Schaut euch dieses Bild an:

i-184a50038da7e77a5e3bc5d977247108-serrano-andres-piss-christ-1987-thumb-400x563.jpg

Ist es nicht eine glorreiche Darstellung in diesem bekannten Bild von Andres Serrano? Der Heiland am Kreuz, gestorben fuer unsere Suenden, umstrahlt von der Guete der Selbstaufopferung, im goldenen Lichte der Hoffnung, die Religion spendet. Das Bild strahlt ein erhabenes und begruessendes Gefuehl aus. Jedenfalls solange, wie man nicht weiss wie es entstanden ist. Dann naemlich wird es zu Kunst.
Andres Serrano hat fuer sein Bild Immersion (Piss Christ) den allseits bekannten Kadaver-am-Stiel in einen Behaelter mit seiner eigenen Pisse gesetzt und mit einer alten Phototechnik aufgenommen. Und dort, wo die Ebenen der Form und des naiven Anscheins aufeinandertreffen, entsteht die Kunst.

Die Interpretationsmoeglichkeiten sind natuerlich vielfach, ganz frei von den religioesen Motiven waere schon die Meta-Ebene um Form und Inhalt wuerdig fuer ein Kunstwerkes. Aber richtig durch kommt das erst durch das religioese Motiv. Serrano selbst sieht es als eine Botschaft gegen die Kommerzialisierung der Religion oder des spirituellen Kernes, aber das empfinde ich als arg schwache Interpretation. Aber Kunst ist schliesslich Kunst, weil sie den Beobachter anregt und nicht weil sie eine feste Botschaft enthaelt. Ich jedenfalls koennte mir kaum ein schoeneres Sinnbild fuer den Goldenen Schein der Religionen vorstellen.

Und natuerlich trifft man ordentlich Nerven, wenn man ein bisschen an der Kuscheldecke vom religioesen Wohlfuehl-Discounter zerrt. Und so haben sich jetzt auch in Frankreich wieder ein paar Fanatiker gefunden, die vor Gewalt nicht zurueckschrecken, um ihre unsichtbare Schutzschicht vor der Realitaet zu verteidigen. Offenbar angestachelt von rechten Haken Sarkozys im Wahlkampf, hat sich zunaechst eine rechtskonservative Protestbewegung gegen die Ausstellung von Piss Christ in Avignon gebildet. Nach einer Demonstration mit mehr als 1000 Teilnehmern am Samstag wurden die Sicherheitsmassnahmen erhoeht und das Foto mit einer Plexiglasabdeckung geschuetzt, ausserdem wurden zwei Waechter abgestellt.
Am Sonntag dann haben vier junge Vandalen sich berufen gefuehlt, die Waechter mit Haemmern zu bedrohen, das Plexiglas einzuschlagen und das Foto mit einem scharfen Gegenstand aufzuschlitzen. Sie zerstoerten auch ein weiteres Werk, das die Haende einer betenden Nonne zeigte.

Aber – oh goettliche Ironie – jetzt ist Piss Christ eben wieder in den Nachrichten, und das Schoenste ist: Das zerstoerte Foto wird wieder ausgestellt werden.

Kommentare (12)

  1. #1 Christian A.
    04/19/2011

    Da sollte ich wohl aufpassen, dass mir solche Spacken nicht meine CD-Sammlung demanufacturen.
    Außerdem, wie hohl ist das ein Foto zu zerstören?
    Und davon abgesehen ist die Idee hinter dem Foto wirklich hübsch!

  2. #2 HaDi
    04/20/2011

    “Nehmet euch der Notdurft der Heiligen an. Herberget gern.” (Römer 12,13 nach Luther)

    Womit wieder mal bewiesen ist, dass man in der Bibel wirklich zu jeden Thema etwas passendes findet. Außer “Brücken”, da findet sich – weder im alten noch im neuen Testament – keine einzige.

  3. #3 rolak
    04/20/2011

    moin Christian A, wenn ich Dich richtig interpretiere, setzt Du ‘Photo’ und ‘beliebig oft ersetzbare Kopie’ gleich – das ist aber bei weitem nicht identisch. Neben den vielfältigen Möglichkeiten in den Positivprozeß einzugreifen oder multiple Techniken anzuwenden kannst Du es auch am Jetztzustand des besprochenen Bildes sehen: Das Photo wird im teilzerstörten Zustand ausgestellt.

  4. #4 Christian A.
    04/20/2011

    Tach rolak, ja, du hast Recht. Ich hab selber keine Erfahrung mit Fotos in irgendeiner Weise, ich kenn die nur als “Tolles Foto! Kannst du mir davon einen Abzug machen?” – “Kein Problem, ich hab ja das Negativ!”.
    Ich hab daher auch den letzten Absatz falsch interpretiert, ich bin davon ausgegangen, dass einfach eine weitere Kopie des Bildes ausgestellt werden wird. Danke für den Hinweis!

  5. #5 Ludmila
    04/20/2011

    Hmm, das zerstörte Foto ausstellen. Das ist ja schon fast interaktive Kunst. Jetzt ist nicht nur das Foto ausgestellt, sondern auch die Reaktion darauf. Und Werbung hat der Künstler auch gekriegt. Was Besseres konnte dem gar nicht passieren. Ich find das Kunstwerk jedenfalls sehr gelungen.

  6. #6 nihil jie
    04/20/2011

    @Ludmila

    eine steigerung der interaktivität wäre noch wenn man den künstler daneben postiert und der zurückhauen draf, wenn jemand kommt um das bild wieder zu zerstören 😉

  7. #7 MisterX
    04/20/2011

    Warum ist so ein mist kunst???
    Ich hab eine idee !! Ich stell eine jesus figur in ein glas wasser muahahaha, damit will ich dann ausdrücken wie “wässrig” doch die religion ist ;D Hoffentlich kommts dann auch in ein museum und ich werde berühmt ^.^

    total bescheuert….

  8. #8 rolak
    04/20/2011

    Da der Schaffende in der Gesellschaft lebt, ist -langfristig gesehen- sein Werk immer interaktiv, Ludmila, so wie der meisterliche Prozeß bei Pardon damals. Der Serrano-Fall ist natürlich wesentlich direkter – wenn auch nicht intentionell wie diese U-Bahn-Bondage oder gar Cages 4’33”, bei dem letztendlich das Werk jedesmal neu und ausschließlich durch das Publikum geschaffen wird.
    Wegen eines photographiebegeisterten Kunstlehrers in grauer Vorzeit hatte ich einen Vorsprung, Christian A. 😉

  9. #9 Jörg
    04/20/2011

    MisterX: Na dann gibts ja keine Ausrede wenns so einfach ist, wann ist denn die erste Ausstellung zu erwarten?

  10. #10 MisterX
    04/20/2011

    Och mal gucken ;D wenn ich geld brauch. Üprigens hat der typ auch zwei Metallica alben designed^^

  11. #11 stl
    04/21/2011

    Ich hätte gefragt: Ist das Kunst oder kann das weg?
    (War Mike Krüger, erinnere ich.) Aber mit der gelungene Beschreibung des Fotos und nach dieser Aktion – doch, das Bild hat wirklich etwas. Wobei ich dagegen bin, Folterinstrumente als Kunst auszugeben, also … nun, das lag ursprünglich nicht beim Künstler. Es ist daneben, die als Zeichen der eigenen Religion auszugeben.

  12. #12 Roland
    04/29/2011

    Wär doch eine passende Strafe, diese katholischen Taliban rechts und links neben dem Foto hinzuhängen – im Original hing der Abgebildete doch auch zwischen Verbrechern…