»Was ist der Mensch?« Klassischerweise fällt die Beantwortung dieser Frage ja in den Zuständigkeitsbereich der Philosophie. Doch immer häufiger kommen Antworten auf diese anthropologische Kernfrage auch von anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Etwa von der Hirnforschung, wenn sie uns mitteilt, daß der ‘freie Wille’ doch nur eine Illusion sei. Und natürlich hat auch die Biologie hier etwas zu sagen.
Wissenschaft ist eine Kerze in einer dunklen von Dämonen beherrschten Welt.
Wenn man Pech hat, bekommt man freilich die PR-Parolen von Gentechnik-Pionier Craig Venter zu hören, der nach der Entschlüsselung (und Enträtselung) des Genoms nun die Synthetisierung des Lebens propagiert. Wenn man Glück hat, dann stammen die Antworten, die die Lebenswissenschaften auf diese allerersten Fragen des Menschen gibt, von Gottfried Schatz. Für den besteht das Erfolgsgeheimnis des Lebens nämlich just in dessen Rätselhaftigkeit, die sich konsequent jeder Kontrolle entziehe. Und so steht für den Biochemiker Schatz fest, daß wir “nicht Sklaven unserer Gene sind”.
Es war also zweifellos ein glücklicher Zufall, daß im Mittelpunkt des “Life Science Dialogue” der vergangene Woche Anfang Juni in Heidelberg stattfand, der Vortrag von Prof. Dr. Gottfried Schatz stand. Und der outete sich gleich zu Beginn seiner Ausführungen als Fan von Carl Sagan, dessen Credo er ausdrücklich zustimme: “Wissenschaft ist eine Kerze in einer dunklen von Dämonen beherrschten Welt.”
»Wir sind nicht gesund, sondern nur noch nicht gut genug getestet.«
In seiner kurzen Einführung hatte Dr. Stephan Sigrist von W.I.R.E. kurz die Ausgangslage skizziert. Die Medizin agiere – so Sigrist sinngemäß – zunehmend in einem Spannungsverhältnis: einerseits habe der medizinische Fortschritt und Wissenszuwachs dazu geführt, daß wir Diagnosen immer früher und präziser stellen können. Andererseits hätten sich viele der allzu optimistischen Hoffnungen auf eine gentechnologisch induzierte Revolution in der Medizin doch (noch?) nicht erfüllt und gleichzeitig steige der Kostendruck auf das Gesundheitssystem (was sich schlicht in dem Umstand niederschlägt, daß nicht alles, was möglich ist, auch bezahlbar ist.).
»Sind wir nur biochemische Maschinen, die von Genen gesteuert werden?«
Doch zurück zum Vortrag von Gottfried Schatz. Für den deutsch-schweizerischen Biochemiker, der als Mitentdecker der mitochondrialen DNA gilt und auf eine mehr als vierzigjährige Karriere in der Spitzenforschung zurückblickt, steht unbestritten fest: “Die Biologie ist die Wissenschaft von uns selbst.”
Ausgangspunkt seiner Überlegungen war folgende Frage: “Sind wir nur biochemische Maschinen, die von Genen gesteuert werden?” Stellte man Craig Venter diese Frage, so lautete seine Antwort vermutlich klar und eindeutig: Ja. Doch für Schatz ist die Sache so einfach nicht. Seine Gründe legte er in einer dreistufigen Argumentationskette dar.
Epigenetik, oder: Wie gelebtes Leben das Genom prägt
Die Vorstellung, wir seien nur die besagten Maschinen, die von einer fix vorgegebenen Software (unserer DNA) gesteuert würden, ist in den Augen von Gottfried Schatz naiv. Und überhaupt widerspräche sie vielen Vorgängen in der Natur. Denn wieso, so fragte Schatz, werden denn eineiige Zwillinge im Lauf der Zeit immer verschiedener? Eigentlich wäre doch zu erwarten, daß bei identischem Genom tatsächlich das gleiche (biologisch-physiologische) Programm abliefe, oder?
Daß dem nicht so ist, liegt – wie Schatz eindrucksvoll illustrierte – am Epigenom. Während die DNA der bloße Text ist, unser grundlegender Bauplan des Lebens, so sorgt das Epigenom dafür, welche Passagen der DNA tatsächlich abgelesen werden und somit relevant sind oder werden. Wie die epigenetische Forschung der letzten Jahre zeigen konnte, gibt es eben raffinierte Mechanismen, die kontrollieren, wie die DNA genutzt wird, welche Proteine produziert werden oder eben nicht. Und die Epigenetik ist – wie immer mehr interessante Studien belegen – durch die Umwelt (was nichts anderes heißt: unser Leben bzw. unseren Lebenswandel) beeinflußbar.
Unsere Ernährungsgewohnheiten, Stress, Sport, unsere Leidenschaften und Ängste und all das, was uns je individuell widerfährt und worauf wir (zumindest teilweise) Einfluß haben, wirkt sich eben auf die epigenetischen Mechanismen aus. Die Auswirkungen vollziehen sich dann zum Beispiel über die Histonmodifikation (die den Ableseprozeß für bestimmte Proteine aktivieren oder unterbinden kann), die RNA-Interferenz (die im letzten Moment dazwischenfunkt, bevor die Proteinsynthese stattfindet) oder die sog. Methylierung. Dabei wird eine Methyl(CH3)-Gruppe an bestimmten Stellen der DNA plaziert und somit wird verhindert, daß der zugehörige Text abgelesen wird.
Schatz erläuterte den Mechanismus der Methylierung und illustrierte, daß diese Markierungen in unserer DNA eben durch gesunde Ernährung positive, durch zuviel Stress oder zu wenig Bewegung negative Effekte haben können. Und – hier wird es besonders spannend – die Methylgruppen werden teilweise auch vererbt. Es ist über diese epigenetische Schnittstelle also sogar möglich, so etwas wie intergenerationelles Lernen zu ermöglichen. Bestimmte Informationen, welche Gene wichtig sind (und abgelesen werden) und welche irrelevant sind, können also vererbt werden. Und darauf haben wir (in gewissem Umfang) auch Einfluß.
Der (göttliche) Zufall
Wir selbst sind also – das war der erste Argumentationsschritt von Gottfried Schatz – durchaus in der Lage, bestimmte ‘epigenetische Schalter’ zu kontrollieren, die sich auf unsere Gesundheit (und sogar diejenige unserer Kinder) auswirken. Mit dem Gegenteil von Kontrolle, nämlich mit dem (vieleicht ja göttlichen?) Zufall hatte das zweite Argument zu tun. “Im Leben einer Zelle gibt es Zufallsprozesse, die irreversibel sind”, so erläuterte Schatz.
»Im Leben einer Zelle gibt es Zufallsprozesse, die irreversibel sind.«
Die Natur kann aus einem Genom ganz verschiedene lebensfähige Organismen schaffen. Eine – wenigstens für die Ohren eines biochemischen Laien – bemerkenswerte Aussage. Für Schatz freilich nur ein weiteres Indiz für die ganz fabelhaft organisierte Natur. Denn diese Variationsmöglichkeiten (die eben auch den Zufall nutzen) seien die wahre Stärke der Evolution.
Gottfried Schatz ist – das als kleine Zwischenbemerkung – einer derjenigen Wissenschaftler, die so wunderbar eindrücklich und mitreißend über die Welt der Forschung erzählen, daß man sich wünscht, daß der Vortrag nicht 90 Minuten, sondern mindestens doppelt so lange dauern möge. Denn Schatz (seine Emeritierung liegt schon einige Zeit zurück und doch sprüht er nur so vor Begeisterung, wenn er über die Wissenschaft spricht) liefert gleich dutzendfach bemerkens- und bedenkenswerte Statements ab. “Unser Dasein ist nichts anderes als gigantisch verstärktes molekulares Rauschen!” – so machte er beispielsweise an dieser Stelle deutlich.
Sieg der Komplexität
Der dritte Punkt in seiner Argumentationskette kreiste um das Stichwort ‘Komplexität’. Wie bereits oben angedeutet, so ist für Schatz die Vorstellung ziemlich abwegig, wir seien streng determinierte Apparate, deren Leben und Verhalten direkt durch unsere Gene (fremd-)gesteuert werde. Für ihn steht vielmehr fest: “Unser Genom ist genauso groß, wie rätselhaft.”
Die Vorstellung, wir seien biochemische Maschinen, determinierte Apparate, die durch die zentrale Software ‘DNA’ gesteuert werden, ist abwegig.
Und zwei menschliche Genome unterscheiden sich gerade einmal um 0,5% voneinander und dennoch gibt es eine so enorme Variationsbreite an menschlichem Leben – Schatz, so führte er aus, genügt im Grunde schon diese Erkenntnis, die uns vom vermeintlichen Joch der Versklavung durch unser Genom befreie.
Für Schatz – das war so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt seiner Ausführungen – steht fest: das höchste Ziel der Natur ist es, Vielfalt zu schaffen. Und das versucht sie mit allen Tricks, allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Insofern hieße es die Natur zu unterschätzen, wenn man glaubte, in der DNA liege das Programm vor, das (ohne das weitere Faktoren mit ins Spiel gebracht würden) allem Leben seine konkrete Form diktieren würde. Es ist eher das freie Spiel, die lange Leine an der die DNA agiert. Umwelteinflüsse (und unser eigenes Verhalten) sind eine Einflußvariable, wie uns die Epigenetik zeigt. Zufälle und Komplexität tun ihr weiteres.
Das Konzert des Lebens
Am Ende erläuterte Schatz sein Verständnis in folgendem Bild: jede befruchtete Eizelle ist wie ein Orchester, das auf seinen Einsatz wartet. Doch was wir hören, das hängt von vielen weiteren Faktoren ab. Vom Takt des Dirigenten, der Virtuosität und der Tagesform der einzelnen Musiker, der Qualität der Instrumente, der Akustik des Konzertsaals etc.
Ein schönes Bild. Und ein schöner Vortrag. So lebendig kann man über Wissenschaft sprechen.
Daß die anschließende Diskussion (die länger als 1 1/2h dauerte) lebhaft und anregend war, daß von den Teilnehmern am “Life Science Dialogue” weitere interessante Perspektiven eingebracht wurden, war dann eher kein Zufall, sondern das folgerichtige Produkt spannender Wissenschaft.
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Anmerkung: Der “Life Science Dialogue” wird von der Dr. Rainer Wild-Stiftung organisiert und durchgeführt. Weitere Infos zur Veranstaltungsreihe waren bereits in diesem Text bei ScienceBlogs zu lesen.
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Lektüre-Tipps (Link öffnet Amazon-Website):
- Gottfried Schatz: Jeff’s View. On Science and Scientists, 2005.
- Peter Spork: Der zweite Code: Epigenetik – oder Wie wir unser Erbgut steuern können, 2009.
* Das Posting war an dieser Stelle bereits im Juni für kurze Zeit lesbar, dann aber durch einen Systemfehler wieder offline gegangen.
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