Der Anspruch könnte größer kaum sein: Wolfram|Alpha, der seit Wochen mit Hochspannung erwartete Dienst, will eine neue Ära der Informations- und Wissenspräsentation im Internet einleiten. Dabei will Wolfram Alpha ausdrücklich keine Suchmaschine á la Google sein, nicht eine bloße Auflistung von Webseiten liefern, sondern echte Antworten auf echte Fragen ausgeben.
Seit einigen Stunden ist Wolfram|Alpha nun online – ein erster kurzer Test, ob die Antwortmaschine hält, was ihr Name verspricht.
Die Vorabinformationen zu diesem hochambitionierten Projekt waren mehr als vielversprechend. Stephen Wolfram, einstiges Wunderkind, Physiker, Mathematiker und Vater des legendären Matheprogramms “Mathematica“, arbeitet seit rund vier Jahren mit einem stattlichen Expertenteam an einem System, das Informationen aus einer Unmenge an Datensätzen auswertet, kombiniert und als Antwort in Form von Tabellen und Graphen ausgibt.
Beginn einer neuen Ära? Wolfram Alpha will ausdrücklich keine Suchmaschine á la Google sein, sondern echte Antworten auf echte Fragen liefern.
Um wirklich relevante Resultate auszugeben – so die wohlklingende Ankündigung – , setzt Wolfram Alpha auf ein Technologie, die einerseits eine (semantische) Interpretation der Fragestellung leistet, andererseits Informationen aus Datenquellen – die eine Art Qualitätsprüfung durchlaufen haben – berechnet und bündelt.
Insgesamt, so erklärt Stephen Wolfram in den letzten Tagen mehrmals, müsse “Wolfram|Alpha” als “Maschine zur Berechnung menschlichen Wissens” angesehen werden, im ZEIT-Interview sagte er:
“Wir benutzen als Ausgangsmaterial das gesamte Wissen der menschlichen Zivilisation, mit dem sich Berechnungen anstellen lassen.”
Über die Grenzen der Berechnung
Doch was läßt sich denn nun auf diese Weise tatsächlich “berechnen”? Welche Antworten liefert diese Wissensmaschine beispielsweise auf Fragen mit sozialwissenschaftlicher Akzentsetzung? Ist Wolfram|Alpha ein sinnvolles Instrument zur Informationsbeschaffung für sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Fragestellungen?
Lassen sich relevante Antworten tatsächlich “berechnen”? Ist Wolfram|Alpha ein taugliches Instrument zur Informationsbeschaffung?
Auch in der Soziologie rekurriert man natürlich immer wieder auf “harte” Zahlen und Daten. Einkommen, Altersdurchschnitt, Bildungsgrad, Ausländeranteil, Konfessionszugehörigkeit etc., lauter sozio-ökonomische Daten, die interessant sein können. Findet man die mit Wolfram Alpha?
Eine der Stärken sei, so war zu lesen, die übersichtliche Darstellung der Informationen. Und sicher, wenn ich die Lebenserwartung in Deutschland und Frankreich wissen will, so erhalte ich tatsächlich die Antwort, daß die Franzosen im Schnitt 81 Jahre alt werden, die Deutschen lediglich 79.3 Jahre. Aber – hier beginnen schon die Einwände – wie verhält es sich mit der Lebenserwartung bei Männern und Frauen? Wie ist die historische Entwicklung? Und auf welche Datenbasis und welchen Zeitpunkt beziehen sich die angebenen Werte?
Dennoch: mit ein wenig Glück bekommt immerhin ein halbwegs informatives Ergebnis. Allzu oft reagiert das System allerdings mit Schulterzucken: auch auf simple Keyword-Kombinationen erhält man ein lapidares: “Wolfram|Alpha isn’t sure what to do with your input.”
Und mehr als die bescheidene Information, daß es in Deutschland Katholiken, Protestanten, Muslime und andere Religionen gibt, war der Wissensmaschine auch nicht zu entlocken. Andernorts – etwa bei der Wikipedia – erhält man deutlich bessere und detailliertere Auskünfte, was die Konfessionszugehörigkeit und Bedeutung verschiedener religiöser Gruppierungen angeht.
Nicht ganz so schlecht ist das Ergebnis auf die Frage nach dem Bevölkerungswachstum. Hier werden einige Kennzahlen wie etwa die jährliche Geburts- und Sterberate, wie auch die Gesamtbevölkerungsanzahl ausgegeben.
Doch auch hier gilt: bei der Wikipedia – beispielsweise auf der Seite zur Demographie Deutschlands – ist man wesentlich besser und umfassender informiert.
Wolfram|Alpha: Die programmierte Ahnungslosigkeit
Nun bestehen die Sozialwissenschaften allerdings nicht allein aus dem Wissen über bestimmte statistische Kennzahlen. Es geht um Bedingungen, Sinn und Strukturen menschlichen Zusammenlebens, um das Wechselspiel zwischen Individuum und Gesellschaft und generell um die Organisations- und Funktionsprinzipien von sozialen Systemen.
Die mit viel Vorschußlorbeeren ausgestattete Antwortmaschine liefert nichts außer Fehlermeldungen oder Quasi-Antworten.
Wie steht es also, wenn man Wolfram|Alpha einige Grundbegriffe wie Handlung, Macht, Individuum oder Organisation vorsetzt? Wie schon zu erwarten war, liefert die mit so viel Vorschußlorbeeren ausgestattete Antwortmaschine nichts außer Fehlermeldungen oder Quasi-Antworten, denen eine falsche Interpretation der Frage zugrunde liegt.
Auch die Hoffnung, daß man irgendwelche Definitionen oder hilfreiche Infos zu anderen Fachbegriffen wie “Risk Assessment” oder “Public understanding of Science” erhalten könnte, kann man sich abschminken. Jürgen Habermas ist immerhin bekannt und man erfährt, daß es sich um einen Philosophen handelt, der 1929 in Düsseldorf geboren wurde. Von Niklas Luhmann hat die schlaue Maschine dagegen noch nie etwas gehört.
Aber was erwartet man auch von einer Webanwendung – ganz egal, ob man sie nun Antwortmaschine, Wissensmaschine oder sonstwie nennt – , die auf die Eingabe von ScienceBlogs nichts anderes als:
“Did you mean Scientology?”
antwortet?
Damit disqualifiziert sich Wolfram Alpha ja wohl endgültig, oder? Und ich gehe mal nicht davon aus, daß Wolfram|Alpha die ebenfalls wenig positiven Tests von Thilo, Ali, Jörg oder Florian zur Kenntnis genommen hat und deswegen rumzickt. 😉
Meine Gesamtwertung: 2/10 Punkten.
- Der Weltrechner, Interview mit Stephen Wolfram in der ZEIT
- David Talbot: Wolfram Alpha vs. Google, Technology Review Blog, 6.5.2009
Kommentare (5)