Quasi nebenan nimmt die Welt neue Formen an: Ob in Experimenten, die größer und weiter draußen sind als alle anderen jemals zuvor, oder ob nur ein Mathematiker mit dem Bleistift auf dem Papier Geometrien formt, die mehr Dimensionen haben als zwei von uns sich gemeinsam komfortabel vorstellen können; und die doch noch zu einfach sind um unser Universum zu modellieren – oder gar alle Universen die es gibt?
Zwei topaktuelle Bücher, die durchaus unterschiedliche Zielgruppen ansprechen, geben persönliche Einblicke in die Welt am Außenrand der Experimental- und theoretischen Physik.


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Einen besonderen Weg, die aufregenden neuen Detektoren und Großexperimente der Physik vorzustellen, hat Anil Ananthaswamy in The Edge of Physics gefunden: Er ist hingefahren.
Wer einfach zugängliche Bücher zur aktuellen Physik im Stile von Simon Singhs “Big Bang” sucht, dem kann ich das hoch unterhaltsame “The Edge of Physics” wirklich empfehlen. Bei vielen Experimenten die Ananthaswamy vorstellt, bieten seine Reiseerlebnisse dem Leser einen einfachen Zugang. Aber die Reisen bilden nur den Rahmen, im Wesentlichen wird die Geschichte und die aktuellen Fragen der modernen Physik mit viel Geschick erzählt, durchaus in der Qualität von Simon Singh; aber dann auch die Detektoren und Experimente selbst erklärt. Bemerkenswert ist hier, wie die Durchführenden der Experimente, die Physiker, die Planer, die Techniker in den Mittelpunkt gerückt werden und so ein toller Zugang zur wissenschaftlichen Arbeit geboten wird, nicht nur zu den Ergebnissen.
Manche Experimente werden etwas kurz abgehandelt, aber die Detektoren an extremen Orte, die die spannendsten Reiseberichte bieten, kommen entsprechend zu mehr Raum. Ob es zu Neutrinodetektoren im Baikalsee geht (und wie dort die Straßen aussehen), oder wie in der Antarktis Ballonexperimente gestartet werden: Ananthaswamy hat es mitgemacht, und vermittelt moderne Physik mit der Spannung klassischer Expeditionsberichte.
Die Grenzen moderner Physik stellt er sehr rund dar, am Ende vielleicht sogar zu rund, wenn es um moderne Kosmologie und die Viele-Welten-Interpretation geht. Dennoch, mir war vorher nicht klar, dass es für (moderne) Viele-Welten-Interpretationen mehrere unabhängige Linien an Hinweisen gibt. Und da hilft es, sich gleichzeitig (eines habe ich gehört und eines gelesen) ein Buch zur Geometrie der String-Theorie reinzuziehen.


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In The Shape of Inner Space stellt Fields-Medaillist Shing-Tung Yau mit Hilfe des etablierten Autors Steve Nadis aus seiner Sicht als Mathematiker die Entwicklungen in der Geometrie und ihre Verbindungen zur String-Theorie dar. Das Buch ist teilweise ziemlich technisch, aber trotzdem noch ein populärwissenschaftlicher Zugang. Mir hat es sehr gefallen, dass Yau tatsächlich die ganze mathematische Tiefe seiner Forschung dargelegt hat, auch wenn ich längst nicht alles verstanden habe. Aber auch mit teilweisem Verständnis habe ich unheimlich viel Neues über String-Theorie gelernt, und die moderne Mathematik der Geometrie, die teilweise unabhängig davon solide Ergebnisse gebracht hat. Da ist sicherlich ein deutlich fester Fundament unter der String-Theorie, als man glaubt und als oft gehörtes Huha einen glauben machen will.
Vor allem für die erste Hälfte des Buches ist ein wenig echtes Mathematik-Wissen wahrscheinlich ziemlich wichtig, aber in der zweiten Hälfte wird es doch etwas entspannter, und man bekommt einen dichten Überblick über die Entwicklung der String-Theorie aus Sicht eines der Top-Leute der Mathematik. Grundsätzlich war der Beweis eines Theorems von Calabi der Grundstein für die Entwicklung von höherdimensionalen Räumen, die spezielle Anforderungen z.B. an die Metrik (Kähler-Metrik) stellt. Die Idee dahinter war aber, dass man Räume mit Gravitation haben kann ohne Masse zu haben! Yau konnte dieses Theorem beweisen und arbeitete an der Konstruktion dieser Räume. Die Bilder der zerknüllten Formen kennt jeder, der ein bisschen über String-Theorie gelesen hat: Die Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten.
Zusammen mit Untersuchungen der Eigenschaften der Räume in Bezug auf ihre Löcher konnten Physiker später spannende Sachen damit anstellen und die berühmten zehndimensionalen Räume untersuchen (unser normaler Raum mit Horden an zusammengerollten sechsdimensionalen Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten), die zumindest in Spielzeugmodellen automatisch Dinge wie Gravitation oder verschiedene Teilchenfamilien hervorbrachten. Trotz dieser Fortschritte scheinen Calabi-Yau-Räume noch zu einfach zu sein, und die geometrischen Strukturen der elfdimensionalen M-theorie sind noch unvollständig verstanden.
Aber gerade wo Dinge wie die 10500 verschiedenen Konfigurationen des Universums, die aus der Zahl möglicher stabiler Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten stammt und einer der Hinweise auf die Viele-Welten-Theorie ist, herkommen versteht man durch dieses Buch viel besser.
Wahrhaftig kein einfaches Buch, aber es lohnt sich auch so richtig!


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Kommentare (1)

  1. #1 Frank Wigger
    03/04/2011

    Hallo Herr Rings,

    es freut mich, dass Sie das Buch “The Edge of Physics” so loben. Es wird im Herbst dieses Jahres in deutscher Übersetzung bei Spektrum Akademischer Verlag erscheinen (ist noch nicht angekündigt). Ich war als der verantwortliche Planer auch gleich angetan von dem Werk und hoffe natürlich, dass die deutsche Ausgabe eine gute Aufnahme finden wird.

    Mit besten Grüßen

    Frank Wigger