Ich war zwischen Weihnachten und Neujahr 2016 in Hamburg auf dem 33. Chaos Communication Congress (33c3) und habe dort einen Vortrag gehalten über die kleinen Dinge im Leben (Link zum Vortragsvideo und eine Liste mit allen Links aus dem Vortrag hier). Nach dem Vortrag hab ich viele Gespräche geführt. Unglaublich viele Menschen sind auf mich zu gekommen und wollten etwas fragen und mehr Informationen, besonders über das “crappy 12€ Mikroskop”, dass ich während des Vortrags gezeigt habe. Übrigens das gleiche Mikroskop mit dem ich alle Bilder aus der Serie Dinge unter’m Mikroskop gemacht habe.
Ich habe versucht aufzuschreiben worauf man beim Kauf achten muss, an welchen Stellen man verarscht wird und welche falschen Annahmen man macht, wenn man sich nicht gut mit Mikroskopietechnik auskennt. Es gibt eine sehr kurzes tl;dr am Ende.
Update: Dieser Artikel richtet sich vor allem an all jene, die vor haben ein USB-Mikroskop zu kaufen. Siehe dazu die Diskussion in den Kommentaren. Danke an alle Kommentator*innen für ihre Beiträge.
Für wen soll es denn sein?
Ich bin der Meinung: Auf keinen Fall ein günstiges USB-Mikroskop für den Nachwuchs anschaffen. Die Faszination von Mikroskopen beginnt in den meisten Fällen beim durchschauen. Ich musste das auch erst lernen und hab darüber in Die Frage nach der Wissenschaft, der Kommunikation und dem ganzen Rest berichtet. Heranwachsende werden wenig Freude daran haben einfach nur ein Gerät zu bekommen und dann einfach mal “zu machen”. Wenn man keine Vorstellung davon hat wie die Welt des Kleinen aussieht wird man Schwierigkeiten haben ein gutes Bild zu erkennen, eine schöne Probe zu finden und man braucht Geduld und Fingerspitzengefühl für die Justage und das Scharfstellen.
Es gibt wundervolle Kästen von diversen Herstellern die sich an Kinder und Jugendliche richten. Wenn der Nachwuchs mit einem Mikroskop beglückt werden soll, dann nehmt einen Mikroskopkasten, denn es sind Anleitungen für Probenpräparation dabei und oft sehr gut geschriebene Begleittexte. Wenn ihr euch bei letzterem nicht sicher seid: Es gibt ein tolles Buch, in dem ich auch schon einmal gestöbert habe, das lediglich für einen Zehner zu haben ist. Niemand hat mir Geld für diese Empfehlung gegeben, es ist nur ein günstiges Buch das mir nach ein paar mal durchblättern sehr gefallen hat:
“Mikroskopieren” Untertitel: Entdecken – Staunen – Wissen” von Annerose Bommer, Kosmos.
Update: Mittlerweile habe ich eine Artiekl über einen Mikroskopie-Kasten geschrieben: Rezension “KOSMOS Mikroskop Experimentierkasten”.
Aber auch beim Mikroskopie-Kasten gilt: Es muss nicht das teure Teil sein, schaut euch Rezensionen an und entscheidet dann. Ich hab mir aktuelle Kästen selbst nicht im Detail angeschaut, aber das was man an Zubehör und an Anleitung bekommt ist oft seinen Preis wert. Als Orientierung: Mit einem Kasten für unter 60 Euro kommt man schon wirklich weit. Es gibt auch Kästen für weniger, aber bei diesen bitte immer erst ein paar Rezensionen lesen. Es muss kein teureres Mikroskop sein, wenn es das erste ist, und auf Spielereien wie “mit LCD Monitor” oder so kann man gut verzichten. Aufnahmen mit einem Handy durch das Okular liefern oft bessere Bilder als eine interne Kamera und sind recht einfach zu machen manchmal etwas fummelig, aber möglich. Egal was man mit einem Mikroskop tut – man braucht eine ruhige Hand.
Wenn man selbst das Spielkind ist…
Wenn man selbst ein Mikroskop haben will – weil man sich bestimmte Dinge anschauen will und Neugierig auf die Welt des kleinen ist – kauft euch ein billiges USB-Mikroskop. Ich hab eins das den Namen XCSOURCE trägt, aber jede vergleichbare Form macht Bilder die ganz OK sind. Wie gesagt: Justage ist wirklich fummelig und für manche Proben empfiehlt es sich eine Taschenlampe zur Hand zu haben um von der Seite zu beleuchten, aber diese Mikroskope findet man zwischen 12 und 20 Euro.
Die lange Liste der Irrungen
Allerdings gibt es viele Produkte die einen gehörig in die Irre führen wollen. Gerade bei USB-Mikroskopen sind die folgenden Dinge IMMER gelogen: “HD”, “2 Megapixel”, “5 MegaPixel”, “Plug and Play”, “einfach zu installieren” “bis zu 500x Vergrößerung”, die Liste könnte man fast endlos Fortsetzen. Meine Erfahrung ist: In jedem Teil, das weniger als 80 Euro kostet, ist immer ein 640×480 Pixel chip drin. Wenn mehr Pixel drauf stehen, dann nur weil die Kamera das Bild künstlich aufbläht – mehr erkennen kann man deswegen nicht. Kauft euch eins für unter 20 Euro, dann tut es auch nicht weh, wenn es nicht genau das zeigt, was ihr euch vorgestellt habt. Mit mehr investiertem Geld wird sich das Ergebnis kaum ändern.
“Plug and Play” und “einfach zu installieren” ist nicht wirklich eine Lüge – man steckt das Mikroskop rein und es geht, weil es als WebCam erkannt wird. Wenn ihr dann keine passende Software dafür habt… Schade. Software, die bei liegt, hat in der Regel nichts mit dem Mikroskop zu tun, erkennt oft das Gerät gar nicht und falls doch, beschränkt sich die Funktionalität auf “Bild speichern unter…”. Ein solches billiges Mikroskop steuert man am besten mit µManager (mikro-manager.org) an. Für WebCams kann man dort den Treiber “openCVgrabber” benutzen. Ansonsten kommt man an die Bilder aber auch mit VirtualDub (capture AVI) oder mit Fiji. Softwareempfehlungen nehme ich gerne!
Das Ding mit der Vergrößerung
Es macht nicht wirklich Sinn bei einem Mikroskop ohne Okulare von einer Vergrößerung wie “256-fach” zu sprechen. Die Angabe von “XXX-fach” oder “XXXx” macht nur Sinn wenn man selbst mit dem Auge durchs Okular schaut. Ohne Kenntnis davon zu haben wie große die Pixel des Chips in dem Mikroskop sind, macht eine solche Angabe aber keinen Sinn. Bei meinem Mikroskop erreiche ich bei der sogenannten 500-fachen Vergrößerung eine Abbildung von ca. 1,2 µm pro Pixel, ich kann also Details ausmachen die so ca. 10 µm groß sind. Ich lehne mich zwar damit aus dem Fenster, aber ich würde sagen, dass kein Mikroskop für unter 80 Euro mehr liefern kann.
Reality-Check
Alles was ich oben über USB-Mikroskope schrieb, sollte einem klar machen, warum ich solche Dinger nicht für Kinder empfehlen kann. Wenn man aber selbst auf der Suche nach ein bisschen mehr Vergrößerung und doch ein paar mehr Bildpunkten ist, hilft logisches Denken. Wenn man Preise für HD-WebCams mal mit Preisen für USB-Mikroskope vergleicht, stellt man schnell fest, dass es wohl kaum möglich sein kann, dass in einem USB-Mikroskop für schon 50 Euro ein HD-Chip drin steckt – schließlich muss noch irgendwo die Optik für die Vergrößert bezahlt werden. Es lohnt sich immer in den technischen Spezifikationen nach der Größe des Chips zu suchen oder darauf zu achten welche Auflösung bei Video erreicht wird. Steht bei Video irgendwas mit 640×480 oder 0,3 MegaPixel, dann sind 2 oder 5 Megapixel immer gelogen – das wird dann künstlich über binning gemacht, was nur das Bild größer zaubert und nicht die Auflösung oder die Vergrößerung besser macht.
Gute Optiken und gute Chips haben ihren Preis. Selbst ein Mikroskop für 80 Euro von Conrad, dass vermutlich wirklich einen 2 Megapixel Chip drin hat, wird nur unwesentlich bessere Bilder liefern, als mein Billigding aus dem Reich der Mitte. Mir waren die 80 Euro allerdings bisher immer zu teuer für “mal ausprobieren” und daher habe ich das nie getestet. Ich würde mich gerne eines besseren Belehren lassen und daher diesen Artikel an Conrad schicken – vielleicht wird mir ja Exemplar für ein Review zur Verfügung gestellt. Dagegen würde ich mich nicht wehren.
Obskures
Es gibt auch Mikroskope in “schmaler Bauform” oder mit der Bezeichnung “Endoskop”. Lasst die Finger davon. Die Handhabung ist wirklich sehr sehr fummelig. Ich bin ein geduldiger Mensch und ich war nicht in der Lage auch nur ein brauchbares Bild damit zu fabrizieren. Wenn euer täglich Brot nicht das inspizieren von engen Rohren oder Spalten ist, denkt erst gar nicht darüber nach. Aber selbst dann: Der Bereich in dem ein scharfes Bild entsteht ist kürzer als 1 mm. Wenn ihr nicht eine so ruhige Hand habt wie ein Neuro-Chirurg und es gewohnt seid Dinge zu tun wie “Flur tapezieren durch den Briefkastenschlitz” werdet ihr an etwas, das dünn und stiftförmig ist und irgendwo die Silbe “endo” im Namen trägt, nicht wirklich viel Freude haben. (So etwas in einem stabilen Stativ kann gut funktionieren, siehe Kommentare).
Es gibt auch diverse Firmen und online-Shops die Mikroskope aufarbeiten und verkaufen. Da sprechen wir dann schon von Preisen im drei bis vierstelligen Bereich. Davor würde ich grundsätzlich warnen. Erstens: Weil ich hier auf diesem Blog von einigen dieser online Shops unglaublich viel Spam in den Kommentaren bekomme. Hallo Karsten, Christoph, Michael und all die Anderen – wenn ihr das hier lesen solltet, bitte hört doch auf andauernd Kommentare mit euren Links zu unterfüttern – ich bin nicht doof. Zweites: Es gibt keinen großen Markt für Mikroskope, deswegen kann man auch nicht wirklich Schnäppchen erwarten. Ein “aufgearbeitetes Markenmikroskop von BLA mit USB-Kamera” wird zwar in der Handhabung ein wenig netter sein, aber in der Auflösung kaum mein billiges USB-Mikroskop schlagen. Vermutlich ist dort auch nur eine 640×480 Kamera verbaut und im Zweifel hat man auch noch Ärger mit Software die nur auf WinXP läuft und eigene, seltsame Protokolle zur Ansteuerung verwendet. Ich weiß nicht ob das einen dreistelligen Eurobetrag wert ist. Drittens: Gute Optik hat ihren Preis – immer. Fragt die Hobbyfotografin eures Vertrauens. In so einem Gespräch wird euch auch gesagt werden, dass es für einen Einsteiger wenig Sinn macht viel Geld zu investieren, wenn man nicht schon etwas Erfahrung in der Bedienung hat und weiß was man abbilden möchte.
Im Gegensatz zu Teleskopen, wo es Sachen für das Hobby gibt, Sachen für die Wissenschaft und irgendwas dazwischen, fehlt der Bereich “irgendwas dazwischen” für Mikroskope. Es gibt zwar einige Hersteller die versuchen mit Schlagworten wie “Schulmikroskop” oder anderen Dingen, Menschen dazu zu bringen dreistellige Beträge auszugeben, aber die meisten Anwendungsfälle werden von deutlich günstigeren Mikroskopen erschlagen. Wenn man wirklich ein Händchen für Basteleien hat, kann man mal auf ebay schauen, aber auch hier wird einem vieles angeboten, das total gut klingt, aber nicht unbedingt sooo wertig ist wie es den Anschein hat.
Fazit
Mikroskopieren steht und fällt auch mit der Probe. Für Kinder und Jugendliche sollte man fertig Kästen nehmen – damit kann man auch als Erwachsener Spaß haben. Wenn man “erstmal nur gucken will” reicht eine Investition von maximal 20 Euro für ein USB-Mikroskop vollkommen. Es gibt kaum Schnäppchen bei Mikroskopen, man sollte immer davon ausgehen, dass man Übervorteilt wird. Viele Dinge klingen sehr gut, machen aber nicht wirklich Sinn. Es lohnt sich vor einem Kauf drei mal nachzudenken und, im Zweifel, mal jemanden Fragen der sich damit auskennt. Damit meine ich nicht zwangsläufig mich. Wenn ihr irgendwo ein Naturkundemuseum habt oder eine Uni, ist die Chance sehr groß, dass es da auch einen Mikroskopieverein gibt. Einfach mal vorbei gehen, sich was zeigen lassen und nach Empfehlungen fragen. Das Feld der Mikroskopie ist so… klein, dass das Internet nicht zwangsläufig die Beste Quelle für Kaufempfehlungen ist.
Tl;dr
Kauft für Kinder & Jugendliche einen fertigen Kasten
für unter 60 Euround evtl. ein gutes Buch dazu – und lest Rezensionen. Günstige USB-Mikroskope sind nicht ideal für den Nachwuchs. Wenn man selbst Bildchen machen will: USB-Mikroskope kosten maximal 20 Euro. Teurere USB-Mikroskope versprechen mehr als sie halten können – besonders für Einsteiger.
Update: Tl;dr wurde etwas umformuliert. Herzlichen Dank an alle Kommentator*innen für die Diskussion.
Update: Ich hab mir das mit der Preisempfehlung im Tl;dr zu einfach gemacht (nachdem ich einen KOSMOS Kasten rezensiert habe).
Kommentare (30)