann, ob du ein Poster oder einen Vortrag bekommst. Abhängig von der Anzahl an Vortragenden gibt es ein oder mehrere Zeitblöcke (jeweils 2 Stunden) für Vorträge plus eine Postersession (ein Vormittag bzw Nachmittag). Ein Vortrag ist 12-14 Minuten lang, gefolgt von Fragen. Ein Poster bringst du mit, und stehst dann 2-4 Stunden dabei rum und erzählst jedem der er sich anhören möchte, was drauf steht. Du kannst auch Kollegen eine Zusammenfassung einreichen lassen von etwas, an dem ihr gemeinsam gearbeitet habt, und es dann doch selbst vortragen, weil doch noch Geld aufgetaucht ist um selbst anzureisen. So bin ich zu einem Poster und einem Vortrag gekommen. Soll sich ja lohnen.
Bis auf einen Nachmittag war ich tatsächlich immer bei der Konferenz. Ich schreibe später nochmal mehr zum wissenschaftlichen Programm und meinen Beiträgen, daher hier nur allgemein: Die Vortragsqualität fand ich ich allgemein recht hoch. Leider hat mir persönlich der Aufbau in den Räumen nicht gefallen: Vorne eine große Leinwand, daneben ein Podest, auf dem die Convener (die Sessionleiter) hocken, daneben ein Pult, hinter dem der Vortragende sich im Halbdunkel verstecken kann und sowieso nach schräg rechts gucken muss um auf die Folien zu zeigen. Wie ich früher schon angeregt hatte, sollte eigentlich der Vortragende der Mittelpunkt des Vortrags sein. Mir wäre es lieber gewesen, gleich neben der Projektionsfläche stehen zu können, damit man gleichzeitig Vortragenden und Folien sehen kann. Hinter dem Pult und Mikro ist man auch arg eingeschränkt in seinen Gesten, was insgesamt alles nicht zu einem schwungvollerem Vortrag einlädt.
Die Inhalte der Vorträge – humm. Ich hab ehrlich gesagt wenig neue Ideen gesehen, vor allem in den eher geophysikalischen Bereichen. Bei den hydrologischen Sessions war eine mit ein paar sehr interessanten Vorträgen dabei. Insgesamt ist es zwar immer ein gutes Gefühl, mit der eigenen Arbeit vorne dabei zu sein im eigenen kleinen Feld, aber ich habe doch etwas weniger Anregungen zu den Fragen bekommen, die mir im Kopf hocken, als ich mir gewünscht hätte. Es gab auch immer sehr wenig Fragen zu den Vorträgen, das war ein wenig schade. Wenn man viel Diskussion möchte, scheint in San Francisco tatsächlich ein Poster die bessere Wahl zu sein. Aber dazu mehr in einem späteren Beitrag.
Aber das ist ja doch nicht das eigentliche Ziel einer Konferenz. Das ist “Socialising”. Und tatsächlich habe ich eine Menge Leute getroffen und gesprochen, die ich vorher noch nicht persönlich kannte. Und ich habe abends eine Menge mit guten Freunden und Kollegen unternommen, was die Konferenz so genial gemacht hat. Wirklich, ich bin Samstag morgen mit hängendem Kopf abgereist, auch wenn ich müde bis ins Mark war hätte ich noch 2-3 Wochen so weitermachen können. Dass ich dann in Denver für den Flug nach Frankfurt auf Business Class aufgestuft wurde (Un-glaub-lich! So muss man fliegen!) und in Frankfurt gelandet bin als mal kurz kein Schnee fiel; und auch noch sauber durch das Chaos im Flughafen kam, und mein Koffer in letzter Sekunde ankam hat dann etwas entschädigt. Aber ich würde gerne gleich wieder zurück nach San Francisco! Tolle Stadt, tolle Leute, tolle Konferenz!
Zum Schluss sei noch lobend erwähnt, dass die AGU Blogs wahr- und ernst nimmt. Es gab ein Mittagessen für Geoblogger, und dort war auch in der Diskussion klar, dass die AGU Blogs ernst nimmt und aktiv unterstützen möchte. Ich kann euch auch nur raten, das AGU Blog-Netzwerk zu verfolgen, dort gibt es viele spannende Beiträge zu Themen, von denen man nicht sofort erwarten sollte dass sie interessant sind. Und ich habe auch insgesamt den Eindruck, dass Wissenschaftsblogs in der Wahrnehmung deutlich steigen; hoffentlich auch in Europa. Vor allem in Deutschland sind Blogs ja leider immer noch dieses obskure Dingens für ungewaschene Kellerwesen. Ich weiß nicht genau warum, aber ich vermute dass es neben der allgemeinen Technophobie auch daran liegt, dass Blogs eine sehr stark persönliche Note haben; und diese ist eben manchmal nicht sehr bequem. Ich finde, das ist ja die Stärke der Blogs und der beste Zugang zu Wissenschaft, den man Menschen bieten kann. Aber das ist vermutlich ein Thema für einen separaten Beitrag.
* SNOOT: z.B. “Sprachgefühl Necessitates Our Ongoing Tendance”, siehe Wallace, D. F. (1999): Authority and American Usage; in: Consider the Lobster.
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