Eigentlich ist das ja eine Schnapsidee: 200 Personen sollen an 21 Tischen an 2 Tagen über 1 Thema diskutieren, streiten und sich letztlich doch auch wieder auf gemeinsame Positionen einigen. Und dennoch hat sich die Bürgerkonferenz zum Thema “Energienutzung der Zukunft” genau das zum Ziel gesetzt. Es ist ein Experiment. In mehrfacher Hinsicht. Einige Beobachtungen am Ende des ersten Tages…
Um es hier nochmal klarzustellen: Bürgerkonferenzen und alle verwandten Formate der Bürgerbeteiligung, wie sie in Dänemark, Großbritannien, den USA, der Schweiz oder vereinzelt in Deutschland durchgeführt wurden, haben das Ziel das vorhandene Arsenal an Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger zu erweitern. Es geht nicht um eine Entmachtung gewählter Parlamente, es geht nicht um die Installation von intransparenten Entscheidungszirkeln von irgendwelchen Eliten.
Im Gegenteil: es geht um das Ausprobieren von maximal transparenten Verfahren der diskursiven Verständigung über kontroverse Fragestellungen. Und die aktuell hier in Berlin stattfindende Veranstaltung ist ohnehin “nur” ein Experiment. Am Sonntagabend soll zwar von der Bürgerkonferenz ein gemeinsames Empfehlungspapier verabschiedet werden. Aber das hat natürlich keinerlei bindende Wirkung. Es ist ein Empfehlungspapier, das dokumentiert, was 200 interessierte und (das mein Eindruck) verantwortungsvolle Bürger an einem Wochenende diskutiert haben. Das ist wertvoll. Und sicher nichts, wovor man sich irgendwie ängstigen müsste. *
Diskussionen, Fragen und Experten
Die beiden Konferenztage sind absolut vollgepackt. Die rund 200 Teilnehmer sitzen ja an 20 Tischen zusammen, an denen jeweils ein Moderator die teilweise überschießende Diskussionslaune bremsen und in geordnete Bahnen lenken muß. Und die Tischmoderatoren geben die Fragen und Statements von den einzelnen Tischen immer wieder an die zentrale Konferenzredaktion weiter, die die Fragen bündeln und dann wieder zur gemeinsamen Diskussion stellen. Und dazwischen gibt es immer wieder Zeit für Fragerunden an die Experten. Der Zeitplan ist eng getaktet. Vielleicht zu eng. Manche Teilnehmer hätten sich (so ist zu hören) mehr Zeit gewünscht, um einige Fragen eingehender zu behandeln.
Die Teilnehmer sind engagiert, diskussionsfreudig und wirklich sehr, sehr gut vorbereitet.
Ganz offensichtlich ist: die Teilnehmer sind wirklich sehr, sehr gut vorbereitet. Im Vorfeld gab es natürlich Informationsmaterial und es sieht so aus, als wurden die Hausaufgaben gemacht. Ich habe mich heute immer wieder an einzelne Tische gesetzt und die Diskussionen verfolgt. Und dort ist zu spüren, daß diese Veranstaltung sehr ernst genommen wird. Man merkt es vielen Redebeiträgen an: für die Teilnehmer ist diese Konferenz endlich einmal eine Gelegenheit, um ihre Anliegen loszuwerden. Hier interessiert sich jemand für ihr Urteil. Da hört jemand zu. Da sitzen echte Wissenschaftler, die für Fragen offen sind und aufmerksame Moderatoren, die den ganzen Input einsammeln, sortieren, bündeln. Das kommt gut an. Zwischenfazit 1: Teilnehmer an Bürgerkonferenzen finden das Format cool.
Das leitet über zu einer anderen Frage: Wer sind die Teilnehmer? Man muß zumindest für dieses Wochenende eingestehen: repräsentativ ist die Zusammensetzung nicht. Man hat sich bemüht, eine möglichst heterogene Teilnehmerschar zusammenzubringen. Aber es gibt einige Faktoren, die das erschweren. Als Teilnehmer muß man nämlich mindestens ein komplettes Wochenende opfern. So wie es aussieht (und wie ich von den Organisatoren erfahren habe) sind junge Menschen zwischen 20 und 40 Jahren dazu ziemlich selten bereit. Und morgen ist Berlinmarathon. Und überhaupt. Deshalb geben eben 42% der Teilnehmer als Status “Rentner” an. So ist das. Nachdem diese Bürgerkonferenz ja eben ein Experiment ist und bleibt, sehe ich darin kein großartiges Problem.
Heute vormittag gab es zuerst einmal Raum, um ohne großartige Vorgaben die Punkte anzusprechen, die im Zusammenhang mit dem Thema Energienutzung nach Ansicht der Teilnehmer im Argen liegen. Die Kritik reichte von den öffentlichen Gebäuden, die (Heiz-)Energie verschleudern über den mangelhaft ausgebauten ÖPNV bis zu fehlenden Informationen über Energieeinsparpotentiale. Überraschend für mich war: an dem Tisch an dem ich zugehört habe, war es ganz klar, daß Energiesparen mittelfristig nicht ausreicht. Verhaltensänderungen und auch der Verzicht auf Luxus waren für die Diskussionsteilnehmer selbstverständlich. Und Kerosin müsse sowieso besteuert werden. Besser heute als morgen.
Reicht es aus, auf die Einsicht der Verbraucher in Sachen Energiesparen zu setzen? Oder wäre (sanfter) Zwang nicht sinnvoll und notwendig?
Auffallend insgesamt: über die Ziele wurde man sich relativ schnell einig. Die große Frage besteht oft darin, wie man diese Ziele realisieren kann. Reicht es aus, auf die Einsicht der Verbraucher zu setzen? Oder wäre (sanfter) Zwang nicht sinnvoll und notwendig? Konkret: können wir warten, bis der Nachbar auch endlich die Kurzstrecken mit dem Fahrrad oder dem Bus zurücklegt oder müssen wir erst (Steuern!) die Benzinpreise verdoppeln oder verdreifachen, um dieselbe Verhaltensänderung zu erreichen?
Hier die meistgenannten Kritikpunkte:
Am Nachmittag ging es dann um die Entwicklung von Visionen für die Energiezukunft des Jahres 2030. Am Ende wurden 15 Forderungen aufgelistet. Am meisten Zustimmung fanden der Punkt “Energieerziehung” (Vorschlag: an den Schulen ein Fach Energiekunde einführen), ebenfalls populär war die Durchsetzung eines umwelt- und nutzerfreundlichen ÖPNV. Ebenfalls die Hitliste belegt der Punkt “intelligente Gebäudetechnik”.
Als erstes Fazit lässt sich festhalten: ein spannender Tag, engagierte Teilnehmer, viele Ideen. Manche davon utopisch, manche sicherlich bald schon Realität (egal ob mit oder ohne Bürgerkonferenz). Über manches wird weiter zu diskutieren sein. Kein schlechter Tag insgesamt. Morgen geht’s weiter.
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* Zur Erklärung: In den Kommentaren auf meine beiden anderen Texte gab es zum Teil etwas seltsame Kritik.
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