Scott S. Reuben galt als kompetent, fleißig, hochproduktiv und sein Urteil hatte Gewicht. Reubens medizinische Karriere begann in den 80er Jahren in New York, bevor er 1991 ans Baystate Medical Center in Springfield, Massachusetts, wechselte. Dort machte er sich einen Namen als Experte für die post-operative Schmerztherapie. Jetzt hat diese Bilderbuchlaufbahn ein trauriges Ende gefunden: Scott S. Reuben hat die klinischen Studien, über die er mindestens 21 wissenschaftliche Artikel publizierte, niemals durchgeführt.
Vor wenigen Tagen hat Reuben zugegeben, daß er in den vergangenen zwölf Jahren zahlreiche klinische Studien, die in namhaften Fachjournals publiziert wurden, erfunden, herbeiphantasiert oder schlicht: gefälscht hat. So wird die Liste der medizinischen Felix Krulls und Fälscher also um einen Namen länger. Dort stehen bislang etwa der deutsche Krebsforscher Friedhelm Herrmann oder der koreanische Klon-Superstar Hwang Woo-Suk. Und wieder stellt sich die Frage, wie die Fälschungen und Täuschungsmanöver von Reuben über so lange Jahre hinweg unentdeckt bleiben konnten.
Scharlatan oder Pionier der Schmerztherapie?
Denn es war keineswegs irgendeine Nische, irgendein unwesentliches Randthema, mit dem sich Reuben befasste. Als Anästhesist beschäftigte er sich mit neuen Ansätzen in der Schmerztherapie und war seit spätestens 2000 maßgeblich am Erfolg der sog. COX-2-Hemmer beteiligt.
Bis dato standen die klassischen nichtsteroidalen Antirheumatika (u.a. Ibuprofen oder Diclofenac) hoch im Kurs. Als jedoch – u.a. mit vermeintlich besserer Magenverträglichkeit – eine neue Generation von Schmerzmedikamenten zur Verfügung stand, war es allen voran Scott Reuben, der mit seinen Studien den Beleg für deren Überlegenheit lieferte.
Reuben, der noch 2007 in Fachzeitschriften als Pionier und Wegbereiter einer neuen Ära der Schmerzmedikamentation gefeiert wurde, empfahl etwa die OP-begleitende kombinierte Gabe von COX-2-Hemmern (etwa Vioxx, Celebrex oder Bextra) und bspw. des Antikonvulsivums Gabapentin. Basis waren seine Studien, die als “sorgfältig geplant” und “akribisch dokumentiert” gelobt wurden. Publiziert wurden sie in angesehenen Journals wie Anesthesiology, Anesthesia and Analgesia oder Journal of Clinical Anesthesia.
Immer wieder Pfizer…
Da verwunderte es offenbar weder, daß das von Reuben doch so heftig empfohlene Vioxx im Jahr 2004 wegen unabweisbarer Sicherheitsbedenken vom Markt genommen werden mußte. Noch irritierte offenbar, daß Reuben in schönster Regelmäßigkeit Produkte aus der Angebotspalette das Pharmariesen Pfizer als Mittel der Wahl präsentierte. In mehreren Studien hatte er bspw. den kombinierten Einsatz von Celecoxib (Celebrex®) und des Antikonvulsivums Pregabalin (Lyrica®) als hocheffektiv gepriesen.
Die Fabrikation von Erkenntnis
Der Schönheitsfehler an der Sache: Scott Reuben hat in mindestens 21 Fällen schlicht geflunkert, gelogen und wissenschaftliche Fachartikel zusammengebastelt, für die er keine Datenbasis hatte. Die Beobachtungsstudien, über die er Rechenschaft ablegte, gab es nie. Die auf diese Weise behandelnden Patienten? Nichts außer Kopfgeburten des Dr. R.
Reuben treibt die “Fabrikation von Erkenntnis” auf die Spitze
Eine erstaunlich dreiste Art einer “Fabrikation von Erkenntnis“, an die die Wissenschaftssoziologin Karin Knorr-Cetina in ihrem Buch kaum gedacht haben dürfte. Und – wie es eben so ist: wenn ein bestimmtes Wissen einmal in der (Fach-)Welt ist, so hat dieses Wissen bestimmte Folgen. Es wird anschlußfähig und produziert Folgehandlungen.
In diesem Fall stehen die erfundenden (!) Studien von Scott Reuben am Anfangspunkt; in der Folge wurden hunderttausende, vielleicht gar Millionen Patienten gemäß dieser Empfehlungen ganz real behandelt.
Steven Shafer, Chefredakteur des Fachjournals “Anesthesia & Analgesia”, erklärt:
“Wir sprechen hier wohlgemerkt von Millionen Patienten weltweit, deren postoperatives Schmerzmanagement auf den Studien von Dr. Reuben basierte”.
Und wir sprechen von vielen Milliarden US-Dollar, die die entsprechenden Pharmafirmen in den letzten Jahren mit den entsprechenden Medikamenten erlöst haben. Da kann es kaum verwundern, daß inzwischen auch bekannt wurde, daß Scott S. Reuben ausgesprochen gute Verbindungen zu Pfizer unterhielt; u.a. fünf Forschungsstipendien wurden ihm in den letzten Jahren vom Pharmamulti finanziert. Ein gutes Geschäft, wenngleich Reuben jetzt aus dem Spiel ist.
Was motivierte Reuben zu seinen gefaketen Studien? War es Geld, Gefälligkeit, Ehrgeiz…?
Eine Routineüberprüfung seiner eigenen Klinik hatte das Studien-Lügengebäude jetzt zum Einstürzen gebracht: er hatte versäumt, sich für zwei seiner Patientenstudien eine interne Durchführungsgenehmigung geben zu lassen. Dieses Versäumnis sorgte für Nachfragen, weitere Ungereimtheiten traten zu Tage…
Und doch stellt sich die Frage, wie Reuben über zwölf Jahre hinweg immer wieder neue Fake-Studien publizieren konnte. Und es stellt sich auch die Frage, wie jetzt mit dieser Information über den “Fall Reuben” umgegangen wird – denn natürlich werden in aller Welt Patienten im guten Glauben an die Expertise und Rechtschaffenheit Reubens behandelt. Vielleicht sollte man doch noch einmal nachprüfen, ob seine therapeutischen Empfehlungen tatsächlich belastbar sind…
Randnotiz: Erstaunlich – das nebenbei gemerkt – daß dieser gravierende Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens in den deutschen Medien bislang schlicht ignoriert wird. Auf “3vor10” hatte ich bereits vergangenen Freitag auf Reubens Fall hingewiesen.
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