Weniger Mädchen um Atomzwischenlager Gorleben! Ein signifikanter Unterschied, und er glaube nicht an einen Zufall, sagte Ralf Kusmierz dem NDR. Ist da irgendetwas dran?

Stutzig machen muss ja schon, dass weder die Zahlen genannt noch die Studie verlinkt ist. Dass eine Suche nach den Autoren Hagen Scherb und Kristina Voigt vor allem Anti-Atom-Agitationsseiten zu Tage fördert die gierig die offenbar regelmäßig herausgegebenen Meldungen dieser Art wiedergeben. Unkritisch, versteht sich. Ein Blick in das NDR-Forum lässt dann schnell die Zweifel wachsen: Da finden sich gleich Leute, die anscheinend die Studie gefunden haben und festgestellt dass die angebliche signifikante Änderung 120:111 männliche gg weibliche Neugeborene betrifft. Eine lächerliche Statistik (die rate ist übrigens sowieso nicht 1:1, sondern eher 51:49). Ich würde mir das trotzdem gerne mal direkt ansehen, aber leider funktionieren die Server des Helmholtz-Zentrums München* nicht, jedenfalls kann ich seit Tagen die PDFs nicht erreichen.
Ich würde das aber gerne selbst sehen. Wenn jemand in einem Interview etwas behauptet, dann ist das bedeutungslos. Ich muss ihm nicht glauben. Wenn es aber so eine steile These ist, dann möchte ich es selbst überprüfen, und das steht in der echten wissenschaftlichen Publikation. Ich möchte auch nicht, dass mir jemand meine Forschungsresultate glaubt, weil ich sage was ich herausgefunden habe. Ich will, dass er meine Methoden, Daten und Ergebnisse ansieht und sich davon überzeugen lässt. Nur so kann Wissenschaft funktionieren.
ResearchBlogging.orgAlso begebe ich mich auf die der Suche nach echter Literatur (also veröffentlichten, peer-reviewten Papern), und finde ein Paper von 2007 von Hagen Scherb und Kristina Voigt, das in europäischen Geburtenraten nachschaut, ob das Tschernobyl-Unglück eine Verschiebung der Geburtenraten in Deutschland und Europa verursacht hat.

Die Hypothese

Die Basis jeder wissenschaftlichen Arbeit bildet eine gute Arbeitshypothese. In diesem Fall befassen wir uns mit dem Gedanken, dass Umwelteinflüsse Auswirkungen auf genetisch vererbte Merkmale haben können, speziell radioaktive Strahlung. Grundsätzlich kann Strahlung Verschiebungen in den Geschlechtern auslösen, wenn Mutationen auf dem X-Chromosom tödliche Gene erzeugen. Eine rezessive mutiertes Gen in Müttern würde z.B. nur männlichen Nachwuchs schaden, da die Töchter durch ein zusätzliches X geschützt werden. Der Zusammenhang ist aber keineswegs einfach, da er davon abhängt ob Mütter oder Väter stärker der Strahlung ausgesetzt sind. Die Richtung der möglichen Verschiebung in den Geschlechtern lässt sich also nicht ohne weiteres vorhersagen.
Die Hypothese, auf der die Arbeit von Scherb&Voigt basiert, ist aber spezieller. In früheren Arbeiten wurde aus Beobachtungen die Verschiebung zu mehr männlichen Geburten in der europäischen Nachbarschaft von Tschernobyl postuliert. Die Studie möchte nun Länder in ganz Europa in den Geburtenraten nach einem solchen Trend suchen.
Die Arbeitshypothese würde ich also als ausreichend motiviert bezeichnen; gerade solch ein großes Unglück bietet dann die Chance, eine ungewünschte große Statistik aufstellen zu können.

Sprunghafte Linien

Das Unglück von Tschernobyl geschah im April 1986, es müsste eine solche Verschiebung in der Geschlechterverteilung bei den Geburten also für 86/87 zu finden sein. Daher haben sich Scherb und Voigt die Geburtenraten aus europäischen Ländern (Tschechei, Dänemark, Finnland, Deutschland, Ungarn, Norwegen, Polen und Schweden, also ost- zentral- und nordeuropäische Länder) von 1982 bis 1992 angesehen, und als Größen für die Analyse den Anteil an männlichen Geborenen (liegt um 0.51) und die gemessene radioaktive Strahlenbelastung aus Cs-137-Messungen.
In den nach Ländern aufgetrennten Zeitserien der Geburtenrate wurde zunächst ein Trend gesucht:

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Reproduziert nach Scherb&Voigt 2007

Wie man sieht, wurde zunächst ein linearer Trend an die Daten gefittet (vergessen wir erstmal den Sprung). Dieser zeigt eine leicht abnehmende Tendenz, also eine langfristige Verschiebung zu mehr Mädchengeburten. Ob dieser Trend jedoch “echt” ist, ist schwierig zu sagen. Solch einen Trend an lediglich 10 Jahre zu fitten ist nicht sonderlich aussagekräftig, und erinnert ein wenig an die Bemühungen der Klimawandelleugner, einen Nicht-Erwärmungs-Trend seit 1998 auszumachen. Die Fähigkeit, einen solch kleinen Trend zu messen hängt am Verhältnis Signal zu Rauschen. Und wenn man sich das Rauschen ansieht, also die Sprünge die die Kurve macht, dann würde ich einfach mal sagen dass hier das Rauschen den Trend völlig überdeckt. Ich verstehe hier nicht die Wal der Jahre 1982-1992. Ich würde vermuten, dass es kein großer Zusatzaufwand wäre, eine längere Zeitreihe zu erhalten wenn man schon diese Daten bekommt, und den linearen Trend mal an 20-30 Jahre zu fitten.
Leider ist es online nicht ohne weiteres möglich, an diese Zeitreihen zu kommen, vor allem aufgeteilt nach Geschlecht, sonst hätte ich das schnell versucht. Mal sehen, vielleicht besorge ich mir die Reihen noch, oder hat jemand die zufällig? Wäre mal interessant zu sehen, was noch von diesem Trend übrig bleibt.

Aber wie auch immer, zentral ist eine andere Sache hier: Dass die gefittete Kurve noch einen Sprung zwischen 1996 und 1987 enthält. Leider ist der Methodenteil sehr dünn und ich weiß nicht genau wie der Sprung berechnet wird, womöglich proportional zur Strahlenbelastung. Verwunderlich ist aber schon, wie man noch einen zusätzlichen Sprung in 1986/7 festsetzt, wenn ein solcher doch eigentlich das ist was man suchen möchte. Entschuldigt mich einen Moment.

Schritte nach draußen. Türe schließt.OH MEIN GOTT WAS MACHEN DIE DENN DA???Türöffnen. Schritte.

So da bin ich wieder. Wenn man sich die Kurven so anschaut, findet man schon einen Sprung in 1987, vor allem in den osteuropäischen Ländern und Deutschland. Allerdings finden sich ohne weiteres Sprünge, die ebenso groß sind, nach oben oder nach unten. Dass also in 1987 etwas Besonderes passiert sei, lässt sich aus dem Kurvenverlauf nicht vermuten. Diese zusätzliche Information jetzt dort hineinzustecken ist fragwürdig.
Hier wäre mein Vorschlag: Man fittet eine Kurve, die in einem Jahr einen Sprung machen darf, nach oben oder unten. Dann fittet man blind: Man gibt nicht das Jahr des Sprungs vor, sondern lässt das mögliche Sprungjahr über den gesamten Zeitraum variieren und schaut, wo ein solcher Fit ein besonders gutes Ergebnis gibt. Würde dabei rauskommen, dass mit einem Sprung in 1987 tatsächlich bessere Fits herauskommen würden als mit einem nur linearen Trend, wäre dies wohl eine Aussage mit ein wenig Kraft. Allerdings ist ja hier der lineare Trend schon fragwürdig, aber das zusätzliche Modell würde noch einen Freiheitsgrad, einen weiteren freien Parameter, einführen und dies müsste in der Bewertung, ob linearer Trend oder Sprungmodell besser passen, berücksichtigt werden. Hier könnte z.B. eine Maßzahl wie das Bayesian Information Criterion (BIC) helfen, die Modelle mit mehr Parametern zusätzlich bestrafen. Die Art, wie hier diese Kurve unkritisch einfach so gefittet werde, finde ich sehr gedankenlos.
Im Folgenden werden diese Kurven noch für alle europäischen Länder insgesamt gezeigt (mit 22 Millionen Geburten immerhin eine gute Statistik), und nur für die ostdeutschen Gebiete und Bayern:

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Reproduziert nach Scherb&Voigt 2007

Ha, da ist der Sprung doch gleich viel deutlicher und sticht gerade für Europa klar heraus! Aber Vorsicht, die y-Achse ist anders skaliert. Statt von 0.508 bis 0.518 geht sie nur noch von 0.512 bis 0.516. Ich erkenne keinen Grund, die Skalierung hier zu verändern, außer dass der Sprung so visuell beeindruckender erscheint. Aber warum ist z.B. Polen in den ersten Plots nicht auch so skaliert? Oder Deutschland? Die Ländergraphen haben eine interne konsistente Skalierung der y-Achse, und ich finde es wäre Aufgabe der Reviewer und des Editors gewesen, zu verlangen, diese in der zweiten Grafik fortzuführen. Oder wenigstens in Bildunterschrift oder Text darauf hinzuweisen, denn so übersieht man es beim schnellen Anschauen des Papers zu leicht.
Hier stellt sich weiterhin die Frage, wie die Autoren es rechtfertigen, des Trend in 1987 einzeln zu analysieren. Was ist in Deutschland 1984 passiert, gab es dort Antistrahlung?
Das ist natürlich polemisch, aber mein Punkt ist, dass ein einzelner Sprung in einer offensichtlich verrauschten Zeitserie nicht interpretierbar ist, und dass es ehrlich ist das auch nicht zu tun wenn man eine Vermutung hat, welches Einzelereignis das verursacht haben könnte. Anders herum müsste es sein: Wenn die Strahlenbelastung eine deutliche Verschiebung erzeugt hätte, müsste das Signal über dem natürlichen Untergrund deutlich auszumachen sein. Wenn hingegen das Signal nur schwach sei, dann müssen die anderen möglichen Ursachen für Sprünge ebenfalls einbezogen werden und die vorliegende Methode ist zu einfach. Aus den gezeigten Kurven ist keine Entscheidung möglich, ob oder ob kein Sprung in 1987 vorliegt.

Korrelation und Kausation

Im folgenden behandeln Scherb&Voigt dann den Hauptpunkt ihrer Arbeit, die Untersuchung ob die Strahlenbelastung den Sprung verursacht hat. Dazu gehen sie dann jetzt tatsächlich einmal so vor, dass sie ein Modell bauen dass für eine bestimmte Zeitperiode eine zusätzliche Strahlendosis berücksichtigt und mit einem Faktor in die Regression der Geburtenrate einbaut. Ich kann leider nicht beurteilen, ob dies aus Sicht ökologischer Modelle Sinn macht, mir kommt es irgendwie seltsam vor dass nur für einen begrenzten Zeitraum eine Strahlendosis angenommen wird. Warum kann man nicht gleich die Zeitserie von Geburten und Strahlenbelastung korrelieren? Nun gut, es ist wohl, um das Signal in der Zeitserie wiederzufinden, aber wenigstens ich finde diesen Ansatz fragwürdig.
Auch die Strahlenbelastungsdaten (die in obigen Plots über den Graphen stehen) würde ich interfragen. Es wird wohl mit der mittleren Belastung gearbeitet, aber wenn z.B. Deutschland mit 2-16 kBq/m² den gesamten Rahmen der anderen Länder abdeckt, wie gut ist dieses Maß dann, gerade im Vergleich zu Ländern für die s nur einen Wert gibt?
Wie dem auch sei, Modelle die für ein Jahr eine zusätzliche Dosis annehmen, zeigen tatsächlich eine fast signifikante Korrelation zu den Schwankungen in der Geburtenrate 1986 und 1987. Für 1991 ergibt sich erstaunlicherweise eine stärke Abweichung in der Geburtenrate, die aber einen höheren p-Wert hat (vermutlich weil hier einfach wenig zusätzliche Strahlenbelastung vorlag). Signifikant wird die Korrelation, wenn man 1986 und 1987 als Periode zusätzlicher Belastung erlaubt. Weiterhin frage ich mich aber, welche Aussagekraft ein p-Wert hat, wenn das Modell quasi so gebaut ist dass nur in Fenstern in denen es zusätzliche Strahlung gibt eine Korrelation existieren kann.
Es folgt noch ein genialer Plot, der die Korrelation zwischen Strahlenbelastung und Geburtenrate auf kleinere Ebene (Distrikte) angibt. Die Größe der Bälle entspricht der Bevölkerungszahl – wobei nicht klar ist ob der Fit der Kurve damit gewichtet wurde:

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Die Steigung scheint stark durch die wenigen Punkte hinten beeinflusst zu sein. An die Punktwolke vorne könnte man vermutlich auch die Börsenkurse von letzter Woche fitten. Das führt dann auch zu Sätzen wie “This non-adjusted, purely spatial analysis yields an even somewhat stronger association of male proportions and fallout”. Even somewhat stronger…und das als ein eh schon fragwürdiger Trend.
Ferner muss man natürlich auch nochmal festhalten: Selbst eine gute Korrelation würde noch nicht bedeuten, dass die Strahlung denn auch die Ursache wäre. Nur eine größere Zahl unabhängiger Studien mit der gleichen Korrelation würde das Vertrauen darin stärken können.

Diskussion

Die Diskussion im Paper beschränkt sich dann auch auf die Feststellung, dass die Messdaten mit einem generell abnehmenden Trend mit Sprung in 1987 konsistent sei. No shit Sherlock, bei dem Rauschen soll man auch mal finden dass das nicht sein kann. Ich will ja nicht sagen, dass es keinen Sprung in 1987 gab oder die Hypothese widerlegt sei, es ist einfach so dass die Studie nicht stark genug ist, irgendetwas für oder gegen die Hypothese zu sagen. Und da sagen uns Occams Rasiermesser und Diax’s Rake, dass wir dort kein Signal annehmen sollten.
Erstaunlich ist, dass der Großteil der Diskussion dann wieder Studien aufführt, die eine Veränderung der Geschlechterverteilung durch Strahlung plausibel machen. Das gehörte eigentlich in die Einleitung, und nicht in die Diskussion der Ergebnisse. Ich muss mal böse anmerken, dass Scherb und Voigt hier einfach nicht mehr zu sagen hatten und Füllmaterial brauchten.Gar nicht einverstanden bin ich mit den Schlussworten:

In conclusion, time trend analyses and spatio-temporal analyses of German and European birth statistics revealed certain disturbances of the sex odds after the Chernobyl accident.

Nein, absolut nicht, es konnte keine Störung der Zeitserie nachgewiesen werden. Sie kann nicht ausgeschlossen werden, aber das ist es auch schon. Siehe oben.

These results add evidence to related more recent findings in the field of radiation epidmiology […referenzenliste…] and cast doubt on the official assessment of the so called “low level” ionizing radiation by pertinent national and international instituions.

Schade, bis jetzt war es nur ein eher aussageschwaches Paper, aber die kräftige Behauptung, ja fast Verschwörungstheorie, dass offizielle Angaben zur schwachen Strahlenbelastung in Zweifel zu ziehen seien wertet dieses Paper doch sehr stark ab.

Zurück nach Gorleben

Und leider scheint das sich durch die weitere Arbeit von Scherb&Voigt zu ziehen. Wenn wir auf die NDR-Studie zurückkommen behaupten die Autoren dort – im Interview wohlgemerkt, ein Paper dazu gibt es ja nicht, höchstens einen internen Bericht oder ein Abstract das ich nicht bekommen – dass ein Geschlechterverhältnis von 120:111 im Umkreis von Gorleben kein Zufall sein könne. bemerkenswert ist, dass sie im besprochenen Paper früheren Studien mit einer Statistik von “nur” 100000en noch bestätigen, nur geringe Aussagekraft bezüglich einer Verschiebung von 1.06 auf 1.08 zu haben. Über die Gültigkeit der p-Werte wurde im NDR-Forum diskutiert, das ist auch nicht meine Stärke – ich denke dass man sieht dass diese Aussagen hier noch weit jenseits der Ergebnisse der obigen Studie sind. Kein Wunder, dass die “Veröffentlichung” eher über NDR und andere Medien geschieht, anscheinend auch systematisch. Ich möchte nicht die wissenschaftliche Integrität der Autoren angreifen, aber ich würde mir doch bei solch komplexeren Fragestellungen wünschen, dass die Autoren sich den selbstregulierenden Kräften der Wissenschaft stellen, bevor sie solch starke Aussagen treffen.
Und das wichtigste habe ich ja noch gar nicht erwähnt – mit Tschernobyl steht ja unzweifelhaft tatsächlich ein Antrieb für mögliche Verschiebungen da – eine eindeutige zusätzliche Strahlenbelastung. Um Gorleben und Asse jedoch wird keine erhöhte Belastung gemessen. Zwar ist schwache zusätzliche Belastung durchaus nicht einfach festzustellen; aber dadurch bricht auch, abgesehen von der miserablen Statistik, auch die Arbeitshypothese weg. Ich hoffe ja mir die tatsächliche Studie noch ansehen zu könne, aber an dieser Stelle ärgere ich mich wirklich. Nicht nur über die Autoren, die hier durch ihre Studien nicht gestützte Aussagen treffen, sondern vor allem auch über die Atomkraftgegner die blind alles bejubeln dass ihr einfältiges Weltbild bestätigt und vor allem über eigentlich seriöse Medien wie den NDR, der das völlig unkritisch wiedergibt. Und wo ich schon beim Ärgern bin, muss ich doch mal deutlich befinden: Die Anti-Atomkraftbewegung ist die Brutstätte der zunehmenden Palinisierung (Sarah, nicht Michael) der deutschen Gesellschaft, die in der Bagatellisierung des Guttenberg-Betrugs einen neuen Höhepunkt gefunden hat.

*Disclaimer: Als Mitarbeiter des Forschungszentrums Jülich werde ich auch durch die Helmholtz-Gemeinschaft bezahlt, zu der auch das Helmholtz-Zentrum München gehört.


SCHERB, H., & VOIGT, K. (2007). Trends in the human sex odds at birth in Europe and the Chernobyl Nuclear Power Plant accident Reproductive Toxicology, 23 (4), 593-599 DOI: 10.1016/j.reprotox.2007.03.008



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Kommentare (106)

  1. #1 Carl
    02/27/2011

    Dass Strahlenbelastung eine Verschiebung auslöst, kann man sich ja vorstellen, aber wenn selbst Tschnobyl k(aum ?)eine signifikante Änderung bewirkt, wie kann man dann ernsthaft annehmen, dass eine Änderung um Gorleben, falls sie denn existiert, durch Strahlung verursacht wird? Hmm, etwas absurd.

  2. #2 Tyde
    02/27/2011

    Wenn man bei Google “Kusmierz Helmholtz” sucht und dann bei dem ersten Eintrag auf Quick-View drückt, bekommt man die Datei des Originalautors der Studie zu sehen, da
    diese noch im Google Cache ist:

    Ich weiß jetzt nicht ob der Link jetzt einfach so Funktioniert, falls nicht, eben auch mal die Suchanfrage wie oben versuchen:
    https://docs.google.com/viewer?a=v&q=cache:ewzL-vsD_RwJ:ibb.gsf.de/homepage/hagen.scherb/KusmierzVoigtScherbEnviroInfoBonn2010.pdf+Kusmierz+Helmholt&hl=en&pid=bl&srcid=ADGEESiTpXA9PIv3hExisdUilCGSbqh78BZN6hzzIGsE9H20HSOfp3a64IWylIf4Xg4VU-K6O2sh3eOk2pb4xmGhC4mQ6CQupEbeSTaK53ycCR4VCqZy9B1dKYjmOwG0pcQWU5E1TFy4&sig=AHIEtbTlFq8Al6NbGxLakswYEJ88Qh4jvQ&pli=1

  3. #3 Hagen Scherb
    02/27/2011

    Diese Arbeit war nur eine kleine “Stichprobe”.
    Aktuelle Arbeit hier: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21336635

  4. #4 YeRainbow
    02/27/2011

    Mir kommt die Aussage aus einem ganz anderen Grund merkwürdig vor.
    Normalerweise nämlich sind männliche nachkommen empfindlicher – besonders in der Zeit vor der Geburt.
    Mir leuchtet nicht ein, weshalb es im untersuchten Fall anders sein sollte.
    Klingt durch und durch widersinnig.

  5. #5 Axel
    02/27/2011

    Mir war das schon lange suspekt.

    Es dürfte ja wohl kaum relevant Strahlung in den umliegenden Wohngebieten ankommen. Wenn überhaupt was messbar ist. Gibt es dazu irgendwelche Quellen?

  6. #6 NK
    02/27/2011

    Was mich in der Studie (der Teil über Nähe zu NFs) stört ist die Wahl der Rayleigh-Funktion als Modell. Damit schränkt die Richtung in die es gehen kann, ziemlich stark ein und lässt als Hypothesen nur solche zu, die einen einzelnen (möglicherweise sehr kleinen) Peak besitzen, der tendenziell in NF-Nähe ist. Außerdem kann die Funktion unter einen gewissen Wert nicht sinken.
    Nähme man ein Modell, dass einen Peak mehr erlaubt, hätte man vermutlich einen besseren Fit mit einem neuen Tiefpunkt bei 40km, der von der fachlichen Logik her nicht ins Bild passt* – ähnlich wie das jetzt schon vorhandene Minimum im 10km-Umkreis.
    Insofern: Interessante Studie, aber die Daten werfen ernsthafte Fragen hinsichtlich der Realitätsnähe des verwendeten Modells auf.
    Zuletzt ist der gezeigte mögliche Effekt gegenüber dem Rauschen relativ klein. Das ist im rein wissenschaftlichen Kontext wahrscheinlich nicht so relevant, aber spätestens, wenn es um Atomgegnerschaft geht, sollte man das im Auge behalten.

    *Vielleicht doch, kenne mich da nicht aus. Aber dann wäre es ehrlicher, diesen Peak mit zu modellieren und zu erklären, statt ihn zu übergehen.

  7. #7 zulu
    02/27/2011

    Sehr interesaanter Post, danke! Nur der mit dem Rasiermesser heisst Ockham, so viel Zeit muss sein.

  8. #8 Arno Nym
    02/27/2011

    Ich habe gewisse Zweifel ob sich eine eventuelle Verschiebung des Geschlechtergeburtsverhältnisses einfach an einem Vergleich der Daten ganzer Landes beurteilen lässt.

    Die radioaktiven Materialien (“Fallout”) haben sich nicht überall gleichmäßig verteilt. Wie man an dieser Karte ( https://www.tschernobylkinder.ch/wp-content/gallery/Kontaminierung/Karte%20Europa.jpg )erkennen kann ist es in Europa zu regional tlw. höchst unterschiedlichen Kontaminationen gekommen. Noch deutlicher wird dies an der Karte von Oberösterreich (fast genau 150 km lang und ebenso breit) ( https://www.waldwissen.net/wald/klima/immissionen/bfw_radionukleide/index_DE ).

    Die Überprüfung des behaupteten Effektes wäre daher wahrscheinlich durch den Vergleich von hoch belasteten Regionen mit gering belasteten Regionen sinnvoller.

  9. #9 Armin
    02/27/2011

    Also wenn ich mich recht entsinne, ich hatte mich mal kurz bevor mein Sohn auf die Welt kam damit auseinandergesetzt, gab es früher mal mehr Jungs wie Mädchen, da die Säuglingsterblichkeit bei Jungs wohl höher war. Den Ausleich atte die Natur wohl als Tendenz so eingerichtet??

    Dann kam es mit diversen negativen (Umwelt)Einflüssen (Stess, Ernährung,…), besonders in den Industrieländern zu einer Verschiebung zu Gunsten der Mädchen. Das wurde mir auch mal irgendwie statistisch biologisch erklärt (Erhaltung der Art u.s.w.). Diese Verschiebung hatte aber keine signifikanten Auswirkungen, da die Säuglingssterblichkeit nachließ.

    Vielleicht können da Biologen analogien zu den anderen Säugetieren aufzeigen?

    Wenn in dieser Gegend jetzt mehr Jungs gibt – kann das nicht einfach auch nur heißen – dass da die Welt noch in Ordnung ist?? 😉

  10. #10 BreitSide
    02/27/2011

    xxx

  11. #11 Stefan W.
    02/28/2011

    Als Atomkraftgegner möchte ich mich nicht auf falsche, schlampige, gefälschte oder überzogen interpretierte Studien stützen. Es ärgert mich aber, wenn es heißt: “[Ich ärgere mich…] Nicht nur über die Autoren, die hier durch ihre Studien nicht gestützte Aussagen treffen, sondern vor allem auch über die Atomkraftgegner die blind alles bejubeln dass ihr einfältiges Weltbild bestätigt und vor allem über eigentlich seriöse Medien wie den NDR, …”.
    Das kann man nun auf 2 Weisen lesen: a) “Ich ärgere mich über die Teilmenge von Atomkraftgegnern, für die gilt …” oder b) “Ich ärgere mich über Atomkraftgegner, denn für diese gilt: …”. (blind, einfältig)

    Für mich klingt das sehr pauschal, und ich habe die 2. Lesart als beabsichtigt identifiziert – beim kritischen Hinterfragen stelle ich aber fest, dass Lesart 1 auch möglich wäre. Allerdings wird ja weiter oben bereits eingestimmt: “Anti-Atom-Agitationsseiten … die gierig die … Meldungen dieser Art wiedergeben. Unkritisch, versteht sich.” Versteht sich?

    Wieso versteht sich das? Wenn die Leute so unkritisch sind, wieso glauben sie dann nicht den Verheißungen der Stromwirtschaft? Gut – diese Frage führt zu nichts, und ist darum dumm. Ich würde es jedenfalls bevorzugen, dass ein Artikel der vorgibt mich aufklären zu wollen, nicht gleichzeitig agitiert, und Stereotypen von Atomkraftgegner verbreitet.

  12. #12 Ralf Kusmierz
    02/28/2011

    Vielen Dank für Ihr Interesse und dieses Blog, auf das ich gerade aufmerksam gemacht wurde. Die Originalarbeiten können unter der Adresse https://www.helmholtz-muenchen.de/ibb/homepage/hagen.scherb/proceedings.html eingesehen werden (der andere Server tut es gerade nicht).

    Die Meldung zu Gorleben stiftet in der Tat Verwirrung: Die Zahlen 120 Jungen und 111 Mädchen sagen in der Tat nichts aus, sie sind auch nur wegen einer arg verkürzt darstellenden DPA-Meldung in der Welt. Was also steht in der Original-Studie?

    Enttäuschung: Die gibt es gar nicht, sondern nur eine Mitteilung über Auffälligkeiten in der Gorleben-Region, also dem niedersächsischen Wendland, die sich auf die amtlichen Geburtenzahlen nach Gemeinden, die man seit 1971 beim LSKN herunterladen kann, stützen. Also kein reviewtes Paper, sondern nur Zahlen, die aber jedermann selbst leicht überprüfen kann.

    Verglichen werden für verschiedene Entfernungsbereiche vom Transportbehälterlagerstandort die Geburtenzahlen bis 1995 und nach 1995. (Ich hoffe, daß das System jetzt nicht die Tabellenformatierung in Richtung “unlesbar” zerhackt – da das aber vermutlich doch der Fall sein wird, stelle ich den wesentlichen Teil hier: https://www.cshare.de/file/f4b29d009f35c76bb97cfe635ce10ba2/Geburten_Gorleben.pdf richtig formatiert zum Download bereit (steht nur vier Wochen zur Verfügung).)

    Es wurde ein Untersuchungsgebiet gem. folgender Kartendarstellung https://img26.imageshack.us/img26/3259/umgebunggorleben.png definiert und in drei Entfernungszonen eingeteilt:

    Zone A (Innere Zone – rot)
    Gemeinden: Gorleben, Höhbeck und Trebel

    Zone B (Mittlere Zone – orange)
    Gemeinden: Damnatz, Gartow, Gusborn, Langendorf, Lemgow, Lübbow,
    Lüchow, Prezelle, Schnackenburg und Woltersdorf

    Zone C (Äußere Zone – blau)
    Gemeinden: Bergen, Clenze, Dannenberg, Göhrde, Hitzacker,
    Jameln, Karwitz, Küsten, Luckau, Nahrendorf,
    Neu Darchau, Rosche, Schnega, Stoetze, Suhlendorf,
    Tosterglope, Waddeweitz, Wustrow und Zernien

    (Die gemeindefreien Gebiete Göhrde und Gartow wurden grau eingefärbt. Amt Neuhaus ist erst seit 1993 bei Niedersachsen und wurde deswegen nicht berücksichtigt.)

    In den drei Zonen wurden folgende Zahlen Lebendgeborener registriert:

    1971-1995
    95-%-Konfidenz-
    m w m/w intervall von m/w
    Zone A: 266 294 0,9048 0,7636 1,0716
    Zone B: 2190 2138 1,0243 0,9646 1,0877
    Zone C: 4501 4411 1,0204 0,9787 1,0639
    Zonen A+B+C: 6957 6843 1,0167 0,9832 1,0513

    1996-2009
    95-%-Konfidenz-
    m w m/w intervall von m/w
    Zone A: 120 111 1,0811 0,8281 1,4123
    Zone B: 1091 967 1,1282 1,0337 1,2315
    Zone C: 2260 2104 1,0741 1,0118 1,1404
    Zonen A+B+C: 3471 3182 1,0908 1,0393 1,1449

    Daraus ergeben sich folgende Geschlechtschancenverhältnisse der Geburten im Vergleich nach 1995 und bis 1995:

    Zone A: 1,1949; p-Wert = 0,2554
    Zone B: 1,1014; p-Wert = 0,0716
    Zone C: 1,0527; p-Wert = 0,1650
    ————————————
    Zonen A+B: 1,1124; p-Wert = 0,0357
    Zonen A+B+C: 1,0729; p-Wert = 0,0184

    Alle drei Zonen weisen damit entgegen dem allgemeinen fallenden Trend einen Anstieg der Sexodds nach 1995 auf, der mit zunehmendem Abstand vom Transportbehälterlager abnimmt. Die Anstiege in den einzelnen Zonen sind wegen der geringen Fallzahlen nicht signifikant (p-Werte 0,2554; 0,0716 und 0,1650 – die Zone B ist dabei borderline-signifikant).

    Wohl aber ist der Anstieg von 11,24 % in den Zonen A und B zusammengenommen auf dem 95-%-Niveau signifikant mit einem p-Wert von 0,0357, und alle drei Zonen A, B und C zusammen weisen einen sehr signifikanten Anstieg von 7,29 % bei einem p-Wert von 0,0184 aus.

    Im Ergebnis kann man als gesichert betrachten, daß seit der Inbetriebnahme des Transportbehälterlagers in Gorleben in der Region signifikant weniger Mädchen geboren werden als zuvor, und zwar umso mehr, je näher sich die Wohnung der Mutter am Lagerbehälterhaus befindet.

    Man kann – das hat Dr. Scherb vom HMGU gemacht (unveröffentlicht) – an die jährlichen Geburtenzahlen der Gemeinden in der Region in einer Entfernung bis zu 35 km vom TBL mit einem Changepointmodell eine Rampenfunktion anfitten, also einen linearen Verlauf bis zu einem Changepoint, und von diesem an einen neuen linearen Verlauf. Wenn man als Changepoint den Zeitpunkt 1995/96 nimmt, dann erhält man zunächt bis dahin einen dem allgemeinen Trend entsprechenden Abfall der Sexodds von ca. 1,05 im Jahr 1971 auf ca. 0,995 1995/96, und von da an steigen die Sexodds bis 2009 dann auf ca. 1,19 an. Dieses Modell hat einen p-Wert von 0,0188 – das ist sehr signifikant, der Anstieg ist ganz drastisch.

    Problem dabei: Aus den Behältern tritt aber gar keine Radioaktivität aus. Zumindest gibt es keine plausiblen Hinweise darauf. (Und das ist auch der Grund, warum diese Informationen von uns nicht als Studie oder Factsheet veröffentlicht werden, sondern nur als Mitteilung weitergegeben – in die Öffentlichkeit kam sie über die Empfänger.)

    Diese Feststellung über “fehlende” Emissionen habe ich auch nicht verheimlicht, sondern sowohl der DPA als auch dem NDR mitgeteilt, der das auch in dem Interview wiedergegeben hat.

    Es wäre natürlich sinnvoll, auch noch die Zahlen aus den Nachbargemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt anzusehen – leider liegen die mir (noch) nicht vor.

    Was die “Wirkungsrichtung” angeht: Abgesehen davon, daß der Einfluß des Tschernobyl-Fallouts in den Zeitreihen ganz offensichtlich ist und diese Beobachtung selbstverständlich auch entsprechenden statistischen Tests standhält, ebenso die Beobachtungen zum Nahbereichseffekt um die Nuklearanlagen, die qualitativ genau dem Befund der KiKK-Studie entspricht (die entsprechende /vorläufige/ Veröffentlichung vom Oktober 2010 ist ebenfalls reviewed) und sich die Effekte auch bei anderen Indikatoren wie der Säuglingssterblichkeit, der Totgeburtlichkeit und angeborenen Fehlbildungen zeigen lassen (s. etwa Alfred Körblein) – einen unterschiedlichen Einfluß bei der Bestrahlung von Mann oder Frau zu postulieren ist gänzlich unbegründet. Zunächst einmal sind X- und Y-Spermien annähernd gleich häufig (wenn sie sich auch physiologisch ein wenig unterscheiden), und es gibt ferner keinen Anlaß für eine präkonzeptionelle Beeinflussung. Für die oft wiederholten Behauptungen, männliche Embryonen seien empfindlicher, gibt es überhaupt keine Belege. Vielmehr scheint es so zu sein, daß sie teratogene Einflüsse besser überstehen, was dann dazu führt, daß die geschädigten weiblichen Foeten gar nicht erst bzw. nur tot geboren werden, hingegen aber die geschädigten männlichen die Schwangerschaft überleben, aber anschließend durch erhöhte Anteile bei der Säuglingsterblichkeit auffallen, weswegen nach radioaktiven Belastungen sowohl der Anteil der männlichen Lebendgeborenen als auch ganz überproportional der der gestorbenen männlichen Säuglinge ansteigt. (Übrigens beobachtet amn das nicht nur nach Tschernobyl und um mitteleuropäische Nuklearanlagen herum, sondern auch in Japan nach den chinesischen atmosphärischen Kernwaffentests.)

    Kann es angesichts dieser erdrückenden Befundsituation denn wirklich noch Zweifel an der negativen gesundheitlichen Wirkung der Niedrigdosis-Immissionen geben?

    Der physiologische Mechanismus ist in der Tat nicht bekannt, wegen der ganz unterschiedlichen Immissionszusammensetzungen bei den verschiedenen Ereignissen mag es unterschiedliche geben. Für Kernreaktoren ist der wahrscheinlichste die Aufnahme von Tritium aus der Luft, dessen Wirkung offenbar um drei Größenordnungen unterschätzt wird:
    https://ec.europa.eu/energy/nuclear/radiation_protection/doc/publication/152.pdf (8.5 Discussion, S. 96).

    Mit freundlichen Grüßen
    Ralf Kusmierz

  13. #13 Marvin
    02/28/2011

    Nur eine kurze Anmerkung am Rande, weil der Fehler im Beitrag penetrant wiederholt wird: Im Deutschen sagt man normalerweise nie “in Jahreszahl” (also “in 1987”), sondern entweder kürzer(!) einfach nur die Jahreszahl (“etwas ist 1987 geschehen” und nicht “etwas ist in 1987 geschehen”) – oder ausführlich mit “in dem Jahr”.

  14. #14 schulten
    02/28/2011

    @Kusmierz: danke, sehr interessant!

  15. #15 YeRainbow
    02/28/2011

    Mal sehen, ob mir da was über den Weg läuft, was ich verlinken kann.
    Denn in gewissen Kreisen (Biologen zB – ich bin aber kein Biologe, sondern verfolge deren Ergebnisse nur interessiert) wird sehr wohl fest behauptet, daß männliche nachkommen schon von vornherein empfindlciher wären.
    Bis hin zu solchen Effekten, daß bei Störungen in der Entwicklung es durchaus vorkommen kann, daß sich der Fetus zu einem weiblichen formt, obwohl genetisch eindeutig männlich…
    Oder aber eben, daß schon bei Nidation/Zellteilungsentwicklung etc Störungen zum kompletten Abbruch der Entwicklung führen.

    Daß es mehr männliche Nachkommen gibt – im Normalfall – dürfte wohl damit zusammenhängen, daß Spermien mit Y-chromosom (was zu genetisch männlichem nachwuchs führt) leichter und somit schneller sind…

  16. #16 Arnd
    02/28/2011

    Ich meine mich erinnern zu können dass die Ernährungslage einen deutlichen Einfluß auf das Geschlechterverhältnis bei der Geburt hat. Ist die Ernährungslage gut, werden mehr Jungen geboren, ist sie schlecht, mehr Mädchen. Vielleicht hatten die Leute in Gorleben einfach viel gutes Essen?

  17. #17 Jörg
    02/28/2011

    Zunächst einmal danke an Hagen Scherb für das verlinkte neue Paper, das werde ich mir selbstverständlich auch ansehen und hoffentlich dazu kommen, dazu auch etwas zu schreiben. Aber darf ich einmal frech fragen, wie hat das 2007er Paper es durch das Review geschafft? Ich meine das meiste, was ich oben geschrieben habe hätte ich so in ein Review geschrieben, und da hätte ich vermutlich mindestens major revisions gefordert, vielleicht sogar abgelehnt. Sind diese Fragen nicht im Review aufgetaucht oder beim Editor?

    Und danke auch an Ralf Kusmierz für die ausführliche Darstellung, was denn wirklich den NDR-Meldungen zugrunde liegt. Leider geht die Geschichte für mich aber immer noch nicht auf.

    Enttäuschung: Die gibt es gar nicht, sondern nur eine Mitteilung über Auffälligkeiten in der Gorleben-Region, also dem niedersächsischen Wendland, die sich auf die amtlichen Geburtenzahlen nach Gemeinden, die man seit 1971 beim LSKN herunterladen kann, stützen. Also kein reviewtes Paper, sondern nur Zahlen, die aber jedermann selbst leicht überprüfen kann.

    Das verwundert mich schon, eigentlich hat das Schreiben von Papern den Sinn, schwierige Sachverhalte darzustellen und mit dem wissenschaftlichen Prozess zu konfrontieren, und wenn die Schlussfolgerungen überleben, sie DANN an Behörden oder die Öffentlichkeit weiterzugeben. Die Zahlen überprüfen kann jeder, ja, aber die Schlussfolgerungen sind nun echt nicht einfach.

    Dann habe ich ein wirkliches Problem mit dem selektiven Vorgehen, nur die Daten um Gorleben anzugucken. Nicht umsonst führt man in der Medizin solche Studien nach einer bestimmten Systematik durch, da kleine Verschiebungen bei den Ergebnissen sonst nur durch das (meistens unbewusste) Eingreifen des Wissenschaftlers erzeugt werden können. Ich habe bestimmte Vorurteile, Unzulänglichkeiten und Fehler, die eine Auswertung beeinflussen können, genau wie Sie oder jeder andere hier; eben daher designed man vorher die Studie. Dazu muss erst einmal die Arbeitshypothese klar sein (dazu gleich noch). Und dann muss man festlegen, welche Modelle möchte man fitten. Und dann muss man – und das ist das wichtigste – verblindete Datensätze mit Kontrolldaten haben. Und auch die Jahreszahlen müssen verblindet sein. Das heißt, man muss mehrere ähnliche Datensätze haben, von denen ein paar um Gorleben, Asse und meinetwegen Jülich liegen; und ein paar um vergleichbare Orte die aber sich keinen Atommüll lagern. Jemand präpariert diese Daten für die vorbereitete Analysemethode, löscht auch die Jahreszahlen und der Wissenschaftler erhält nur diese blinden Daten, wertet sie wie vorgesehen aus und dann erst wird entblindet. Wenn sich dann z.B. eine signifikante Änderung ab 95 um Gorleben einstellt aber nicht ab 1987 um Kleinbatschhausen, dann hat man eine solide Basis, auf etwas hinzuweisen.
    Ich hab nicht viel mit “Basis”statistik am Hut, aber diese p-Werte verstehe ich auch nicht. Was sind denn da die Nullhypothese mit denen man vergleicht? Gibt es denn keine Bayes-Ansätze die man verwenden kann, wo wenigstens so etwas wie Wahrscheinlichkeiten rauskommen. So sieht dieses “einzelne Regionen sind nicht signifikant, aber wenn man dies addiert und hier rührt, dann ist es das plötzlich” sehr nach Texas Sharpshooting aus, sorry.

    Der physiologische Mechanismus ist in der Tat nicht bekannt, wegen der ganz unterschiedlichen Immissionszusammensetzungen bei den verschiedenen Ereignissen mag es unterschiedliche geben. Für Kernreaktoren ist der wahrscheinlichste die Aufnahme von Tritium aus der Luft, dessen Wirkung offenbar um drei Größenordnungen unterschätzt wird:
    .

    Problem dabei: Aus den Behältern tritt aber gar keine Radioaktivität aus. Zumindest gibt es keine plausiblen Hinweise darauf. (Und das ist auch der Grund, warum diese Informationen von uns nicht als Studie oder Factsheet veröffentlicht werden, sondern nur als Mitteilung weitergegeben – in die Öffentlichkeit kam sie über die Empfänger.)

    Was ist denn jetzt die Arbeitshypothese? Dass mehr Radioaktivität austritt? Dass Tritium in der Wirkung unterschätzt wird und die Grenzwerte zu hoch sind? Letzteres fände ich eine wertvolle Hypothese, aber tritt denn um Gorleben mehr Tritium aus als normal ist?
    Ist der Grund, dass dies nicht als Studie veröffentlicht wird, dass es gar keine ordentliche Hypothese gibt?
    Und wer sind die Empfänger? Wie kommen die Meldungen von dort in die Presse? Ich meine, es sollte doch klar sein dass Medien und Atomkraftgegner jeden Hinweis sofort ins Unendliche amplifizieren, ist da nicht mehr Vorsicht geboten? Und selbst wenn, wie kommt dann eine Aussage wie im Interview
    “Es ist eine bedenkliche Angelegenheit, weil wir ein erhöhtes Verhältnis in der Umgebung von Kernkraftwerken festgestellt haben. Das hängt mit großer Wahrscheinlichkeit mit radioaktiven Emissionen zusammen.”
    zustande? Wenn es keine zusätzlichen Emissionen gibt, wie hängt es dann damit zusammen?
    Sie sagen selbst dann
    “Ja, das ist rätselhaft. Ich habe beim Umweltministerium in Hannover angefragt und die Antwort erhalten: ‘Es gibt keine Emissionen aus diesen Behältern.’ Das heißt eigentlich kennen wir keine Ursache dafür.” Er forderte die Politik auf, das Phänomen weiter zu untersuchen.

    Irgendetwas passt da nicht in der Geschichte, sorry.

  18. #18 Biologe
    02/28/2011

    Sehr geehrter Herr Kusmierz,
    ich kann als Strahlenbiologe ihren Standpunkt nicht teilen. Erstens ist es ersichtlich dass gerade die Länder mit der höchsten Strahlenbelastung keinen Anstieg in der männlichen Geburtshäufigkeit zeigen (Finnland Norwegen Ungarn), zweitens war die Verteilung des Fallouts regional äußerst unterschiedlich, eine erhöhte Strahlenbelastung müßte für ihre gewählte Zonen erst einmal belegt werden. Drittens gibt es keine Hinweise darauf das männliche Spermien oder Feten strahlenresistenter wären (das gegenteil wäre anzunehmen, wenn überhaupt). Viertens, es gibt keine erhöhte Strahlenbelastung rund um Gorleben, damit fällt ihre Arbeitshypothese ins Wasser und die ARbeit somit “werlos”. Ihr Vergleich mit der KIKK-Studie ist ebenfalls irreführend, wie sie sehr wahrscheilich wissen ist diese Studie nur valide wenn sie das Atomkraftwerk Krümmel mit einbeziehen, nur der Leukämiecluster Elbmarsch hebt das Ergebniss über die Relevanzschwelle. Wenn die eine google-suche mit den begriffen “KIKK Studie” und “Kritik” durchführen finden sie entsprechende Arbeiten dazu. Für mich bleibt festzuhalten dass ihre Untersuchung mMn nicht gründlich genug geplant wurde um zu einem aussagekräftigen Fazit kommen zu können.

  19. #19 Jörg
    02/28/2011

    Das ist mir noch eingefallen:

    Wohl aber ist der Anstieg von 11,24 % in den Zonen A und B zusammengenommen auf dem 95-%-Niveau signifikant mit einem p-Wert von 0,0357, und alle drei Zonen A, B und C zusammen weisen einen sehr signifikanten Anstieg von 7,29 % bei einem p-Wert von 0,0184 aus.

    Wie rechtfertigt sich, dass man die Zonen einfach addieren darf? Muss man um Wahrscheinlichkeiten auszurechnen nicht ein Modell haben, wie der Einfluss mit der wirkenden Kraft (Radioaktivität?) zusammenhängt? Dann wäre doch ein solches Addieren nur gültig, wenn der Zusammenhang linear ist, oder habe ich da etwas falsch verstanden?

  20. #20 YeRainbow
    02/28/2011

    https://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/261171.html

    wäre vielleicht interessant, sich die originalstudie mal heranzuholen.

    https://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/305067.html
    beruht auf Korrelation, zeigt aber einen Ist-Zustand. Erklärt allerdings keine Ursachen…

    nur mal auf die Schnelle gesucht.

  21. #21 Ralf Kusmierz
    02/28/2011

    Sehr geehrter Biologe,

    Ihre Feststellung zu der höheren Empfindlichkeit der männlichen Embryonen wie auch YeRainbows Links auf wissenschaft.de sind für mich völlig unerfindlich. Es gibt zahlreiche Langzeitreihen über Geburtenzahlen, beispielsweise aus Großbritannien, Belgien, Frankreich und der Schweiz, aus denen jeweils klar ablesbar ist, daß der Jungenanteil in Kriegs- und Notzeiten deutlich ansteigt – etwas anderes zu behaupten ist einfach nur abenteuerlich. Besonders stark ist dieser Effekt in Deutschland bzw. dem Deutschen Reich und angeschlossenen/besetzten Ländern im 2. WK, wo in wenigen Jahren die Sexualproportion ausgehend von normalen Werten ganz stark auf sehr hohe Werte in der Gegend von 1,09-1,10 angestiegen ist (vor! den amerikanischen Atombombeneinsätzen in Japan, es kann damit nichts zu tun haben) – dieser Anstieg hielt auch nach dem Krieg noch lange an und klang erst langsam mit einer Zeitkonstante von ca. 10 Jahren auf den heutigen Durchschnittswert ab – schauen Sie mal: https://img834.imageshack.us/img834/2893/japansexodds.png . Das ist nicht diskutierbar, das sind einfach nur Fakten.

    Scherb et al. haben im übrigen für Ihre Untersuchungen sehr kleinräumige Belastungsdaten aus Bayern sowie aus den Kreisen der DDR benutzt und eben daran die von Ihnen eingeforderte Korrelation mit den Immissionen festgestellt.

    Im übrigen ist festzustellen, daß wir nicht den Anspruch haben, grundsätzliche Unterschiede in den Geschlechterproportionen in den verschiedenen Ländern (die es zweifellos gibt) zu erklären, sondern es geht lediglich um den statistischen Einfluß von bekannten Belastungsdaten bzw. des Abstands von den Nuklearanlagen (hauptsächlich KKW). Dieser Einfluß läßt sich nicht wegdiskutieren – wer dazu plausible, nachprüfbare Erklärungen finden will: nur zu!

    Ihre Annahme hinsichtlich des Krümmel-Clusters ist übrigens falsch: Die Autoren der KiKK-Studie haben (wie wir in unserer Studie auch) eine One-hold-out-Rechnung für alle Standorte durchgeführt, un die ergibt. daß das Weglassen einzelner Standorte (wie Krümmel) auf das Gesamtergebnis keinen wesentlichen Einfluß hat. Im Gegensatz zu unserer Studie, die für einzelne Standorte sogar signifikante Effektstärken zeigt, hat die KiKK-Studie solche nicht (zumindest wurde dazu nichts veröffentlicht), dort ergibt sich ein signifikanter negativer Abstandseffekt erst in der Gesamtschau aller Standorte.

    Zu Gorleben gibt es keine “Arbeitshypothese”, sondern lediglich die Feststellung, daß seit dem Beginn der Einlagerung die Sexodds in der Region ansteigen. Die Ursache dafür kenne ich nicht. Das Problem mit dem p-Wert dabei verstehe nun ich wieder nicht: Der kommt einfach beim Chi-Quadrat-Test im Vorher-nachher-Vergleich heraus, können Sie leicht nachrechnen, wie Sie auch die Zahlen selbst leicht nachprüfen können.

    Epidemiologie hat im übrigen eine Hinweisfunktion und nicht die Aufgabe, Erklärungen zu liefern. Man kann Behörden sehr wohl mitteilen “Schaut mal, da ist etwas auffällig bei Euch”, ohne dafür gleich eine “wissenschaftliche Erklärung” mitzuliefern. (Genau das hat das niedersächsische Krebsregister auch mit den Asse-Krebszahlen gemacht, woraufhin wir zusätzlich darauf hingewiesen haben, daß es in Remlingen und den Nachbargemeinden – wo es übrigens eine bekannte Emissionsquelle, nämlich die tritiumhaltige Asse-Abluft gibt – bei den Sexodds ebbenfalls eine drastische Auffälligkeit gibt; bei so kleinen Grundgesamtheiten kann man überhaupt nur drastische Auffälligkeiten statistisch signifikant erkennen, vergleichsweise kleine Effekte wie “Tschernobyl” kann man darin nicht sehen.) Wenn es Ihnen auch schwerfällt, es zu akzeptieren: Es gibt keine Studie, weil es nichts zu erklären gibt – es gab tatsächlich nur diesen “Schaut-mal”-Hinweis, und der wurde von mir unbekannter Seite der Presse zugespielt, die es für berichtenswert hielt.

    Natürlich wurden nicht nur “selektiv Zahlen um Gorleben angesehen”, sondern eine flächendeckende Studie durchgeführt. Das ändert aber nichts daran, daß es auch isoliert für Gorleben einen bemerkenswerten Effekt gibt. (Und natürlich wurde in der Studie überprüft, ob es “um Kleinbatschhausen” auch entsprechende Effekte gibt – das ist nicht so, lesen Sie die Studie.)

    Mit freundlichen Grüßen
    Ralf Kusmierz

  22. #22 YeRainbow
    02/28/2011

    ich bin ja nun kein Biologe (nach meinem Wissen ist allerdings die Ausfallquote bei männlichem nachwuchs hinreichend belegt – man muß schon immer genau hingucken, was welchen Effekt auslöst… nicht nur auf die Korrelationsstudien schielen) und auch kein STatistiker (aber methodisches Denken wurde uns in unserer Branche durchaus beigebracht…).
    Ich bin Psychologe, genauer: Forensiker.
    Als solcher erkenne ich also vieles zwischen den Worten und in den Worten.

    Also, lieber Ralf – wie weit möchtest du noch gehen und mir zeigen, was Dein eigentliches Problem ist?
    (Auf anfrage gebe ich Dir gern paar Hinweise…)

    Immer sehr gespannt…
    ich lehne mich zurück…

    (und über die Studie duskutieren wir dann mal in 20 jahren wieder, wenn es mehr dazu gibt…)

  23. #23 Nachfrage
    02/28/2011

    Sehr geehrter Herr Kusmierz,
    interpretiere ich die Zahlen richtig, dass vor 1995 in Gorleben und Umgebung
    das Verhältnis der männlichen zu weiblichen Geburten auffällig niedrig war ?
    1971-1995
    Zone A: 0,9048
    Zone B: 1,0243
    Zone C: 1,0204
    Zonen A+B+C:1,0167
    Nach anderen Arbeiten von Herrn Scherb scheint für Deutschland ein Durchschnittswert von etwa 1,05 zu erwarten sein (“vorläufiger Normalwert > 35 km von 33 Nuklearanlagen in D und CH … 1,0544”).

    Die Abweichung nach unten vor 1995 scheint doch etwa genau so hoch zu sein, wie derzeit die Abweichung nach oben. Müsste dies nicht auch diskutiert werden ?

  24. #24 Jörg
    02/28/2011

    Dieser Einfluß läßt sich nicht wegdiskutieren – wer dazu plausible, nachprüfbare Erklärungen finden will: nur zu!

    Bevor er sich wegdiskutieren muss, sollte er erstmal da sein, das ist ja jetzt noch nicht etabliert.
    Abgesehen davon: Wenn irgendwo ein Atommülllager aufgemacht wird, ziehen bevorzugt Leute weg, die es sich leisten können. Übrig bleiben ärmere Leute, und dass Leuten die denen es schlecht geht mehr Jungen bekommen haben Sie oben bestätigt. Gibt es Daten zum durchschnittlichen Haushaltseinkommen in diesen Regionen?

    Das Problem mit dem p-Wert dabei verstehe nun ich wieder nicht: Der kommt einfach beim Chi-Quadrat-Test im Vorher-nachher-Vergleich heraus, können Sie leicht nachrechnen, wie Sie auch die Zahlen selbst leicht nachprüfen können.

    Und was sagt der uns jetzt? “Die Zahl kommt raus wenn man diesen Knopf drückt” ist nicht so lehrreich.

  25. #25 Ralf Kusmierz
    02/28/2011

    @YeRainbow: Ich kann mich nicht erinnern, mit Ihnen einen Sack Salz gegessen zu haben, Herr Psychologe.

    @Nachfrage: Was wollen Sie an der Abweichung nach unten diskutieren? Sowohl im Landkreis Wolfenbüttel wie auch im Landkreis Lüchow-Dannenberg sind bzw. waren die die Sexodds außergewöhnlich niedrig. Das ist so.

    Warum? Keine Ahnung. (Vermutungen hätte ich, aber die nützen nichts. Ich weiß nur, daß Belastungssituationen (Industriegegenden, Großstädte) i. a. zu höheren Sexodds führen. Offenbar ist Landluft gesund.)

    @Jörg: Es ist “etwas” da. Befassen Sie sich doch mal bitte mit den Bradford-Hill-Kriterien. Und der signifikante Unterschied zwischen “Vorher” und “Nachher” sagt uns eben das: Das es einen signfikanten Unterschied gibt.

    Sie können gerne nachzuweisen versuchen, daß sich die Bevölkerungsstruktur in der Region aufgrund der Ansiedlung des Atommüllagers verändert hat – sicher wären Ihnen die industriellen Kreise auch für andere Confounder dankbar. (Daten von Papstwahlen passen nicht zufällig ins Schema? Ich hab’s nicht überprüft…) Oder Sie trennen sich einfach mal von ein paar Vorurteilen: Ihr Papiertiger läßt sich offenbar nicht so leicht erlegen, sondern hat Krallen und Zähne.

    Mit freundlichen Grüßen
    Ralf Kusmierz

  26. #26 YeRainbow
    02/28/2011

    ja, RAlf – damit wirst du wohl leben müssen.
    Finde ich immer wieder herzerfrischend.
    Lehne mich wieder zurück…
    (und danke dir….)

  27. #27 YeRainbow
    02/28/2011

    ach, zum thema, zitiere “Es ist “etwas” da”

    mein Hinweis dazu (hier mal noch kostenlos, sicherlich auch umsonst): https://www.boerdlein.gmxhome.de/seiten/bestaet.html

    (nur mal fix rausgesucht, von einem geschätzten Fachkollegen kurz und knackig formuliert).

  28. #28 Jörg
    02/28/2011

    Tja, eigentlich hatte ich mich gefreut, dass Sie hier aufgeschlagen sind (übrigens ist es völlig normal, in Blogkommentaren zu duzen, ich mach das jetzt gerade ausnahmsweise nicht weil ich das für eine ernsthafte Diskussion angemessener finde), und ihre Arbeit genauer vorgestellt haben. Eigentlich würde ich dann aber ein Interesse daran haben, diese auch zu kommunizieren, aber “Lies die Studie”, “Da ist etwas”, “Wir haben gar keine Hypothese” und “Befass dich mal mit dem und dem” ist schon etwas dünn. Nur weil ich in der Lage wäre, mir den Kram draufzuschaffen (und ja, ich werde die Studie noch lesen), heißt ja aber nicht dass Sie erwarten können dass ich das auch tue. Das Paper oben zu besprechen hat ja schon einen halben Tag gekostet, ich muss das ja auch irgendwo her nehmen. Da würde ich mir schon etwas mehr Kommunikation der eigenen Arbeit erwarten, ich hab ja schließlich die Fragen gestellt weil ich da ernstes Interesse habe, das zu verstehen und zu sehen, ob da wirklich nicht nur etwas, sondern etwas Ernstes ist. Und ich finde, das ist eine viel zu ernste Frage, als dass man es da an irgendeiner Sorgfalt oder Kommunikation mangeln lassen darf.

    Sie können gerne nachzuweisen versuchen, daß sich die Bevölkerungsstruktur in der Region aufgrund der Ansiedlung des Atommüllagers verändert hat – sicher wären Ihnen die industriellen Kreise auch für andere Confounder dankbar.

    Was ist das denn für eine Art? Versuche ich irgendetwas eine Behauptung zu verteidigen oder Sie? Und die Anspielung mit den “industriellen Kreisen” ignoriere ich erstmal noch.

    (Daten von Papstwahlen passen nicht zufällig ins Schema? Ich hab’s nicht überprüft…)

    Warum nicht, wir haben doch gar kein Schema, sondern gucken einfach mal. Ich schlage vor, statistische Daten von Rom zu nehmen, mit den Jahren in denen Papstwahlen waren zu korrelieren, die p-Werte ausdrucken zu lassen und die laut aufsagen wo eine Signifikanz besteht. Ergo existiert Gott.
    Bei “Environmental Toxicology” krieg ich das sicher durch…

    Oder Sie trennen sich einfach mal von ein paar Vorurteilen: Ihr Papiertiger läßt sich offenbar nicht so leicht erlegen, sondern hat Krallen und Zähne.

    Was für Vorurteile bitte? Wo in meinen Fragen nach der Methode und den Ergebnissen hab ich welches Vorurteil gezeigt? Und was für ein “Papiertiger”?? Die Bedeutung dieses Satzteils verstehe ich endgültig nicht mehr.

  29. #29 Biologe
    02/28/2011

    Sehr geehrter Herr Kusmierz,
    ich habe keine “Feststellung” gemacht sonder ihrer Aussage widersprochen, ich zitiere
    :”Vielmehr scheint es so zu sein, daß sie teratogene Einflüsse besser überstehen, was dann dazu führt, daß die geschädigten weiblichen Foeten gar nicht erst bzw. nur tot geboren werden, hingegen aber die geschädigten männlichen die Schwangerschaft überleben, aber anschließend durch erhöhte Anteile bei der Säuglingsterblichkeit auffallen, weswegen nach radioaktiven Belastungen sowohl der Anteil der männlichen Lebendgeborenen als auch ganz überproportional der der gestorbenen männlichen Säuglinge ansteigt.”
    Es gibt keine Hinweise darauf das männliche Spermien oder Feten resistenter gegen mutagene/teratogene Einflüsse sind. Ich vermute das Gegenteil, auf die schnelle habe ich jetzt dieses paper gefunden, bei einer ausführlichen Literaturrecherche findet man bestimmt passenderes https://humrep.oxfordjournals.org/content/24/3/670.full.pdf+html
    Bezüglich der KIKK-Studie trügte mich meine Erinnerung nicht, Krümmel hatte tatsächlich den größten Einfluss, allerdings ist auch ohne Krümmel die studie noch knapp signifikant. Zitat KIKK-Stuide Seite 68 :”
    In Zusammenhang mit der in Deutschland intensiv geführten Diskussion zur Erkrankungshäufung für Leukämien bei Kindern in der Näher des Kernkraftwerkes Krümmel (aufgrund von 17 Erkrankungsfällen zwischen 1990 bis 2006 in zwei direkt benachbarten Gemeinden) ist festzuhalten, dass 8 dieser Fälle zur Studienpopulation in der inneren 5km-Zone gehören. Für die Leukämien wird das Studienergebnis von der Region um das Kernkraftwerk Krümmel am stärksten beeinflusst. Unter Weglassung
    dieser Fälle und der entsprechenden Kontrollen beträgt der Schätzer für den Regressionskoeffizienten in der Untergruppe der Leukämien b=1,39 (untere einseitige
    95%-Konfidenzgrenze=0,14, vergleiche Tabelle 3.19).”
    Zu p-values oä habe ich mich nicht geäußerst, da haben sie einen anderen Kommentar im Kopf gehabt. Wenn sie nur eine Auffälligkeit in den Sex-odds nachweisen wollte, schön und gut, aber warum schiessen sich auf Strahlung ein? gerade ihr Satz
    :”These results add evidence to related more recent findings in the field of radiation epidmiology […referenzenliste…] and cast doubt on the official assessment of the so called “low level” ionizing radiation by pertinent national and international instituions.” lässt mich sehr daran zweifeln ob sie tatsächlich ohne bias an die sache herangegangen sind.

  30. #30 Biologe
    02/28/2011

    P.s.
    Gerade ionisierende Strahlung ist als Begründung für veränderte Sex-ratios sehr mit Vorsicht zu geniessen, es gibt reichlich andere Faktoren als die extrem niedrige zusätzliche Strahlenbelastung aus Gorlebenoder Asse. Aus https://www.akademiai.com/content/ynu11k1415138798/
    :”At the end of war, and other times of both chronic and acute stress, remarkable changes occur in the human secondary (birth) sex ratio. At the end of a long war, significantly more boys are born; after a short war, or disaster, fewer boys than usual are born six to nine months later. Since it is commonly held that the sex of the offspring is a matter of chance, these data provide an intriguing problem; but new findings in reproductive physiology, and an increased understanding of male vulnerability, could help resolve it. It appears the sex ratio of offspring may be influenced by variations in the mother’s follicular testosterone. Under conditions of chronic stress, maternal testosterone rises, resulting in an increase in male conceptions; but these same stressful conditions also exacerbate differential male vulnerability, so more males are lost during pregnancy. At the end of war, improving conditions temper male vulnerability, leaving higher sex ratios at birth. Conversely, normal conditions at conception followed by a severe stressor during pregnancy result in lower secondary sex ratios “

  31. #31 Jörg
    02/28/2011

    Na sieh mal an, da sind ja 32 Anlagen in der Studie, und Gorleben ist die einzige mit merklich anderem Wert. Von anderen Orten ohne NF sehe ich da aber nichts (in “EnviroInfo 2010”). Werds natürlich noch lesen.
    Was ich mich jetzt schon frage ist, welche Aussagekraft ein Vergleich mit dem Bundesdurchschnitt hat. Ist die Annahme gerechtfertigt, dass das so mühelos skaliert? Das würde ich erstmal bezweifeln.

  32. #32 Ralf Kusmierz
    02/28/2011

    @Biologe:
    Vielen Dank für die Links. Leider überzeugen die mich nicht. Bei der Untersuchung aus dem Oxford Jounal kamen im Vergleich sehr hohe Bestrahlungsdosen zum Einsatz, die mit den Bedingungen schwacher Immissonsbelastungen nicht vergleichbar sind. Und die Feststellung aus Budapest, daß Kriege usw. den Jungenanteil erhöhen, ist mir nicht neu, das habe ich an den Zahlen selbst gesehen. Die Frage, die sich aber stellt, ist doch, warum solche Streßbelastungen ausgerechnet immer an falloutbelasteten oder kerntechniknahen Standorten auftreten sollten. Ich halte das für bar jeder Grundlage.

    Was die KiKK-Studie angeht: Entscheidend ist, daß deren Ergebnis eben nicht nur aufgrund des Krümmel-Clusters zustandekommt – das hat nun wirklich noch niemand behauptet. Daß sich das /auch/, und zwar relativ stark, auswirkt, steht überhaupt nicht im Zweifel.

    @Jörg:
    Ihre Unvoreingenommenheit nehme ich Ihnen nicht ab. Sie hätten sich vor Ihrem Originalbeitrag informieren, beispielsweise nachfragen können. Objektivität ist etwas anderes.

    Aber sei’s drum: Sie haben recht – es gibt anerkannte Medien der wissenschaftlichen Diskussion – dieses Blog ist keines. Ich werde deswegen hier auch nicht mehr so viel Zeit, wie das in der Tat in Anspruch nimmt, investieren, obwohl ich die hier erhaltenen Informationen dankend zur Kenntnis nehme. Ich muß hier auch mitnichten Argumente und Positionen verteidigen, ich gebe hier lediglich Informationen, die dann jeder selbst bewerten mag.

    Wenn Sie denken, Sie können und sollten unsere Thesen widerlegen, dann tun Sie es. Wir halten unser Vorgehen für methodisch einwandfrei, die Reviewer offenbar auch.

    Natürlich lebt eine Diskussion nicht von blinder Zustimmung, sondern von Kritik und Widerspruch. Sie könnten sich also zwei Dinge überlegen:

    1. wie kann man die Arbeitshypothese der Auswirkung auf die Umgebung valide bestätigen, also die Nullhypothese widerlegen, und
    2. welche Tests wären geeignet, unsere Thesen zu falsifizieren?

    Das kann logischerweise nicht geschehen, indem man die Umgebung von ca. 15.000 Gemeinden einzeln untersucht und dann diejenigen herauspickt, die nicht zur These passen. Auch kann man das “statistische Experiment” schlecht wiederholen – es gibt nun einmal weltweit nicht so viele potentielle Untersuchungsgebiete mit einer großen Anzahl von kerntechnischen Anlagen inmitten einer hohen Bevölkerungsdichte, da ist Deutschland schon fast einmalig.

    Mit freundlichen Grüßen
    R. Kusmierz

  33. #33 noch'n Flo
    02/28/2011

    Sorry, aber bei allen Streitereien um statistische Korrelationen:

    Ich (Mediziner) kann mir bislang so überhaupt nicht vorstellen, warum denn “Strahlung” (so weit man diesen Begriff denn definieren will) überhaupt eine Zunahme der Männlichgeburten bewirken sollte. Wie soll das Ganze denn überhaupt funktionieren? Soll etwa dem X-Chromosom plötzlich ein Bein abfallen, so dass alle Ungeborenen, die ursprünglich mal als Mädchen “geplant” waren, auf einmal Jungen werden? Oder soll das ganze schon im Hoden des Vaters stattfinden?

    Und wenn ja – wie soll das bitteschön biologisch vor sich gehen? Ein plötzlicher Verlust eines Teils des Chromosoms hat auf alle Fälle noch sehr viel mehr Folgen, als dass sich nur das Geschlecht ändert (weil auch auf den Geschlechtschromosomen noch eine ganze Reihe anderer Erbinformationen gespeichert sind, als nur “Mädchen/Junge”).

    Bitte mal biologisch beweisen – ansonsten sehe ich das Ganze nur als eine weitere nutzlose Statistik an, die nach dem Fehlschluss “cum hoc, ergo propter hoc” fehlinterpretiert wurde.

  34. #34 Jörg
    02/28/2011

    Koautoren die im Strahlentelex mit Elektrosmog-Report veröffentlichen nehme ich ihre Unvoreingenommenheit auch nicht ab. Aber das ist ja eigentlich egal, dafür ist der wissenschaftliche Prozess ja da. Deswegen habe ich auch von verblindeten Daten mit Kontrollstädten eben OHNE Nuklearanlagen gesprochen.
    Aber in der Tat, mein Blog ist kein anerkanntes Medium der wissenschaftlichen Diskussion. Das sind Interviews zu 1/32 der Datenpunkte aus einem Bericht der im Shaker Verlag erschienen ist aber auch nicht.
    Zumindest würde mich aber noch interessieren, wie man annehmen kann dass man kleinräumige Mittelwerte einfach durch den Bundesdurchschnitt teilen kann. Wie die letzten Graphen in der Studie zeigen, nimmt die Varianz stark mit der Skala zu. Warum nur die Mittelwerte? Ich bin halt nichts anderes gewöhnt als pdfs, ich versuche wirklich zu verstehen warum man hier nicht auch mit Wahrscheinlichkeitsverteilungen arbeitet. Da könnte man doch wenigstens ein Ähnlichkeitsmaß der Verteilungen bundesweit gg lokal einsetzen, Cross-Entropie oder so etwas? Wäre das nicht aussagekräftiger? Oder wie ist die Skalenabhängigkeit der Varianz berücksichtigt?
    Wenn ich mich grad zum absoluten Statistik-Vollhorst mache würde ich außerdem auch vermuten, dass die Leute die wirklich mit solchen Daten umgehen müssen auch Verständnisprobleme haben. Ich sehe nichts außer höchst dubiosen Fits, die mir im Vordiplom achteckig um die Ohren geflogen wären, und bekomme keine Antworten auf Nachfragen. Außer Hinweise, die Studie zu lesen; was nur noch mehr Fragen aufwirft. Das ist wohl keine Grundlage dazu aufzufordern, dass jeder sich das ausrechnen könne,. Sie kommen und versprechen Informationen, aber wenn ihre Schlussfolgerungen nicht geschluckt werden kommt der Rückzug? Schade, eigentlich sind meine Leser gut genug, um nicht für dumm verkauft zu werden.

  35. #35 Jörg
    02/28/2011

    @noch n’ Flo: Durch Mutation letal veränderte Gene auf dem X-Chromosom können unterschiedlich vererbt werden durch Vater und Mutter, und wenn diese unterschiedlich bestrahlt werden können Verschiebungen in der Geschlechterverteilung auftreten. Keine Ahnung wie etabliert das ist, klang jetzt aber erstmal gut genug dass ich es als Hypothese akzeptiert habe. Die Studie hat ja so genug Schwächen.
    In den längeren Zeitserien (Bild in der Shaker-Studie) sieht man schon deutlichere lineare Trends, aber keine Ahnung ob die Erklärung für den Aufwärtstrend durch Tschernobyl wirklich stimmt oder nur zufällig passt.

  36. #36 Biologe
    02/28/2011

    @ Ralf Kusmierz,
    schade das sie nicht ein paar Minuten in Literaturrecherche investiert haben. Wenn sie einen biologischen Zusammenhang zwischen Niedrigdosen die womöglich aus der Asse strömen ziehen wollen, sollte dieser Zusammenhang auch zur Biologie passen. Ihr paper liesst sich als würden sie gerne was finden und es dann zwanghaft an eine falsche Hypothese anpassen. Ehrlich gesagt wundert es mich nicht dass sie ihr Paper nicht in einem Journal mit peer review eingereicht haben, es würde ihnen buchstäblich um die Ohren fliegen.
    P.s. würde ICH in Gorleben wohnen und dort nicht wegziehen können hätte ich auch viel chronischen Stress, denn alle naselang erzählen mir irgentwelche Leute wie scheiss gefährlich ich doch lebe.

  37. #37 atomkraftgegner
    02/28/2011

    “Die Anti-Atomkraftbewegung ist die Brutstätte der zunehmenden Palinisierung (Sarah, nicht Michael) der deutschen Gesellschaft, die in der Bagatellisierung des Guttenberg-Betrugs einen neuen Höhepunkt gefunden hat.”

    Was ist denn das für eine Aussage? Ich würde eher die Gegenhypothese stellen, dass gerade Atomkraftgegner sich auch über die Bagatellisierung des Guttenberg-Betrugs aufregen.
    Könnt man glatt mal ne Umfrage starten und ne Statistik machen ob sich da was korrelieren lässt. Aber wie aussagekräftig Umfragen sind hat man in den letzten Tagen ja ausreichend vorgeführt bekommen.

  38. #38 Wiggerl
    03/01/2011

    Vielen Dank für diesen Blog. Ich bin auch schon über die Studie gestolpert und hatte dabei Bauchschmerzen. Aber bislang fehlte mir die Zeit, mich damit zu befassen. Nachdem ich den Blog gelesen habe, weiß ich, dass es die Zeit nicht lohnt. Auch bei KiKK-Studie hätte ich mir gewünscht, dass nur zum Test der Hypothese, Leukämie-Fälle im Umkreis von ein, zwei Kohlekraftwerke aufgeführt worden wären. Denn sowohl Gender- als auch die KiKK-Studie klingt für micht nach bad statistics. Denn man erkennt eine Korrelation, macht dann dafür als Black Box irgendwie schwache Radioaktivität verantwortlich. Damit kann gut Politik machen.

  39. #39 YeRainbow
    03/01/2011

    Wissenschaftliche Redlichkeit verlangt eigentlich, daß man nicht nur hypothesenbestätigend, sondern auch hypothesenwiderlegend prüft.

    Damit ist eigentlich alles schon gesagt.
    Und mich persönlich stört an “Atomkraft” besonders die unzulängliche Begriffsbildung.
    Wenn schon nicht mal das hinhaut…

    Nuclearpower ist eben nicht Atomkraft. Aber wir Deutschen haben schon immer Probleme mit Begriffen, hm?
    Nervt.

  40. #40 Dierk
    03/01/2011

    Statistik ist was Schönes und Nützliches, keine Frage, sie beweist aber nichts, sie ist ein mathematisches Konstrukt, dass große Datenmengen einfacher zu handhaben macht. Diverse Koeffizienten dienen dazu, mögliche Trends und Korrelationen leichter zu sehen. So weit so gut.

    Das erste was mich interessiert ist doch, wie weit entfernt sich denn das bei Gorleben [oder war’s doch der gesamte Kreis Lüchow-Dannenberg?] gefundene Geschlechterverhältnis vom erwarteten. Der gefunden Wert ist 120:111, normalisiert 108:100 – 8 Jungen mehr als Mädchen [bei der Geburt!]. Ein üblicher Mittelwert ist – u.a. in der Wikipedia zu finden* – 105:100. Gut, 3 Jungen mehr als üblich könnte schon was sein.

    Allerdings sagt uns dieser erwartete Wert noch nichts über die Streuung der Verhältniswerte, die wir sowohl theoretisch erwarten können [aus den Arbeiten R.A. Fishers, W.D. Hamiltons und R.L. Trivers/D.E. Willard] als auch empirisch finden. Kurz gesagt, sollten Faktoren wie Armut, Krieg, andere Notsituation, oder auch das Gegenteil eine Tendenz schaffen – mal zu mehr Mädchen, mal zu mehr Jungen.** Charles Darwin nennt für eine Gruppe Menschen einmal sogar ein Verhältnis von 120:100, eine erhebliche Abweichung!***

    Ich habe dann auch noch mal in das CIA Fact Book geschaut:

    at birth: 1.07 male(s)/female
    under 15 years: 1.07 male(s)/female
    15-64 years: 1.02 male(s)/female
    65 years and over: 0.79 male(s)/female
    total population: 1.01 male(s)/female (2009 est.)

    ****

    107:100 für das sekundäre Geschlechterverhältnis [weltweit]. Gerade mal eine läppische Jungengeburt weniger als in der so alarmierenden Studie zu Gorleben.

    Wie Jörg schon angedeutet hat, gibt es noch ein zwei weitere Probleme mit der gefundenen Spitze:

    a) Skala – der gewählte Ausschnitt ist so klein, dass jede Änderung auffällig aus der Grafik sticht
    b) Zeit – Unterschiede des Geschlechterverhältnisses sind nur über Generationen sinnvoll zu vergleichen

    Punkt a führte in den 1970ern zu einem erbitterten wissenschaftlichen Streit zwischen den Anhängern der klassischen Evolutionstheorie auf der einen und Stephen Gould/Niles Eldredge auf der anderen Seite. Gould und Eldredge gingen so nah an die Daten, dass deutliche Sprünge sichtbar wurden – aus meiner Sicht nichts weiter als ein mathematisch-empirisches Artefakt aufgrund unzureichender Datenlage.

    Punkt b sollte intuitiv einsichtig sein.

    Abschließend möchte ich festhalten, dass auch Epidemologen mehr tun [sollten], als aus dem Bauch heraus Auffälligkeiten zu zeigen, ohne eine Hypothese, warum ein Datensatz auffällig sein sollte, ist eigentlich alles irgendwie möglich.

    *u.a. in diesem Artikel https://en.wikipedia.org/wiki/Sex_ratio
    **Aufgrund des höheren Mortalitätsrisikos von männlichen Nachkommen der Art Homo sapiens erwarten wir ohnehin einen mäßigen bis starken Überhang eben dieser, sowohl beim primären wie beim sekundären Gechlechterverhältnis. Erst beim tertiären sollte das ganze [nahezu] ausgeglichen sein.
    ***Leider keine verlässliche Zahl; aus The Descent of Man.
    ****https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/xx.html

  41. #41 Jörg
    03/01/2011

    Auch bei KiKK-Studie hätte ich mir gewünscht, dass nur zum Test der Hypothese, Leukämie-Fälle im Umkreis von ein, zwei Kohlekraftwerke aufgeführt worden wären.

    Das wäre wohl eine schlechte Kontrolle, da Kohlekraftwerke bekanntlich mehr strahlen als Kernkraftwerke…

  42. #42 YeRainbow
    03/01/2011

    Kontroll-Stichprobe hätte eine völlig freie Stichprobe sein können, ohne jedes Kraftwerk in der Nähe oder andere bekannte Expositionen.
    (Testung gegen Null-Treatment).

  43. #43 ruben
    03/01/2011

    Ich finde es auch lustig, dass du einen Artikel über schlecht gestütze Hypothesen schreibst und ihn dann mit solchen Worten beendest.

    “Und wo ich schon beim Ärgern bin, muss ich doch mal deutlich befinden: Die Anti-Atomkraftbewegung ist die Brutstätte der zunehmenden Palinisierung (Sarah, nicht Michael) der deutschen Gesellschaft, die in der Bagatellisierung des Guttenberg-Betrugs einen neuen Höhepunkt gefunden hat.”

  44. #44 flo
    03/01/2011

    Dierk, mir ist Punkt b leider nicht intuitiv einsichtig. Könntest Du ihn mir erklären?

  45. #45 Wiggerl
    03/02/2011

    Die Kohle-Kraftwerke hääte ich interessanter gefunden. Nicht als Kontroll-Stichprobe, sondern gerade weil sie mehr strahlen aks AKW. Zum einen: Wenn sich die Hypothese da schon nicht bestätigt, scheidet eine ominöse Wirkung schwacher Radioaktivität als Ursache aus. Zum anderen: weil ich es einfach interessant gefunden hätte. 🙂

  46. #46 Ralf Kusmierz
    03/02/2011

    Kohlekraftwerke

    Es ist schlicht nicht wahr, daß Kohlekraftwerke “stärker strahlen” (was soll das eigentlich heißen? Die “strahlen” ebensowenig wie KKW, es geht vielmehr um radioaktive Emissionen. Physiker sollten das eigentlich wissen) als Kernkraftwerke.

    Richtig ist: Kohle enthält mehr oder weniger viel Uran und dessen natürliche Folgeprodukte (hauptsächlich aus der Uran-Radium-Reihe sowie der Uran-Actinum-Reihe). Die Menge variiert, sie liegt in der Gegend von 50-200 Bq/kg. Wenn man ca. 300 g Kohleverbrauch pro kWh erzeugte Elektrizität ansetzt, kann man daraus die Radioaktivitätsmenge, die im Kohlekraftwerg umgesetzt wird, abschätzen.

    Wohlgemerkt /um/gesetzt, nicht etwa /frei/gesetzt: Die meiste Radioaktivität wird in der Asche sowie anderen Kraftwerksnebenprodukten (z. B. REA-Gips) deponiert und landet im Straßenbau usw. Dagegen geben Kernreaktoren jährlich einige zehn TBq radioaktiver Emissionen in die Umwelt ab, daran kommen Kohlekraftwerke bei weitem nicht heran.

    Das Nuklidspektrum ist auch überhaupt nicht vergleichbar: Kohle enthält hauptsächlich schwere Elemente, überwiegend Alphastrahler, während KKW überwiegend betastrahlende Fissionsprodukte abgeben (und ziemlich viel Radiocarbon 14C, das im Ringraum durch den Neutronenstreufluß aus dem atmosphärischen Stickstoff gebildet wird).

    Mit freundlichen Grüßen
    Ralf Kusmierz

  47. #47 Jörg
    03/02/2011

    Na das scheint ja alles andere als so einfach zu sein

    https://www.bund-nrw.de/fileadmin/bundgruppen/bcmslvnrw/PDF_Dateien/Themen_und_Projekte/Energie_und_Klima/Kohlekraftwerke/BUNDhintergrund_Radioaktivitaet_aus_Kohlekraftwerken_11_2008.pdf

    Sektion “Radioaktivitätsemissionen: Kohlekraftwerke und AKW im Vergleich.”

    Die Einleitung mit “Atomlobby” kann man ja ignorieren – ist halt BUND – aber der Rest sind immerhin Zitate und Referenzen.
    Aber damit hätte man ja immerhin eine Hypothese, die man für die Arbeit verwenden könnte…das wäre ja schonmal was…

  48. #48 Lipper
    03/02/2011

    So einfach ist es wohl in der Tat nicht.

    Dazu gibt es auch noch eine ganz offizielle Quelle. Die Strahlenschutzkommission schreibt in ihrer Empfehlung „Zum Vergleich der Strahlenexposition der Bevölkerung durch Emissionen radioaktiver Stoffe aus Kohlekraftwerken und aus Kernkraftwerken“ folgendes:

    „Unter Verwendung der genannten Ausgangsdaten ergibt sich an der ungünstigsten Einwirkungsstelle in der Umgebung eines modernen Steinkohlekraftwerkes als effektive Äquivalentdosis ein Wert von etwa 0,7 mrem und entsprechend bei einem modernen Kernkraftwerk mit Druckwasserreaktor ein solcher von etwa 0,1 mrem – jeweils bezogen auf die Emissionen für eine Erzeugung von 1 GW / a elektrischer Energie. Die Strahlenexposition in der Umgebung eines Braunkohlekraftwerkes ist im allgemeinen um etwa den Faktor 5 niedriger als die bei Zum Vergleich der Strahlenexposition durch Emissionen radioaktiver Stoffe aus Kohle-/Kernkraftwerken 4 einem Steinkohlekraftwerk. Bei Kernkraftwerken mit Siedewasserreaktor ist die Strahlenexposition um etwa den Faktor 4 höher als bei solchen mit Druckwasserreaktor.“

    https://www.ssk.de/de/werke/1981/volltext/ssk8102.pdf

    Mir geht jetzt erst einmal nicht ein, warum ich um Kohlekraftwerke herum nicht die gleichen Effekte messen sollte, wie um ein Kernkraftwerk herum.

  49. #49 Ralf Kusmierz
    03/02/2011

    Ja, in der Tat nicht so einfach. Aber die Gegenüberstellung von einigen 100 MBq Emissionen aus einem Kohlekraftwerk gegenüber einigen zehn TBq aus einem KKW, und dann noch mit einem ganz anderen Nuklidspektrum, sollten die Behauptung von der “stärkeren Strahlung” wohl deutlich relativieren. Wir ziehen uns halt auch nicht die Hosen mit der Kneifzange an.

    Es ist allerdings nicht mit der Radioaktivitätsbetrachtung getan: Bei Großfeuerungsanlagen (dazu zählen neben Kohlekraftwerken auch noch Müllverbrennungsanlagen und Hüttenwerke) gibt es nämlich auch noch erhebliche toxische Emissionen, die natürlich epidemiologisch nachweisbar sind und auch die Sexodds beeinflussen. Und wenn Sie dann vielleicht einmal eine vollständige Liste solcher Standorte inkl. der dort verbrannten Brennstoffmengen und der Kaminhöhen sowie der Betriebszeiten hätten, dann könnte ich damit richtig etwas anfangen. Ich habe mich um eine solche Liste durchaus schon bemüht – so einfach bekommt man die leider nicht zusammen.

    Der Effekt ist auch keineswegs so klar: Früher rauchte der Kohlequalm aus jedem Hausschornstein, inkl. Staub und Asche in der Stube und draußen auf dem Aschenplatz. Aber die Beheizungsmethoden haben sich geändert (Öl, Gas) – was wirkt sich denn da nun wie aus, wie kann man das trennen?

    Und auch sonst sind so einige Dinge passiert: Die Kraftstoffe wurden benzol- und bleifrei, der Schwefeldioxidgehalt in der Luft ging zurück, der Dioxingehalt in der Nahrung sank, die Arbeitsbedingungen und die Ernährung hat sich geändert.

    Mit “kann ja gar nicht sein” kann man damit sicher nicht adäquat umgehen. Aber nach standortspezifischen Änderungen zu schauen und statistisch mit dem durchschnittlichen Trend zu vergleichen, doch wohl schon, oder? Können Sie sich evtl. vorstellen, daß die Daten nicht durch graphisches Abmessen an Diagrammen zustandegekommen sind, sondern vielleicht doch nach den Regeln der Kunst gerechnet?

    Ich bin nicht der Meinung, daß nur derjenige ein Recht zur Kritik hätte, der es besser machen kann. Aber bloßes Herummeckern beindruckt mich nicht im geringsten.

    Mit freundlichen Grüßen
    Ralf Kusmierz

  50. #50 Jörg
    03/02/2011

    Ich hab jetzt das Interesse am Diskutieren verloren. Ich habe mir eindeutig Mühe gegeben, und wer versucht, das noch als “bloßes Herummeckern” abzuwerten ist keiner auf den es sich lohnt, Worte zu verschwenden. Wenn man sieht, wie in der Studie z.B. in den letzten vier Plots wild irgendetwas an Rauschen gefittet wird braucht man das auch wissenschaftlich nicht mehr ernst zu nehmen.