Ginkgo-Präparate sind ein Klassiker der Naturheilkunde. Bereits seit den 60er Jahren sorgen Extrakte aus den Blättern und Samen des Ginkgobaums für fette Umsätze. Für ein besseres Gedächtnis sollen die Präparate sorgen, die Konzentrationsfähigkeit erhöhen und allgemein der Demenz vorbeugen. Doch eine neue Studie zeigt: gegen den geistigen Abbau im Alter ist – jedenfalls mit Gingko – kein Kraut gewachsen.
Zugegeben: der durchschnittliche ScienceBlogs-Leser gehört vermutlich nicht zur Zielgruppe für die verschiedenen Ginkgo-Produkte, dennoch ist die Geschichte interessant. Und “Geschichte” – soviel ist wenigstens sicher – hat Ginkgo biloba.
Die Heilkräfte dieses besonderen Baumes werden schon seit Jahrtausenden geschätzt. Das kennt man ja. Jedenfalls spielte Ginkgo biloba (vor allem seine Blätter und deren Wirkstoffe) bereits in der traditonellen chinesischen Medizin eine große Rolle. Und im Mittelalter wurden Ginkgoblätter zur Behandlung von Atemwegs- und Hauterkrankungen, Magenbeschwerden, Erschöpfungszuständen und anderen Leiden eingesetzt.
Gibt es überhaupt vernünftige Studien, die den Nutzen von Ginkgo-Präparaten belegen?
Das alles spricht durchaus nicht gegen Ginkgo. Interessant wird es dann allerdings in der Mitte des 20. Jahrhunderts, als man das pflanzliche Mittel im Hinblick auf seine positive Wirkung auf die Gedächtnisleistung entdeckt.
Tebonin: Topseller der Naturheilpräparate
1965 bringt die Dr. Willmar Schwabe-Arzneimittel GmbH das erste Ginkgo-Präparat unter dem Markennamen Tebonin auf den Markt. Und landet damit einen Verkaufsschlager. Tebonin enthält das von Schwabe entwickelte sog. “Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761” und wird seit über 40 Jahren mit dem Versprechen beworben, daß es dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen soll. Bessere Konzentration, bessere Merkfähigkeit. Aktuell verspricht die Tebonin-Kampagne: “Mehr Energie für das Gehirn”. Und auf der Website ist zu lesen:
Mit Tebonin® fühlen Sie sich ausgeglichener, belastbarer und konzentrierter. Die Inhaltsstoffe aus dem Ginkgo helfen, die Symptome bei nachlassender mentaler Leistungsfähigkeit – wie Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen – zu lindern und Sie geistig fit zu halten.
Sehr, sehr verlockend. Im weiteren Text auf der Website und in den Broschüren kann man lesen, daß das (patentierte!) Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 direkt “auf die „Kraftwerke” der Zellen – die Mitochondrien” einwirke. Und Tebonin könne “Störungen in den Mitochondrien aufhalten und geschädigte Mitochondrien regenerieren.”
Bereits in den 70er und 80er Jahren war Tebonin eines der meistverkauften Präparate auf dem Naturheilsektor. Vor zehn Jahren erzielte der Hersteller Schwabe rund 200 Mio. DM Umsatz allein mit Tebonin. Und auch in den USA gehen Ginkgo-Präparate millionenfach über den Verkaufstisch. Schwabe ist international Platzhirsch. Doch aus den USA wurden zuletzt mehrfach Studienergebnisse publik, die hier in Karlsruhe (dem Schwabe-Firmensitz) für wenig Begeisterung gesorgt haben dürften.
Neue Studien: Ginkgo-Präparate haben keine Wirkung
Nach einer großen, placebo-kontrollierten Studie mit mehr als 3000 Teilnehmern (im Alter von 72-96 Jahren), von denen jeweils die Hälfte über den Zeitraum von sechs Jahren die empfohlene 240mg-Tagesdosis des Ginkgo-Extraktes einnahm, die andere Hälfte nur ein Placebo schluckte, kommen die Autoren zum Schluß: Ginkgo hat keinen positiven Einfluß auf den geistigen Alterungsprozeß. Oder wie es in der Studie selbst heißt:
“We found no evidence for an effect of G biloba on global cognitive change and no evidence of effect on specific cognitive domains of memory, visual-spatial construction, language, attention and psychomotor speed, and executive functions.”
Sehr, sehr eindeutig. Also nix mit besserer Merkfähigkeit, Konzentration oder Sprachfähigkeit. Damit befindet sich diese Studie auf derselben Linie wie frühere Analysen. Dieselbe Gruppe (Steven DeKosky von der Universität Pittsburgh und Kollegen) hatte bereits 2008 allen Hoffnungen, daß Ginkgo gegen Alzheimer und andere Demenzkrankheiten wirken könne, eine Absage erteilt. (2)
Aktuelle Studien zeigen: Ginkgo-Präparate verlangsamen den (mentalen) Abbauprozeß nicht
Dieser Befund deckte sich mit der Metastudie der Cochrane-Collaboration von 2007, bei der 35 klinische Studien ausgewertet wurden und man ebenfalls keine bzw. nur höchst unzureichende Effekte fand. (3) Das einzig positive ist, daß man in der Studie auch keine Indizien für ein höheres Blutungsrisiko fand. Zumindest Schaden tun die Gingko-Pillen also nicht.
Bei Schwabe, dem Hersteller von Tebonin, ist man verständlicherweise not amused. Und man kontert mit einer Stellungnahme zu der US-Studie, in der man an methodischen und inhaltlichen Mängeln rumkrittelt. Angeblich hätte die Studie noch 10 Jahre länger laufen müssen, um Effekte zu zeigen. So wird Dr. Günter Meng, Leiter Forschung & Entwicklung bei Schwabe zitiert. Wie das mit den (Werbe-)Versprechen zusammenpasst, die etwa auf der Website allen potentiellen Kunden suggerieren, innerhalb von wenigen Wochen sei mit spürbaren Verbesserungen der Merk- und Konzentrationsfähigkeit zu rechnen, will sich mir nicht erschließen.
Aber ich verstehe auch nicht, daß man mit einem Präparat, dessen Nutzen höchst fragwürdig ist, über viele Jahrzehnte viele, viele Millionen verdienen kann. Schließlich wurde schon vor 25 Jahren über den fehlenden Wirknachweis gesprochen. Im “Journal” der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg war 1987 zu lesen: “Für die Blätter-Extrakte [ist kein] therapeutischer Nutzen bekannt.”
Das hat sich bis heute nicht geändert. Wer mit Tebonin gegen Demenz vorbeugen will, der wird jährlich rund 550,- Euro dafür ausgeben müssen. Das Geld wäre in einem Paar Lauf-/Sportschuhe und einem großen Glas Gemüse- oder Obstsaft besser investiert.
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- (1) DeKosky S T, Ginkgo biloba for Preventing Cognitive Decline in Older Adults, JAMA. 2009;302(24):2663-2670.
- (2) DeKosky S T, Ginkgo biloba for Prevention of Dementia, JAMA 2008;300(19):2253-2262
- (3) Birks J, Grimley Evans J, Ginkgo biloba for cognitive impairment and dementia. Cochrane Database of Systematic Reviews 2007, Issue 2. Art. No.: CD003120. DOI: 10.1002/14651858.CD003120.pub2.
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