Vor gut 3 Wochen war die Schweinegrippe das alles bestimmende Thema. Als sich die neue Variante des A/H1N1-Virus binnen weniger Tage von Mexiko über die USA bis nach Europa ausbreitete, war die (mediale) Aufregung kaum zu übertreffen.

Inzwischen hat sich das Virus tatsächlich weltweit ausgebreitet, die Zahl der bestätigten Fälle ist auf über 12.000 angestiegen und die WHO sieht weiterhin ein “erhebliches Pandemie-Risiko”. Für die Medien ist die Schweinegrippe freilich nur noch ein Randthema, in Blogs, Foren oder bei Twitter scheint sie inzwischen vollkommen irrelevant geworden zu sein.


Warnschuß im April: Die Ausbreitung der Schweinegrippe

In der letzten Aprilwoche überschlugen sich die Ereignisse: In Mexiko-Stadt wurden viele hundert Grippefälle registriert, die – so die Vermutung – durch einen neuen Influenza-Virus ausgelöst wurden. Als die ersten Todesfälle bekannt wurden, verhängte der mexikanische Präsident Felipe Calderón den Ausnahmezustand und Zwangsferien. Währenddessen wurden immer mehr Grippe-Infektionen aus den USA und anderen Ländern gemeldet. War das der lange erwartete Ausbruch eines neuen Supervirus?

Heute wissen wir, daß der Schweinegrippevirus weniger ansteckend und tödlich ist, als zunächst befürchtet. Außerdem scheinen Neuraminidase-Hemmer (wie bspw. Tamiflu) recht gut zu wirken. Genauso steht inzwischen aber fest, daß sich der A/H1N1-Virus sehr gut von Mensch zu Mensch überträgt. Und die WHO hält nicht zuletzt deshalb an der Pandemie-Warnstufe 5 (von max. 6) fest. Von Entwarnung kann also keine Rede sein.

Influenza-Viren sind hochvariabel. Der aktuelle A/H1N1-Typ verbreitet sich spielend leicht von Mensch zu Mensch. Von Entwarnung kann keine Rede sein…

Zumal Influenzaviren begnadete Verwandlungskünstler sind. Das Virus hat vor einigen tagen nun auch Asien erreicht und Experten halten es durchaus für möglich, daß sich der H1N1-Erreger mit anderen Influenza-Typen mischt und möglicherweise in einer neuen, deutlich aggressiveren Variante zurückkehrt.

Erfolgreiches Virus: Globale Ausbreitung

Man kann und muß also davon sprechen, daß weiterhin allergrößte Vorsicht angebracht ist. Denn der Erreger breitet sich weiter aus. Nicht mit rasender Geschwindigkeit, aber dennoch mit Erfolg. Das Robert-Koch-Institut schreibt vorgestern:

“Mit weiteren Erkrankungen in Deutschland muss gerechnet werden. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation gibt es vermutlich keine oder nur eine beschränkte Immunität gegen das neue H1N1-Virus.”

Die WHO meldet aktuell mehr als 12.200 bestätigte Fälle und 91 Todesopfer. Die Karte zeigt die weltweite Ausbreitung:

i-efb41cd73c1cc874f4a1b04c5719365a-ah1n1_01.jpg

Aufmerksamkeit: Eine begrenzte Ressource

Auffallend dabei ist, daß sich diese anhaltende Gefährdungslage in keinster Weise in den Medien widerspiegelt. Das Interesse an der Schweinegrippe ist rapide gesunken. Dem anfänglichen Hype folgte (was durchaus typisch ist) der Übergang zur Tagesordnung.

Wobei hier zu erwähnen ist, daß die “Tagesordnung” sich im Vergleich verschiedener Medienformate deutlich unterscheidet. Für die klassischen, journalistisch-redaktionellen Formate ist die Schweinegrippe durchaus weiterhin ein Thema. Über neue Fälle in Deutschlan dund Europa wird durchaus berichtet. Allerdings eben weniger schrill, weniger aufgeregt, was durchaus angemessen ist.

Wenn man demgegenüber aber die alternativen Kanäle (wie Blogs, Foren oder aber Twitter) ansieht, so zeigt sich hier ein deutlicher Unterschied: denn dort spielt die Schweinegrippe seit 2-3 Wochen faktisch keine Rolle mehr.

Twitter ist im journalistischen Kontext kaum mehr als eine Erregungsmaschine.

Insbesondere bei Twitter kann rekonstruiert werden, wie dieses Thema binnen weniger Stunden weltweit gehypt wurde und zum dominierenden Diskussionsgegenstand wurde. Man sieht wie am 25./26. April die Kurve ansteigt, etwa 5-6 Tage anhält und dann fast wieder auf das Ausgangsniveau zurückfällt.

Dieses Beispiel könnte man durchaus als Indiz dafür hernehmen, daß Twitter (wenn es um seine journalistische Relevanz geht) letztlich doch kaum mehr als eine Erregungsmaschine ist. (Quelle: Twist)

i-bccdce8c650e3de551514c19d5f6095b-Twitter_Swine_flu01.jpg

Die rote Kurve zeigt den Karriereverlauf von “swine flu” bei Twitter. In der “heißen Phase” war die Schweinegrippe das Thema jeden dreißigsten Tweets und kam in Spitzenzeiten auf 10.000 Nennungen pro Stunde. Inzwischen ist die Zahl der Schweinegrippe-Tweets auf 1% der Spitzenwerte gesunken.

Im Gegensatz dazu, zeigt die Zahl der bestätigten Fallzahlen in Europa keine abnehmende Tendenz. Die aktuelle Statistik des europäischen Zentrums zur Seuchenbekämpfung in Stockholm sieht so aus:

i-b2374c78aa28641569d821a83fda5ae8-ECDC_Swine_flu01.jpg

Wobei es mir mit den oben gemachten Ausführungen keineswegs um eine Pauschalkritik an Twitter oder ähnlichen Formaten geht. Schließlich twittert ScienceBlogs auch. Und auch auf ScienceBlogs war die letzten Tage nichts über die Schweinegrippe zu lesen. Wir zählen also strenggenommen auch zu denjenigen, die dazu beigetragen haben, daß die Schweinegrippe zu einem Medienthema wurde und dann nach einigen Tagen auch wieder vergessen wurde.

Dennoch ein interessanter – und für den Umgang mit Krisen, Katastrophen u.ä. typischer – Befund, finde ich…

Aktuelle Lageeinschätzungen zu A/H1N1:

Mehr zur Schweinegrippe bzw. A/H1N1-Influenza auf ScienceBlogs:

Kommentare (9)

  1. #1 Thearcadier
    Mai 25, 2009

    Ich hab die ganze Aufregung nie verstanden. Da wurde in Hochzeiten der Berichterstattung mit Opfer- und Infektionszahlen um sich geworfen als drohe nun endlich der lang ersehnte Untergang. Dabei sind die Zahlen der “normalen” Grippe NUR in Deutschland viel erschreckender – und das jedes Jahr. Dass man darüber berichtet und auch Maßnahmen ergreift, ist völlig klar. Aber das war echt zuviel des Guten.

    Ich habe hier mal einige Zahlen rausgesucht:
    https://roterhai.wordpress.com/2009/05/12/hochkonjunktur-der-panik/

  2. #2 Tobias
    Mai 25, 2009

    Tatsächlich war eben nicht absehbar, wie virulent der neue Grippestamm ist, und wie viele Menschen tatsächlich nach einer Infektion sterben. Die ersten Zahlen aus Mexico waren alarmierend, daher ist es nur richtig dass gewarnt und intensiv berichtet wurde. Die Medien spielen eine wichtige Rolle bei der Aufklärung.

  3. #3 Thearcadier
    Mai 25, 2009

    @ Tobias

    Natürlich ist es wichtig, dass darüber berichtet wird, das habe ich ja auch nicht kritisiert. Es ging mir vielmehr um die Art. Wieso hat man nicht gleich von Anfang an Wissenschaftler zu Rate gezogen und deren Erklärungen (was ist ein Virus und was macht er?) einem breiten Publikum zur Verfügung gestellt? Derartige Interviews mit Virologen und Biologen musste man erst suchen. Einfach nur Zahlen raushauen hat nichts mit Aufklären zu tun.

  4. #4 Tobias
    Mai 25, 2009

    Auch ein Virologe oder Biologe kann nicht absehen, wie gefährlich ein neuer Grippestamm ist, bevor er untersucht wurde und stichhaltige Zahlen vorliegen. Ich fand die Bericherstattung weitgehend ordentlich. Nicht jeden interessiert, wie die Neuraminidase des Virus mutiert ist, aber jeden hat zu interessieren, dass er sich mit Grippesymptomen am besten schnell in ärztliche Behandlung begibt.

  5. #5 Marc
    Mai 25, 2009

    @Thearcadier + Tobias:

    Ich denke, daß wir uns weitgehend einig sind, daß Berichterstattung sinnvoll und notwendig ist. Angefangen von der Information der Bevölkerung (sich bei auffälligen Symptomen in ärztliche Behandlung zu begeben, sowie ggf. Vorsichtsmaßnahmen) bis zum weiterreichenden Informationsbedürfnis der Leser.

    Ich persönlich war (und das sehe ich wohl wie Thearcadier) damals aber ehrlicherweise doch überrascht, wie massiv und umfangreich die Medien in allen Kanälen berichtet hatten. Und in manchen Texten und Berichten konnte man durchaus sowas wie die Lust an der drohenden Katastrophe spüren.

    Auffallend ist aber – und deshalb habe ich den Artikel gestern geschrieben und die Relevanz des Themas bei Twitter mit den tatsächlichen Fallzahlen kontrastiert – , daß das Interesse doch sehr schnell sehr stark abgeflaut ist. Was anderes wollte ich gar nicht zeigen.

  6. #6 Stefan Jacobasch
    Mai 25, 2009

    Das Thema Schweinegrippe könnte im Herbst wieder aktuell werden. Denn den letzten gefährlichen Grippewellen gingen auch jeweils kleinere im Frühjahr voraus.

    Was ich allerdings nicht verstehe: Warum Twitter neuerdings für alles und jedes als relevanter Gradmesser der öffentlichen Debatte angesehen wird.

  7. #7 Marc
    Mai 25, 2009

    @Stefan:

    Ich selbst halte Twitter in diesem Kontext (wie Du sagst als “Gradmesser der öffentlichen Debatte”) ja eben auch für überschätzt. Twitter ist ein spannender Kommunikationskanal, aber am obigen Beispiel wird ja eben deutlich, daß es eine Funktionslogik hat, die vielen Anforderungen (an öffentliche Diskurs) zuwiderläuft. Und “journalistisch” ist eben auch natürlich auch nicht.

    Allerdings korrelieren die Themen, die bei Twitter verhandelt werden, dennoch mit denjenigen, der klassischen Medien. Insofern ist an dem Twitter-Chart auch das Schwinden der generellen (Medien-)Aufmerksamkeit für dieses Thema ablesbar.

  8. #8 Sebastian
    Mai 25, 2009

    Also ich weiß nicht. Bei mir hat sich bei der die Schweinegrippe begleitenden Berichterstattung sehr schnell eine ordentliche Abwehrreaktion eingestellt.

    Mag ja sein, das der Virus nicht ungefährlich ist. Das ist doch aber wohl jeder Grippevirus oder seh ich da was falsch? Auch das ich bei Grippe gefälligst meinen müden Hintern zum Arzt und nicht in die Firma bewege sollte doch usus sein…

    Eben dieses reißerische in der Presseberichterstattung ( jede Leiche für die Quote ) hat imho sehr sauber dafür gesorgt, das das Thema sehr fix keine Sau ( Achtung Kalauer ) mehr interessiert.

    und last but not least:
    Waren das nicht irgendwie 96 Tote zunächst in Mexico City, wo das große Bohei losging? Wieviel Einwohner hat Mexico City nochmal?

    naja das waren erstmal meine 0,02 € hierzu

  9. #9 Monica
    Juni 3, 2009

    Seit Wochen hält sich das Schweinegrippen Virus in den Medien und macht die Leute verrückt.Also entweder müssen wir aufpassen oder nicht. Ich bin es fast Leid, ständig diese Unsicherheit. Hoffentlich ist das bald vorbei.