Peter Sawicki ist ein unbequemer Kerl. Das muß er freilich auch sein, sonst hätte er seine Aufgabe als Chef des „Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen” (IQWiG) auch verfehlt. Und an Selbstbewußtsein mangelt es Sawicki auch nicht. Was ebenfalls nicht schlecht sein muß. Und doch – oder gerade deswegen? – ist Sawicki nun vorläufig gescheitert. Sein Vertrag beim IQWiG wird nicht verlängert. Ein Armutszeugnis. Bei den Pharmaunternehmen dürften heute nachmittag die Korken knallen.
In den letzten Tagen war es bereits abzusehen: der Vertrag von Peter Sawicki, der seit 2004 Chef des Kölner Instituts war, wird am 31. August 2010 enden. Das hat heute der fünfköpfige Vorstand des IQWiG einstimmig entschieden. Sawicki, gern als Deutschlands oberster Pharmaprüfer tituliert, ist damit seinen Posten los.
Die Pharmaunternehmen frohlocken; ihnen war Sawicki, der sich an den Standards der “evidenzbasierten Medizin” orientierte, seit Jahren ein Dorn im Auge. Denn wirtschaftliche Erwägungen, das Interesse der Hersteller, war Sawicki vollkommen gleichgültig. Ihm ging es um eine nüchterne Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln und Behandlungsmethoden. Welche Therapien sind wirklich sinnvoll? Sind neue Medikamente wirklich besser, als bewährte (und meist günstigere) Vorgängerpräparate? Das waren die Fragen, mit denen sich Sawicki und seine rund 100 Mitarbeiter beschäftigten.
Empfehlungen des IQWiG: Ärgernis für Pharmabranche, Segen für das Gesundheitssystem?
“Wissenschaftlich unabhängig”, so steht es im Auftrag des Instituts, sollen die Bewertungen vorgenommen werden. Und die Berichte des IQWiG gefielen den Pharmaunternehmen häufig nicht, denn von den IQWiG-Urteilen hängt es ganz maßgeblich ab, ob bestimmte Medikamente oder Leistungen von den Kassen gezahlt werden. Es ist ein Geschäft, in dem es um hunderte Millionen geht. Und Sawicki betätigte sich hier gelegentlich als Spielverderber.
In einem Geschäft, in dem es um Milliarden geht, war Sawicki der große Spielverderber.
Kein Wunder also, daß man in einschlägigen Lobbykreisen seit längerem auf eine Ablösung Sawickis hinarbeitete. Und das nicht ohne Erfolg. Letztes Jahr formulierten die Wirtschaftsminister der Länder – darunter der heutige Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) – ein Papier, in dem sie eine Neuausrichtung des IQWiG unter Berücksichtigung, der “Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere der heimischen pharmazeutischen Unternehmen” forderten. Sind noch Fragen offen, welche und wessen Motive hier dahinterstecken?
Schnapsidee: IQWiG soll künftig “Interessen” der Pharmafirmen berücksichtigen
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP ist dann zu lesen, daß die Arbeit des IQWiG „auch unter dem Gesichtspunkt stringenter, transparenter Verfahren (zu) überprüfen und damit die Akzeptanz von Entscheidungen für Patienten, Leistungserbringer und Hersteller (zu) verbessern [ist]”. Na Bravo! Die Institution, die einen kritischen Blick auf die Produkte der Pharmaindustrie werfen soll, der soll gleichzeitig von derem Wohlgefallen bzw. deren Akzeptanz abhängig gemacht werden?
Blöd: Sawicki lieferte mit Spesenschlamperei seinen Kritikern Munition. Erbärmlich: Wie die Politik ein unabhängiges Institut beschädigt.
Ärgerlich an der Sache ist freilich, daß Sawicki es seinen Feinden nun auch relativ leicht gemacht hat. Es gab kleinere Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit Spesenabrechnungen. Schlampereien von Sawicki, wie es aussieht. Und eine Regelung darüber, welchen Dienstwagen der Chef beanspruchen darf, war in seinem Arbeitsvertrag auch nicht zweifelsfrei geregelt.
Daß in der Sache das Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO im wesentlichen zum Schluß kam, daß sich Sawicki höchstens blöd verhalten habe, kaum aber sich persönlich bereicherte, ändert nichts daran: Sawicki lieferte seinen Kritikern eine Steilvorlage. Sawicki stand auf der Abschußliste, daran änderte auch ein Solidaritätsschreiben von 600 Ärzten nichts mehr.
Insofern ist die Geschichte ein doppeltes Armutszeugnis: für Sawicki, der so naiv und doof war, sich angreifbar zu machen. Erst recht aber für eine Gesundheitspolitik, die einen kritischen und für das System absolut wertvollen Experten wie Sawicki beschädigt und von seinem Posten entfernt.
Für das Gesundheitssystem insgesamt könnte diese Personalie sehr teuer werden. Ein schlechter Tag für alle, die Krankenkassenbeiträge zahlen.
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Zu den Hintergründen empfehle ich folgende Artikel:
- Immer Ärger mit dem Pillen-Prüfer, FAZ, 13.12.2009
- Woratschka, Rainer: Streit um Chef des Medikamenten-”Tüvs”, Tagesspiegel, 20.1.2010
- W. Bartens und G. Bohsem: Pharmakritiker muss Posten räumen , SZ, 20.1.2010
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