Wissenschaftler müssen sich ein Bild von der Welt machen. Mit Teleskopen blicken sie in die Ferne des Weltalls, mit Mikroskopen beobachten sie die allerkleinsten Vorgänge des Lebens. Wobei die Grenzen unseres Wissens immer auch durch die technologischen Rahmenbedingungen der (Meß-)Instrumente vorgegeben sind.
Der Göttinger Physiker Stefan Hell hat in den letzten Jahren neue – bislang ungeahnte – Meß- und Beobachtungsmöglichkeiten eröffnet. Und mit der erfolgreichen Entwicklung des Fluoreszenz- bzw. STED-Mikroskops* hat Hell sogar ehernes Lehrbuchwissen obsolet gemacht.
Seit 1873 war definiert, daß Lichtmikroskope eine natürliche Auflösungsgrenze haben. Unter 200 Nanometern geht nichts mehr…
In den meisten Standardlehrbüchern der Physik oder Biologie kann man bis heute nachlesen, daß der Lichtmikroskopie eine natürliche Grenze gesetzt ist: alles was feiner als 200 Nanometer ist, kann nicht mehr aufgelöst bzw. differenziert werden. Der Physiker Ernst Abbe hatte 1873 erkannt, daß zwei Strukturen nur bis zu einem bestimmten Abstand als zwei getrennte Einheiten wahrgenommen werden können. Diese so genannte Abbesche Auflösungsgrenze liegt (Licht breitet sich als Welle aus) bei einer halben Wellenlänge des sichtbaren Lichts. Und das sind eben die besagten 200 Nanometer. Alle Details und Strukturen die kleiner sind, können mit einem Mikroskop nicht beobachtet werden.
Grenzverschiebungen
Für die moderne Biologie ist diese (natürliche) Sichtgrenze ein Problem. Denn 200 Nanometer klingen nach wenig (es ist etwa ein 250stel eines Frauenhaars), aber um ins Innere von Zellen zu blicken, reicht das nicht aus. Proteine sind kaum ein Zehntel so groß.
Insofern war die Entwicklung von Elektronenmikroskopen der einzige Ausweg. Die optischen Grenzen der Auflösung spielen hier keine Rolle. Das Problem ist allerdings, daß man nur aufwendig herzustellende Präparate (Schnitte) mit Elektronenmikrosopen “unter die Lupe” nehmen kann, außerdem braucht man ein Vakuum.
Ein Lichtmikroskop wäre also doch was Feines, so dachte sich in den 90er Jahren der Göttinger Physiker Stefan Hell. Und dafür, daß er sich von der vermeintlich unüberwindbaren Abbeschen Grenze nicht abschrecken ließ, wird er heute mit Preisen überhäuft.
Freie Sicht auf lebende Zellen
Hell entwickelte nämlich die STED-Mikroskopie, die Fluoreszenzsignale von Zellbestandteilen aufzeichnet. Das allerdings ganz klassisch mit Linsen, Spiegeln und Objektiven. Der Trick liegt schlicht darin, daß die Probe (also etwa eine Zelle) zweifach mit einem scharf fokussierten Lichtstrahl beleuchtet wird. Einmal werden die eingebrachten Fluoreszenzmoleküle angeregt und dann in einem zweiten Schritt wird die Zelle schrittweise mit einem anderen Lichtstrahl “gescannt”. (Details zur Technik in diesem Wiki-Artikel oder im Interview mit Stefan Hell.)
Stefan Hell ist es gelungen, die physikalische Auflösungsgrenze für Lichtmikroskope deutlich zu unterbieten. Nun können auch lebende Zellen und ihr Innenleben “beobachtet” werden.
Auf diese Weise ist es gelungen die physikalische Auflösungsgrenze für Lichtmikroskope deutlich zu unterbieten. Bis zu 20 Nanometer große bzw. kleine Proteinkomplexe können so beobachtet werden. Die Leistung von Hell liegt also darin, daß beugungs-unbegrenzten Lichtmikroskope zur Verfügung stehen, mit denen auch lebende Zellen (und deren Innenleben) beobachtet werden können. Dafür wurde er inzwischen mit allerhand Preisen dekoriert. 2006 gab es den Zukunftspreis des Bundespräsidenten, ganz aktuell wurde ihm der Otto-Hahn-Preis der Dt. Physikalischen-Gesellschaft verliehen.
Wo soll das noch hinführen (naja, vermutlich weiter in die Beobachtung im nanoskaligen Bereich), der Kerl ist doch gerade 46 Jahre alt!
Am Beispiel von Hell wird jedenfalls sehr schön deutlich, daß Wissenschaft auf Beobachtungsapparaturen angewiesen ist, die aber jeweils Grenzen aufweisen. Oder anders formuliert: für alles, was unterhalb von 200 Nanometern lag, war man bislang (von der Elektronenrastermikroskopie abgesehen) blind. Der Horizont der Wissenschaft ist insofern jeweils begrenzt.
Nun wurde durch die Fluoreszenzmikroskopie freilich ein neues Fenster geöffnet. Und die Wissenschaftler blicken neugierig hindurch. Wobei sie eben soweit blicken, wie sie sehen können. Jedenfalls solange bis ein neuer Hell kommt und weitere Fenster und damit Horizonte öffnet. Und in diesem Sinne ist – wenn man die zeitliche Entwicklung betrachtet – Wissenschaft grenzenlos.
- Alexander Knoll: Grenzen des Sichtbaren und wie man sie überwindet, Holliday Junction
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* Wie Alexander im Kommentar richtig anmerkt, ist das grundsätzliche Verfahren der Fluoreszenzmikroskopie nicht von Stefan Hell entwickelt worden. Sein Verdienst betrifft die maßgebliche Optimierung hin zum Fluoreszenz-Laser-Raster-Mikroskop bzw. eben seine Variante des STED-Mikroskops.
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