Man nehme zwei Verlierer und bastele sich daraus ein schlagkräftiges Team. Das hört sich verdächtig nach aktueller Politik an, es geht aber um Medizin. Noch genauer um den Kampf gegen AIDS. Letzte Woche schaffte es eine Studie in die Schlagzeilen, die teilweise als großer Durchbruch bejubelt wurde. Sind die Ergebnisse wirklich so überzeugend? Ist die Euphorie legitim?

Es ist die bislang größte Studie zur Wirksamkeit einer Impfung gegen den HI-Virus. Mehr als 16.000 Teilnehmer erhielten im Rahmen der Alvac-AidsVax-Studie (oder auch: RV144-Studie) in mehreren Intervallen eine Impfung mit zwei alten Bekannten aus der AIDS-Forschung. Die eine Hälfte der Studienteilnehmer erhielt eine Kombi-Impfung mit den Vakzinen “Alvac-HIV” und “Aidsvax”. Die Kontrollgruppe erhielt ein Placebo.

Nun liegen die ersten Ergebnisse vor. Nach Ablauf von drei Jahren haben sich aus der Placebo-Gruppe 74 Teilnehmer mit HIV infiziert; aus der geimpften Gruppe waren es nur 51. In den Pressemeldungen reicht das, um von einem Meilenstein und Durchbruch zu sprechen. Bisweilen ist von einem 30%-Schutz die Rede. Obwohl ich einsehe, daß die Studie durchaus aufhorchen lässt, bin ich dennoch unsicher, ob die positive mediale Resonanz in diesem Fall wirklich positiv zu bewerten ist.

Licht am Ende des Tunnels

Denn – und das ist weniger eine Kritik an der Studie, sondern eher ein Eingeständnis der mangelnden Möglichkeiten der Darstellung komplexer Sachverhalte in den Medien – die Schlagzeilen anläßlich der Studie fallen eben so aus –

Die Welt feiert den Durchbruch:

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In der FAZ liest man vom Meilenstein :

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Und die Leser des Westen werden über eine Sensation informiert:

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Nun ist es ehrlicherweise so, daß in den Artikeln die vorläufigen Ergebnisse der Studie (fast) immer korrekt dargestellt werden. Die Anzahl der Studienteilnehmer wird ebenso aufgeführt, wie die Zahl der nach drei Jahren Infizierten. Und daß der Unterschied zwischen beiden Gruppen statistisch signifikant ist, mag ich gerne glauben.

Und ebenso gerne glaube ich, daß es für die Forscher, die beteiligten Institutionen und Organisationen nach den unzähligen Fehlschlägen und Sackgassen der letzten Jahrzehnte tatsächlich ein Jubeltag ist. Und vielleicht markiert die Studie ja wirklich eine Trendwende.

Was bleibt hängen?

Nur – bei den allermeisten (flüchtigen) Lesern der Texte bleibt nach wenigen Tagen sicherlich genau eine Information hängen: es gibt (bald) einen Impfstoff gegen AIDS. Und das ist eben definitiv nicht der Fall. Die Studie ist ein Anhaltspunkt dafür, daß man dem tückisch-wandelbaren AIDS-Virus möglicherweise mittelfristig doch per Impfstoff begegnen kann. Doch wann das der Fall sein wird, das steht absolut in den Sternen.

Zur Erklärung: In den beiden Studienarmen waren jeweils knapp über 8.000 Probanden beteiligt. Am vorläufigen Ende hatten sich eben 0.902% derjenigen mit AIDS angesteckt, die nur ein Placebo verabreicht bekamen. Bei der Impfstoff-Gruppe war nach drei Jahren bei 0.622% der Erreger nachweisbar (51 Fälle).

Die Studie und ihre kurzschlüssig-euphorische Interpretation sorgt für Unbehagen

Nun ist es aber schlicht so, daß es unter den rund 8.000 Gruppenmitgliedern nur zufällig zwei Dutzend Personen hätte geben müssen, die ein wirklich riskantes Sexualverhalten an den Tag legen. Dann wäre es gut möglich gewesen, daß man für die Impfstoff-Gruppe schließlich nicht 51, sondern 57 HIV-Fälle hätte zählen müssen. Und der vermeintliche statistische Vorteil wäre zusammengeschmolzen.

Gut, aber das ist Statistik und eher ein diffuses Unbehagen meinerseits. Es gibt aber noch zwei weitere Faktoren, die mich etwas nachdenklich machen und weshalb ich es für verfrüht halte, die Sektkorken knallen zu lassen.

1. Die Studie wurde nicht zufällig in Thailand durchgeführt. In Thailand gibt es eben eine spezielle, ziemlich gut untersuchte Variante des HI-Virus. Ob die Impfung auch in Afrika ähnlich erfolgreich verlaufen wäre, ist kaum abzuschätzen.

2. Prinzipiell würde eine vielversprechende Impfung erwarten lassen, daß man bei den Teilnehmern, die sich dennoch infiziert haben einen Unterschied zu nicht-geimpften Probanden feststellen müßte. Die Antikörper sollten eigentlich die Virusvermehrung hemmen. Anscheinend war aber genau das nicht der Fall.

Kein Wunder also, daß man – was man ja auch eingesteht – ziemlich im Dunkeln tappt, weshalb der Kombi-Angriff mit den beiden ja bereits erprobten (aber als untauglich verworfenen) Impfstoffen nun doch Erfolge zeitigt.

Für Jubelmeldungen ist es in meinen Augen jedenfalls zu früh – auch und vor allem, weil es hier in Westeuropa durchaus die falsche Botschaft vermitteln könnte. Nämlich daß der Kampf gegen AIDS nun fast gewonnen sei. Das ist aber eben überhaupt nicht der Fall.

Kommentare (8)

  1. #1 Fischer
    September 28, 2009

    Ich kann dem nur zustimmen. Persönlich würde ich sogar noch weiter gehen und behaupten, dass die Studie für sich betrachtet überhaupt keine Aussage erlaubt. Dazu sind die Fallzahlen einfach zu gering.

  2. #2 Dr. Glukose
    September 28, 2009

    Es ist ist zwar schön und gut, dass die Tageszeitungen und Internetportale sich für die Wissenschaft interessieren, und so eine Studie an die Öffentlichkeit bringen, doch wird dadurch auch die Aussage impliziert, dass zukünftig AIDS und HIV in den Griff bekommen werden kann, was eben nicht der Fall ist. Dazu mutiert das Virus viel zu sehr, sprich in anderen Ländern kommen anderen Varianten des Virus vor, wodurch meistens ein spezifischer Medikamenten-Mix verabreicht wird, der auf mehreren Ebenen wirkt…dem speziellen Virus eben angepasst. Von einem Heilmittel oder gar Durchbruch zu reden ist daher übertrieben und man sollte der Menschheit keine Illusionen machen!

  3. #3 Marc Scheloske
    September 28, 2009

    @Fischer:

    Ja, bei mir ist es so ein Bauchgefühl, das meine Unzufriedenheit hervorruft. Die Sache steht einfach auf sehr wackligen Beinen. In den nächsten Wochen soll die Studie ja noch eingehender vorgestellt werden. Und dann darf und muß man eben gespannt sein, was die nächsten 2-3 Jahre bringen.

    @Dr. Glukose:

    Ja, irgendwie ist das wohl das, was ich in längerer und ausschweifenderer Form auch zum Ausdruck bringen wollte. 😉

  4. #4 Fabio Valeri
    September 29, 2009

    Guter Artikel. Stimme allen Bedenken zu, sowohl statistischen als auch gesellschaftlichen. Hier noch eine kleine Adhoc-Statistik. Insgesamt sind es 123 HIV-Infizierte, wenn der Impfstoff eine 100%-ige Wirkung hätte (p=1.00), müssten alle Infizierten aus dem Kontrollarm stammen. Wenn die Impfung keine Wirkung besitzt, wären 62 im Impfarm und 62 (aufgerundet) im Kontrollarm zu erwarten sein (p=0.5). Wie ist nun, die Wahrscheinlichkeit, bei p=0.5 (keine Wirkung), dass höchstens 51 Fälle auf den Impfarm Fallen? P(Y<=51) = 0.035 (aus Bin(123,0.5)). Einseitig getestet wäre dies signifikant (auf dem 5%-Niveau), zweiseitig nicht mehr.

  5. #5 Fabio Valeri
    September 29, 2009

    Oppla, da wurde nicht alles übernommen (wegen kleiner gleich Symbol). Hier die Fortsetzung:
    Wie ist nun, die Wahrscheinlichkeit, bei p=0.5 (keine Wirkung), dass höchstens 51 Fälle auf den Impfarm fallen? P(Y kleiner gleich 51) = 0.035 (aus Bin(123,0.5)). Einseitig getestet wäre dies signifikant (auf dem 5%-Niveau), zweiseitig nicht mehr.

  6. #6 wolfgang
    September 29, 2009

    Was verwundert, was soll das eigentlich für ein Verum gewesen sein? Da wird in den Medien nichts berichtet?

  7. #7 Gluecypher
    Oktober 1, 2009

    Und vor allem: wurde das Verhalten der Gruppenmitgleider abgeglichen? Gleiches Risikoverhalten (mit oder ohne KOndome, zusätzliche Riskofaktoren wie z.b. gleichzeitige Infektion mit anderen Geschlechtskrankheiten wie Syphilis) gleiche Anzahl an Sexualpartner in beiden Gruppen etc. pp.?

  8. #8 albert wilfert
    Oktober 11, 2009

    @ gluecypher

    Aber geh, wer wird denn so beckmesserisch sein. Die armen Würsteln wollten halt was veröffentlichen. Vergönn es ihnen doch. Landet nach ein paar Jahren so wie so im Müll.