Wie riskant ist Nanotechnik tatsächlich? Wurde das Risikopotential der winzig kleinen Teilchen in Lebensmitteln, Kleidung und dutzenden weiteren Produkten unterschätzt? Es ist durchaus möglich, daß der heutige Tag eine Trendwende in der Karriere der Nanotechnologie markiert. Denn heute sorgt eine aktuelle Überblicksstudie des Umweltbundesamts für Schlagzeilen. Dessen Experten weisen auf ungeklärte Risiken der Nanotechnologie hin und empfehlen schließlich sogar Nanoprodukte zu vermeiden.
Wer sich mit dem Risikopotential von Nanomaterialien beschäftigt, der kann über die Einschätzung der UBA-Experten kaum überrascht sein. Schließlich werden in Fachkreisen seit vielen Jahren mögliche gesundheitliche und ökologische Gefahrenpotentiale im Zusammenhang mit dem industriellen Einsatz von nanoskaligen Teilchen diskutiert. Überraschend ist vielmehr, daß die Nanotechnologie bis heute ein ausgesprochen positives Image genießt. Doch das könnte sich nun – nach solchen Berichten wie in der SZ – allmählich ändern.
Schließlich ist die aktuelle Studie in ihrer Schlußfolgerung durchaus klar formuliert; im Bericht (“Nanotechnik für Mensch und Umwelt“) heißt es:
“Das Umweltbundesamt empfiehlt weiterhin, die Verwendung von Produkten, die Nanomaterialien enthalten oder frei setzen können, im Sinne eines vorsorgenden Umweltschutzes so lange zu vermeiden, als ihre Wirkungen in der Umwelt und auf die menschliche Gesundheit noch weitgehend unbekannt sind.”
Das Nicht-Wissen der Experten
Diese Empfehlung ist allerdings – darüber sollte man sich im Klaren sein – keineswegs mit einer abschließenden Beurteilung des nanotechnologischen Gefahrenpotentials zu verwechseln. Das Expertenstatement ist kaum anderes als das Eingeständnis von Unwissenheit, es ist die Formulierung des Unbehagens über die eigene Ahnungslosigkeit.
Denn auch der aktuelle Stand der Forschung erlaubt keine zuverlässige Aussage, über die (möglicherweise) negativen Effekte der Nanotechnologie. Auf der einen Seite gibt es inzwischen viele hundert Produkte und Anwendungen, bei denen Nanopartikel zum Einsatz kommen. Vom Ketchup, das durch Nanopartikel bessere Fließeigenschaften bekommt, über antibakterielle Beschichtungen von Küchenutensilien bis zu den bekannten Socken, die durch Nano-Silber antibakteriell und damit gegen Schweißgeruch wirken sollen.
Auf der anderen Seite gibt es viele Studien, die zeigen, daß Nanopartikel prinzipiell schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben können. Da gibt es Arbeiten der Toxikologin Bellina Veronesi, die mehrmals nachgewiesen hat, daß Titandioxidpartikel (zumindest im Reaganzglas) Mäuse- oder Rattenhirnzellen schädigen können.1 Oder etwa die Arbeiten Ken Donaldsons, der zeigen konnte, daß sogenannte Nano-Tubes (winzig kleine, aus einzelnen Kohlenstoffatomen zusammengesetzte Röhrchen) ähnlich wie Asbest wirken und Krebs auslösen können.2
Wir setzen Nanotechnik zigtausendfach ein, ohne wirklich abschätzen zu können, welche Auswirkung sie hat.
Zusammenfassend läßt sich nur feststellen: wir setzen Nanotechnik zigtausendfach ein, ohne wirklich abschätzen zu können, welche Auswirkung sie hat. Und dieses Dilemma wird nicht geringer, solange die Hersteller (was das UBA auch bemängelt) ihre internen Studiendaten und Risikoanalysen nicht herausrücken. Im Grunde ist das sowieso ein unhaltbarer Zustand.
Es wird allerhöchste Zeit, daß die Anstrengungen zur wissenschaftlichen Risikobewertung der Nanotechnologie intensiviert werden. Das kostet natürlich Geld. Aber die enormen Chancen, die einige nanotechnologische Anwendungsfelder versprechen, sollten eine solche Investition längst rechtfertigen.
Der Nanotechnologie droht das Schicksal der Gentechnik
Sollte es in den nächsten Jahren nicht gelingen, eine saubere und vertrauenswürdige Risikoabschätzung für die Nanotechnik vorzulegen (in deren Verlauf sicherlich manche Anwendungsbereiche als zu riskant verworfen, andere als unbedenklich eingestuft werden können), dann könnten Meldungen wie heute den Anfang vom Ende einer vielseitigen Technologie bedeuten. Die Gentechnologie – die in der Öffentlichkeit meist pauschal als Risikotechnik wahrgenommen wird – sollte Warnung genug sein…
- UBA-Hintergrundpapier „Nanotechnik für Mensch und Umwelt – Chancen fördern und Risiken mindern” (PDF)
- Paschen, Herbet & Coenen, Christopher (2008): Nanotechnologie in Forschung, Entwicklung, Anwendung. Stand und Perspektiven. Springer, Berlin.
* Die Nanotechnologie befasst sich mit Strukturen und molekularen Materialien, die kleiner als 100nm sind. 1 Nanometer ist 1 Millionstel Millimeter, oder: 0,000 001 mm.
1 vgl. Thomas C. Long, Bellina Veronesi et. al.: Nanosize Titanium Dioxide Stimulates Reactive Oxygen Species in Brain Microglia and Damages Neurons in Vitro, Environmental Health Perspectives Volume 115, Number 11, November 2007
2 vgl. Sanderson: Carbon nanotubes: the new asbestos?, nature, 2008, doi:10.1038/news.2008.845
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