Eine Lupe ist genauso ein Mikroskop wie ein Elektronenmikroskop, Rasterkraftmikroskop oder dSTORM*. Damit ein Ding “Mikroskop” sein darf, muss dieses Ding dafür sorgen, dass irgendetwas kleines beobachtbar wird oder zumindest besser beobachtbar wird.
“Wohl vergrößert – sie ist Mikroskop – Satire die Dinge,
Aber verändert sie nicht; zeiget sie deutlicher nur.
Meine Distichen sind anatomische Präparate
Von dem Geziefer, das uns Saaten und Blüten verdirbt.
Ungeziefer erforscht kein unbewaffnetes Auge,
In sein Inneres dringt nur die Satire hinein.”
Ludwig Feuerbach, Gedanken über Tod und Unsterblichkeit (1830), Xenien(2) via de.wikiquote.org

Unter den Begriff „Mikroskop“ fällt deutlich mehr, als man erwarten würde. Ob ich mir auch die Satire als Thema vornehme, um vielleicht ihre Vergrößerung auszurechnen, weiß ich noch nicht. Ich fange erst einmal mit den optischen Gerätschaften an.

Nicht zwangsläufig muss ein Mikroskop mit Licht funktionieren, aber in vielen Fällen ist das so. Nicht nur weil 2015 das internationale Jahr des Lichts ist, sondern auch weil ich auf dem Gebiet der Lichtmikroskopie arbeite, fange ich mit den Geräten an, die den sichtbaren Teil des elektromagnetischen Spektrums benutzen. Das war auch historisch so.
Die Lupe hab ich ja schon am Anfang angesprochen, sie ist eines der einfachsten Lichtmikroskope, und nennt sie daher auch tatsächlich “einfaches Mikroskop”. Dabei muss das nicht das typische Detektiv-Vergrößerungsglas sein, dass einem jetzt eventuell vorm inneren Auge schwebt. Die Geschichte des Mikroskops findet im 17. Jahrhundert ihren Anfang, und zwar mit Glasperlen und legendären Genies.

Niederländische Linsen

Der Niederländer Antoni van Leeuwenhoek war begnadet im Herstellen von Linsen. Und er war auch der erste Mensch, der Einzeller beobachtet hat – er nannte sie “animalcules”. Das tat er mit seinem eigenen, einfachen Mikroskop, aber nicht nur das. Er beobachtete und beschrieb auch als erster Muskelfasern, Bakterien, kapillaren Blutfluss und Spermien. Muss eine aufregende Zeit für ihn gewesen sein. Die Wanderung der Blutzellen durch die feinsten Blutgefäße schaute er sich übrigens an den Ohren von Kaninchen an. Das mag etwas martialisch klingen, wenn man sich vorstellt, wie er ein Kaninchenohr auf einem Probenhalter eingespannt hatte, aber es war gar nicht so schlimm. Van Leeuwenhoeks Mikroskop war ein “einfaches Mikroskop”, also mehr eine Lupe, eine kleine Linse, die eine starke Vergrößerung besessen hat. Er quälte also kein Kaninchen in dem er die Ohren irgendwo einspannte, van Leeuwenhoek konnte die Kapillaren in den Ohren des Tieres betrachten, in dem er sich sein Mikroskop vor ein Auge gehalten hat und einfach nur nah an das Kaninchenohr heran ging. Der Niederländer war kein gelernter Wissenschaftler, er beendete das Gymnasium und machte danach nicht ein Studium an einer Universität und verfolgte auch keine andere Ausbildung. Aber zu seinen Lebzeiten (1632 bis 1723), sorgten seine Beschreibungen und angefertigten Zeichnungen** der Dinge, die er beobachtete, für so viel Aufsehen, dass er in die Wissenschaftsgemeinschaft aufgenommen wurde. Man stolpert manchmal im Netz über Seiten, die van Leeuwenhoek als “Begründer der Mikrobiologie” bezeichnen, ich bin aber nicht sicher, ob diese Meinung von allen Biologinnen und Biologen geteilt wird.
Die Vergrößerung des einfachen Mikroskops von van Leeuwenhoek war wohl 200fach oder größer, zieht man die Dinge, die er beobachtet hat, in Betracht. Eine so erhebliche Vergrößerung sollte erst Jahrhunderte später Standard in der Mikroskopie werden. Das lag vor allem daran, dass er mit niemandem die Details seiner Linsenschleiftechnik teilte. Mittlerweile vermutet man, dass sein Geheimnis in einem Schmelzverfahren lag, dass bereits kleine Glaskügelchen lieferte, die nahe an der Linsenform waren, die van Leeuwenhoek benutzte. Aber ob seine Genialität darin bestand, hervorragend Glas schmelzen zu können, dessen Resultate lediglich den letzten Schliff brauchten, ist nur eine Spekulation.
Man sollte jetzt meinen, dass Antoni von Leeuwenhoek der Pionier auf dem Gebiet der Mikroskopie war, und dass zusammengesetzte Mikroskope (also mehr als eine Linse) erst später entwickelt wurden. Das stimmt aber nicht. Ein anderes Genie, das wohl jeder kennt, kam van Leeuwenhoek zuvor. Galileo Galilei stellt bereits 1609 sein Occhiolino vor, ein zusammengesetztes Mikroskop aus einer konvexen und einer konkaven Linse***. Aber in diesem Fall hatte der italienische Erfinder Konkurrenz: Hans Jansen und sein Sohn Zacharias, Linsenschleifer aus den Niederlanden. Zacharias Jansen hatte bereits 1608 auf der Frankfurter Messe (ja, die gab es damals schon) ein zusammengesetztes Mikroskop vorgestellt, dass er zusammen mit seinem Vater Hans entwickelt hatte. Sowohl Galileo als auch die Jansens werden hier und da als Erfinder des Mikroskops bezeichnet. Die Vergrößerungen dieser ersten, zusammengesetzten Mikroskope gingen selten über eine 20fache Vergrößerung hinaus und verzerrten das Bild oft durch Unregelmäßigkeiten im Glas. Daher habe ich die Erfindung des einfachen Mikroskops von Antoni van Leeuwenhoek voran gestellt, obwohl er diese Idee erst Jahre nach Galileo und den Jansens hatte. Selbst Robert Brown, nachdem die Brownsche Molekularbewegung benannt ist, benutzt noch ein einfaches Mikroskop, immerhin im Jahr 1830. Zu diesem Zeitpunkt hatten die zusammengesetzten Mikroskope immer noch mit Abbildungsfehlern zu kämpfen.
Erst um 1873, mit Ernst Abbe und auch Carl Zeiss gelang es, Optiken herzustellen, die nicht mehr von der Güte der Materialien abhingen. Man stieß jetzt an eine grundlegende physikalische Grenze: Die Beugungsgrenze oder Auflösungsgrenze des Lichts, auch Abbe-Limit genannt. Aber die Geschichte um Carl Zeiss und Ernst Abbe ist einen eigenen Blogpost wert. Ich will sie hier nur der Vollständigkeit halber aufführen.

Genug Geschichte

Das, was man sich also normalerweise unter einem Mikroskop vorstellt, so ein Ding zum hinstellen und durchgucken, besteht aus mehreren Linsen, und nennt sich “zusammengesetztes Mikroskop”. Der einfachste Fall ist ein System aus zwei Linsen, die als Objektiv und Okular bezeichnet werden. Das sind einleuchtende Namen, denn die eine Linse ist nah am zu beobachtenden Objekt (Objektiv), durch die andere schaut man mit seinem Auge (Okular) hindurch.
Das menschliche Auge in der Lage ist mit extrem wenig Licht noch ein gutes Bild in unserem Kopf zu erzeugen. Allerdings mangelt es unseren Glubschern leider an der nötigen Vergleichbarkeit um wissenschaftliche Aussagen zu treffen. Winzige Helligkeitsunterschiede werden wir nicht aus der Erinnerung erkennen, während wir zwei verschiedene Proben, nacheinander betrachten. Deswegen gibt es bei vielen Mikroskopen nicht nur ein Okular sondern auch eine Kamera oder einen Detektor, womit Daten für eine spätere Analyse gespeichert werden können.

Zwiebelscheiben und Mundabstriche

Das Bild eines Mikroskops wird durch Licht erzeugt, das durch die Probe abgeschwächt oder verändert wurde. Aber wie kommt das Licht überhaupt auf die Probe? Spätestens jetzt muss man zwischen verschiedenen Mikroskoptypen und -techniken unterschieden. Einige davon sind fast selbsterklärend, wenn man den Namen hört. Andere sind allein schon von der Idee, wie ein Bild erzeugt wird, so abgefahren, dass man sich schon wundert wer auf so was kommt.

Das Durchlichtmikroskop (oder auch Hellfeldmikroskop) kennt man vielleicht aus der Schule. Es liefert genau das, was der Name verspricht. Ganz unten am Mikroskop-Fuß befindet sich ein Spiegel oder eine Lampe, darüber die Probe und darüber beginnt die Optik: Objektiv, Röhre, Okular. Damit kann man zum Beispiel sehr schön Pflanzenzellen betrachten, etwa in sehr dünn geschnittenen Zwiebelscheiben. Die Probe muss dabei dick genug sein, damit das Licht etwas abgeschwächt werden kann. Wenn die Probe zu durchsichtig ist, sieht man nur das Licht.
Menschliche Zellen, etwa wie aus einem Mundabstrich, wären ein Beispiel für “zu durchsichtig”. Solche Zellen, wie praktisch alle Zellen von Säugetieren, sind lediglich einige dutzend Mikrometer dick – das ist kleiner als der Durchmesser eines Haares, das etwa 100µm hat. Wenn man solche Zellen mit einem Durchlichtmikroskop betrachten will, dann muss man sie vorher behandeln, um überhaupt etwas sehen zu können. Häufig färbt man im Labor die Zellen mit Methylenblau an, was man übrigens auch zu Hause leicht machen kann. Methylenblau ist nämlich auch ein Anti-Pilzmittel in der Aquaristik, daher bekommt man es in entsprechenden Fachgeschäften.
Mit dem Fabrstoff gelingt einem auch der erste eigene “Cellfie”. Das ist leider kein Begriff aus meiner Wortschatzkammer. Meine verehrte Kollegin Dr. Lucy Petterson hat diesen Begriff geprägt, als sie ihre Cellfie-Station gebaut hat. Ein Smatphone kann nicht nur Bilder vom seinem Besitzer machen, die Kameras sind mittlerweile so gut, dass es nur die richtige, zusätzliche Optik braucht um daraus ein Mikroskop zu machen. Mit der Cellfie-Station kann man Bilder von seinen eigenen Zellen machen, dazu braucht es leidiglich einem Wattestäbchen, einem Stück Glas, dem Methylenblau Farbstoff und ein Handy. Hier gibt es die Bauanleitung.
Neben dem Durchlichtmikroskop gibt es noch viele weitere Mikroskoptypen wie etwa das Dunkelfeldmikroskop, das Phasenkontrastmikroskop oder das Elektronenmikroskop. Sie unterscheiden sich in der Art wie bobachtet wird, wie überhaupt ein Bild entsteht und wie sie aufgebaut sind. Aber darauf gehe ich in weiteren Blogposts ein.
Jetzt habe ich die ganze Zeit über Mikroskope geschrieben aber noch kein einziges Bild gezeigt. Also gibt’s jetzt zum Schluss einen kleinen Ausblick auf das, was man mit Fluoreszenzmikroskopen machen kann. Das Bild, das mir meine liebe Kollegin Christina Kath zur Verfügung gestellt hat, zeigt die Zellskelette und Kerne von Mauszellen. In der Mitte erkennt man den seltenen Fall einer entarteten Zelle, die etwas Probleme mit ihrer Teilung zu haben scheint. Christina hat vor, dieses Bild auf ihre Osterkarten zu drucken. Gar keine schlechte Idee, wie ich finde.
Beispiel Fluoreszenzmikroskop Osternets by Christina Kath

Mauszellen aus Zellkultur, in weiß und grün sind unterschiedliche Teile des Zellskeletts angefärbt, in magenta ist der Zellkern dargestellt. Das “Osternest” in der Mitte ist eine entarte Zelle. Aufnahme von Christina Kath, alle Rechte liegen bei ihr.

 


 

Fußnoten:

* dSTORM ist kurz für direct STochastic Optical Reconstruction Microscopy. Das Thema meiner Doktorarbeit, und genau deswegen steht es im ersten Satz. 😉
** Van Leeuwenhoek konnte nicht besonders gut zeichnen und beauftragte einen Illustrator, so findet man es jedenfalls in einigen Quellen.
*** Merksatz für konkav und konvex: “konkav, das bleibt die Suppe brav, konvex, da macht die Suppe klecks”.

Kommentare (15)

  1. #1 MartinB
    9. März 2015

    “Merksatz für konkav und konvex”
    Auch schick. ich kannte bisher “konkav” heißt so, weil man da “Kaffee” reinschütten kann.

    • #2 André Lampe
      9. März 2015

      Das mit dem Kaffee gefällt mir sehr! Das kannte ich noch nicht. Danke.

  2. #3 norbert
    9. März 2015

    Ich kannte das bisher so:
    konvex –> sex

    weil weibliche Brüste sowohl konvex als auch sexy sind.

    Habe ich nicht erfunden. Wurde uns tatsächlich im Bio-Unterricht (ca. 1993) so gesagt.

    • #4 André Lampe
      9. März 2015

      Ich hab in der Schule auch einen Merksatz gelernt, der in eine ähnliche Richtung geht. Ich fand allerdings einen Merksatz mit Suppe (oder auch einen mit Kaffee) passender. Und vor allem angemessener.

  3. #5 JW
    9. März 2015

    Galileo und lächelnde Mädchen malender Erfinder? Doch eher da Vinci!

    • #6 André Lampe
      9. März 2015

      Ja. Herzlichen Dank. Ich bin so doof – wenn einen die Freude am Wortspiel überkommt, dann neigt man dazu unreflektiert daran festzuhalten. Kommt raus…

  4. #7 Fliegenschubser
    9. März 2015

    Schöner Einstieg in die Welt der Mikroskopie. “Cellfie” ist im Übrigen ein herrliches Wort, ich werde es sicherlich in Zukunft verwenden.

    Das Bild am Ende gefällt mir sehr gut! Ich vermute mal, das ist STORM? Die Aktinfilamente sehen mir zu gut aufgelöst aus für ein normales Confocal (obwohl man das ohne Scale bar nie genau wissen kann). Sind weiß und grün eingentlich unterschiedliche Kanäle, oder nur eine grün-weiße LUT? Falls es unterschiedliche sind, was genau zeigen die?

    • #8 André Lampe
      9. März 2015

      Hallo Fliegenschubser,
      Das Bild ist aus einem Weitfeld-Fluoreszenzmikroskop mit einer sCMOS Camera. Kein Confocal, keine Hochauflösung. Zur Färbung: zwei unterschiedliche Arten von Mikrotubuli, hier in grün und weiß dargestellt. Zu all diesen Themen gibt es demnächst noch was zu lesen. Geduld, bitte.

      Und Danke für die lieben Worte!

  5. #9 Fliegenschubser
    9. März 2015

    @André:
    Danke für die Antwort. Da hab ich ja voll daneben geraten, was das Bild zeigt 😀 Ich hab noch einmal genau hingeschaut, man kann erkennen, dass grün/weiß Mikrotubuli und keine Aktinfilamente sind.

    Dann werde ich mich in Geduld üben. Bin schon gespannt auf die nächsten Artikel.

  6. #10 Panagrellus
    https://evobioblog.de/
    10. März 2015

    Konvex/konkav: Da hat wohl jeder Physik-Lehrer seinen eigenen Merkspruch. Meiner erklärte es so:
    “Der Podex ist konvex”.

  7. #11 FAS
    10. März 2015

    “Ist das Mädchen brav, ist der Bauch konkav. Hatte es dann Sex, wird der Bauch konvex” – SCNR

    (so ein Spruch würde heute wohl gleich ne Anzeige gegen den Lehrer ergeben)

    • #12 André Lampe
      10. März 2015

      Ja, den kenn ich auch. Ich würde nicht sagen, dass dies gleich zu einer Anzeige führt, aber der Lehrkörper sollte sich Gedanken darüber machen ob das richtige Mittel für den Unterricht gewählt wurde. 😉
      Wäre der Spruch auf eine Schülerin gemünzt, dann würde wohl umgehende eine Anzeige herein falttern, vollkommen zu recht.

  8. […] habe bereits hier erklärt was ein Durchlichtmikroskop ist. Noch einmal kurz zusammengefasst: Licht geht durch eine […]

  9. […] viele Zellen zwischen dem Mikroskop und dem Bereich, der beobachtet werden soll. Im Gegensatz zur Durchlichtmikrokskopie oder Phasenkontrastmikroskopie ist das Problem nicht, dass man die Zellen nicht sieht weil sie zu […]

  10. […] Meine deutlichen dickeren Barthaare eignen sich für mein kleines USB-Mikroskop viel besser als meine Kopfhaare. Man erkennt deutlich, dass das eine Barthaar schneeweiß ist. Übrigens ist das hier nicht das erste Mal, dass ich mir meine Barthaare unter einem Mikroskop anschaue. Im Physikstudium haben mein hoch geschätzter Freund und Kollege Dr. Maik Stuke und ich zusammen das Fortgeschrittenen Praktikum an der Uni Bielefeld bestritten*. Beim Versuch Atomic-Force-Microscope (oder auf deutsch Rasterkraftmikroskop) konnten wir uns eine zu untersuchende Probe frei wählen und haben uns für eines meiner Barthaare entschieden. Nach etwas längerem suchen in meinen Backups habe ich auch das Protokoll und die Bilder von damals wiedergefunden. Eigentlich ist das Rasterkraftmikroskop schon einen eigenen Artikel wert, den ich sicher auch noch schreiben werde, aber ich kann ja jetzt nicht solche Bilder anteasern und euch dann nichts zeigen. Daher gibts hier jetzt das Bild von 2004 – wie ein Rasterkraftmikroskop funktioniert erkläre ich euch ein andern Mal, nur so viel: Eine sehr kleine Spitze tippt auf die Oberfläche und wir mit jedem tippen verschoben. So entsteht ein Abbild mit einer sehr hohen Auflösung, die mehr Details offenbart als ein Lichtmikroskop. […]