Es ist ein ungleicher Kampf: auf der einen Seite steht das Internet, das universelle, global-vernetzte digitale Gedächtnis mit seinem unüberschaubaren Informations- und Wissensangebot. Auf der anderen Seite befindet sich der Mensch: begrenzt in jeglicher Hinsicht, je individuell mit Talenten ausgestattet und doch je limitiert in seinen Möglichkeiten. Und seine Verarbeitungskapazität für zeitgleich auf ihn einstürzende Informationen? Ach, reden wir nicht darüber…

i-ee6d8d3e3bf4e6f07dd6bedf4c380793-IMG_6803_Schirrmacher.jpgDiese Grundkonstellation ist der Ausgangspunkt für Frank Schirrmacher, der in seinem Buch “Payback” die Schattenseiten des digitalen Informationsüberangebots beklagt. Vor ziemlich genau zwei Monaten war das Buch Schirrmachers erschienen, in dem er ein bisweilen recht düsteres Szenario entwirft: die Aufmerksamkeitsspanne der Mediennutzer schmilzt vermeintlich immer weiter dahin und der einstmals autonom denkende Mensch begibt sich mehr und mehr in Abhängigkeit von maschinellen Algorithmen.

Schirrmachers Befürchtungen und Thesen wurden zuletzt in Blogs und den Feuilletons recht anregend diskutiert. Vielversprechende Ausgangsbedingungen also für das Panel zum selben Thema auf der DLD-Konferenz – wobei die Diskussion letztlich doch deutlich hinter dem schon erreichten Reflexionsniveau zurückblieb.

Über die Fratze der digitalen Kultur

Schirrmacher skizziert in Payback ja gewissermaßen die Fratze der digitalen Kultur: Informationsüberflutung, Beschleunigung und Souveränitätsverlust sind die wesentlichen Symptome, die er an sich und vielen anderen Mediennutzern diagnostiziert. Daß das Internet einen tiefgreifenden kulturellen Wandel markiert und den Alltag von Millionen Menschen verändert hat, ist sicher kaum strittig.

Gibt es die von Schirrmacher diagnostizierten Deformationen der Digital Natives wirklich?

Die große Frage ist nur, wie man diesen Medien- und Kulturwandel bewerten will und ob es die angedeuteten Deformationen der digital natives tatsächlich gibt. Für Schirrmacher jedenfalls scheint es klar: es ist zu viel, zu schnell und irgendwie auch zu maschinell-algorithmisch. Da schwingt natürlich eine große Portion Wehmut mit. Denn die Zeiten, in denen man sicher sein konnte, daß alle relevanten Diskurse in der alltäglichen Tageszeitungen abgebildet wurden – wohlsortiert und kommentiert durch die jeweilige Redaktion – , diese Zeiten sind vorbei.

Da mag man Schirrmacher auch gar nicht widersprechen, nur: ist diese Entwicklung wirklich negativ? Für Schirrmacher sehr wohl. “Wir sind abhängig von der Auswahl der Maschinen!”, so lamentierte er heute in München. Wie gesagt: es klang resignativ und wehmütig. Es klang nach der Wehmut desjenigen, der schmerzlich spürt, daß das Agendasetting schwerer geworden ist und die Gatekeeperfunktion der klassischen Medien ebenfalls immer seltener funktioniert.

Das Aussehen der Webanwendungen wird immer langweiliger, ihr (sozialer) Gebrauch immer spannender.

Andrian Kreye, Feuilleton-Chef der Süddeutschen Zeitung, war hier glücklicherweise weit wenig resignativ. Nach Schirrmachers Gejammer war es da schon fast erfrischend, als Kreye feststellte, daß die Oberfläche der Webanwendungen (Twitter etc.) immer langweiliger werde, genau diese Tools in ihrem sozialen Gebrauch aber immer spannender. Immerhin hier konnte man zustimmen.

Auf der Suche nach einer neuen Suche

Und Kreye ging weiter: der Status quo der Internet-Suchmaschinen ist für ihn keinesfalls zufriedenstellend. Er stellte fest, daß die (personalisierten) Suchroutinen zwar immer mehr über ihn, seine Vorlieben und Gewohnheiten wüßten, doch das sei doch keineswegs ausreichend. “Aber ich will mehr. Ich will Informationen, die weit darüber hinausgehen über das, was ich doch schon weiß.”

Das wäre ein spannender Punkt gewesen, um zu diskutieren, ob Schirrmachers aktuelle Diagnose eventuell nur einer unzureichenden Qualität der vorhandenen Instrumente geschuldet ist, deren Weiterentwicklung dann auch die Ängste vor Informationsüberflutung und Destruktivität verschwinden ließen. Aber dazu kam es nicht. Irgendwie fehlte der Esprit bei den Panelteilnehmern. Jeder brachte seine Positionen vor, ein wirklicher Austausch fand kaum statt.

“Wo sind die Innovationen in Mathematik, Wissenschaft und Medizin, die erst das Internet ermöglicht hat?”

David Gelernter, Kult-Programmierer und Computerwissenschaftler aus Yale, stellte ganz grundsätzlich in Frage, ob das Web 2.0 die Hoffnungen erfüllt, die einst – Stichworte: Weisheit der Massen & Schwarmintelligenz – in es gesetzt wurden. Er konstatierte zwar, daß wir heute mehr voneinander wüßten, aber: “Aber wo sind die Innovationen in Mathematik, Wissenschaft und Medizin, die erst das Internet ermöglicht hat?” Auch an diesem Punkt wechselte man flugs zu einem anderen Thema, anstatt Gelernters provokante These zu diskutieren. Schade.

Jemanden fragen, der sich damit auskennt?

So blieb es zum Schluß einem Zuhörer vorbehalten, die etwas müden Herrschaften und ihre ebensolchen Thesen kritisch zu hinterfragen. Bezugnehmend auf das kurz zvor gehörte Lamento darüber, daß man ja schlicht keine Zeit habe, um der Informationsflut Herr zu werden, fragte er: “Kann es nicht sein, daß es letztlich nur eine Frage des Zeitmanagements ist? Aber: Wenn ihr die richtigen Tools dafür nicht kennt, dann geht raus und fragt jemanden, der sich damit auskennt.”

Frank Schirrmacher schaute nur müde ins Publikum. Ob ihm dämmerte, daß er in digitalen Zeiten künftig öfter auf fremde Hilfestellungen angewiesen sein wird?

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Link:

Frank Schirrmacher: Payback: Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen. Blessing, 2009.

Kommentare (5)

  1. #1 Popeye
    Januar 25, 2010

    “Aber wo sind die Innovationen in Mathematik, Wissenschaft und Medizin, die erst das Internet ermöglicht hat?”

    Ich weiß nicht, ob man was findet, dessen Usprung ausschließlich dem Internet zuzuordnen ist. Aber ich bin mir sicher, das die Vernetzung, die Geschwindigkeitssteigerung und die Verfügbarkeit von Daten usw. einen beträchtlichen Beitrag leisten.

    Hinter Klagen, wie der von Schirrmacher verbergen sich zwei Dinge
    1. Die Angst vor dem Verlust der Bedeutung und der Deutungshoheit klassischer Medien und
    2. wie schon der Zuhörer anmerkt, die Angst oder die fehlende Bereitschaft neue Werkzeuge in einem neuem Medium zu nutzen und vor allem ihre Nutzung zu erlernen.

    “Und Kreye ging weiter: der Status quo der Intersuchmaschinen ist für ihn keinesfalls zufriedenstellend. Er stellte fest, daß die (personalisierten) Suchroutinen zwar immer mehr über ihn, seine Vorlieben und Gewohnheiten wüßten, doch das sei doch keineswegs ausreichend. “Aber ich will mehr. Ich will Informationen, die weit darüber hinausgehen über das, was ich doch schon weiß.”

    Es ist Aufgabe des Nutzers, eingefahrene Suchroutinen zu überwinden, er verlangt hier von einer Maschine, was den Menschen ausmacht: Die Fähigkeit zur Kreativität und zum Querdenken.

  2. #2 Lars Fischer
    Januar 26, 2010

    “Denn die Zeiten, in denen man sicher sein konnte, daß alle relevanten Diskurse in der alltäglichen Tageszeitungen abgebildet wurden – wohlsortiert und kommentiert durch die jeweilige Redaktion – , diese Zeiten sind vorbei.”

    Hat es sie jemals gegeben?

  3. #3 Tim
    Januar 26, 2010

    Eine der wichtigsten Funktionen der Zeitung ist (war?) ja, ihren Lesern das Gefühl zu geben, gut und umfassend informiert zu sein. Aber eben leider auch nur das Gefühl. Im Internet kann man sich natürlich viel professioneller und gründlicher informieren, muß dazu aber Zeit und Gehirnschmalz investieren. Das mißfällt einigen selbsternannten Qualitätsjournalisten wahrscheinlich.

  4. #4 miesepeter3
    Januar 26, 2010

    Mit dem Internet umgehen zu können ist noch lange kein denken.
    Denken ohne Internet ist immer noch möglich, Internet ohne denken aber auch.

  5. #5 Marc Scheloske
    Januar 27, 2010

    @Popeye:

    Ich stimme Dir hier eigentlich zu 100% zu. Auch was Gelernters Skepsis angeht:

    “Ich weiß nicht, ob man was findet, dessen Usprung ausschließlich dem Internet zuzuordnen ist. Aber ich bin mir sicher, das die Vernetzung, die Geschwindigkeitssteigerung und die Verfügbarkeit von Daten usw. einen beträchtlichen Beitrag leisten.”

    Sehe ich auch so. Denn wie soll der ganz direkte Einfluß des Internets auf handfeste Innovationen auch aussehen? Daß das Web aber viele Kooperationen und Projekte (auch in der Wissenschaft) erst ermöglicht, Menschen vernetzt und ggf. neue Ideen hervorbringt, ist sicher unbestritten. Nur wird das dann natürlich nicht auf das Internet zurückgerechnet, wenn irgendwann nach Jahren eine neue tolle Technologie etabliert ist.

    @Lars:

    Naja, das ist natürlich die Frage, was man unter “relevante Diskurse” subsumiert und welchen Anspruch man selbst hat. Es gab allerdings sicher eine Phase, in der man mit relativ gutem Gefühl davon ausgehen konnte, daß alle wesentlichen Diskussionen sich irgendwie (früher oder später) auch in Texten seiner Tageszeitung niederschlagen. Das war sicher auch damals eine Illusion, aber inzwischen kann man einfach nicht mehr so naiv sein und nicht sehen, daß das unmöglich geworden ist.