Es klingt unglaublich und für viele junge Eltern wie ein schlechter Witz: in Deutschland sind derzeit insgesamt sieben Impfstoffe gegen Kinderkrankheiten nicht oder nur schwer lieferbar, darunter der Sechsfach-Impfstoff für Säuglinge “Infanrix hexa” von GlaxoSmithKline. Die Impfstoffhersteller haben offenbar seit letztem Herbst fast ihre gesamten Produktionskapazitäten für die Herstellung des Schweinegrippe-Impfstoffs reserviert. Wie man dabei vergessen konnte, daß andere Impfstoffe weiterhin nachgefragt werden und lieferbar sein müssen, ist rätselhaft.
Deutschland im Frühjahr 2010: Kinder-Impfstoffe werden knapp.
Wie man heute in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” nachlesen kann [Text von Volker Stollorz, leider nicht online], gibt es seit wenigen Wochen einen Lieferengpaß bei einigen Kinder-Impfstoffen. Die Vorräte bei den Apotheken sind aufgebraucht, GlaxoSmithKline aber kann keinen neuen Impfstoff mehr liefern. Die Kinderärzte müssen die Eltern also abweisen und vertrösten; nachvollziehbar, daß sowohl Ärzten, als auch den Eltern das Verständnis fehlt.
Sechsfach-Impfstoff “Infanrix hexa” derzeit nicht lieferbar
Denn unter den derzeit ausverkauften Impfstoffen ist auch der Sechsfach-Impfstoff Infanrix hexa®. Dabei handelt es sich um den einzigen zugelassenen hexavalenten Impfstoff, der zur Grundimmunisierung gegen Kinderlähmung, Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Haemophilus influenzae Typ b sowie Hepatitis B eingesetzt wird. Dieser Kombi-Impfstoff ist natürlich schon allein deswegen häufig nachgefragt, weil dadurch die Anzahl der Impftermine reduziert werden kann.
Und Hersteller von “Infanrix hexa” ist eben GlaxoSmithKline (GSK). Doch beim britischen Pharmakonzern hat die Bestellung der 50 Millionen Impfdosen des H1N1-Impfstoffs Pandemrix offenbar dazu geführt, daß man die Produktion anderer Impfstoffe vernachlässigt oder zwischenzeitlich eingestellt hat. Sprecher von GSK bedauern natürlich, daß es zu Lieferproblemen kommt, an der Verärgerung der Betroffenen wird das wenig ändern. Denn noch bis April oder Mai wird es nach derzeitigem Informationsstand dauern, bis wieder ausreichend Nachschub zur Verfügung steht.
Unvermeidliche Nebenfolgen?
Sorgte die Konzentration auf die Produktion des H1N1-Impfstoffs zwangsläufig zur Vernachlässigung anderer Bereiche?
Der Fall ist auch insofern bemerkenswert, als daß hier mustergültig sichtbar wird, welche Fern- und Nebenfolgen in komplex gekoppelten Systemen auftreten. Und ebenfalls wird sichtbar, wie unvermeidbar solche Pannen ganz offensichtlich sind. Denn eigentlich sollte man davon ausgehen, daß man bei GlaxoSmithKline genau weiß, wieviele Dosen “Infanrix hexa” jeden Monat verimpft werden. Da gibt es sicher leichte Schwankungen, aber der Impfstoff ist seit 10 Jahren auf dem Markt und ist quasi die Standard-Immunisierung bei Säuglingen.
Es besteht also kein Zweifel darüber, daß diese Größe (monatlicher Bedarf an “Infanrix”) bekannt ist. Wenn man dann – wie im letzten Herbst – vor der Entscheidung steht, die eigenen Produktionskapazitäten umzuschichten (weil eben der H1N1-Impfstoff produziert werden muß), dann muß man sicher noch andere Zahlen in die Kalkulation mit einbeziehen. Die Zahl der vorrätigen Reserven des Impfstoffs im eigenen Lager, dazu die Vorräte bei den Apotheken.
Doch das alles ist keine höhere Mathematik. Wie man sich dann als GlaxoSmithKline in die peinliche Situation manövrieren kann, daß im Januar kein Infanrix mehr lieferbar ist, ist vollkommen unverständlich. Aber eben doch ein Beispiel mehr, wie schwer sich auch Organisationen tun, unter halbwegs komplexen Randbedingungen richtige Entscheidungen zu treffen.
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