Eigentlich geht es um Politik 2.0. Um die Weisheit der Vielen, um eine Mitmach-Demokratie. Das alles sind Schlagworte, die einen gewissen utopisch-idealistischen Beiklang haben. Und doch sind die Experimente, die eine Politikbeteiligung und Politikberatung durch Laien erproben, hochinteressant. Sogenannte Konsensuskonferenzen oder Bürgerkonferenzen wären Beispiele dafür.
Wer berät die Berater? Welche Interessen kommen hier zum Zug? Wer trägt am Ende die Verantwortung für Entscheidungen?
Gibt es eigentlich eine Liste, in der all die Expertenräte, Beratungsgremien und Beraterstäbe aufgeführt sind, die momentan die Regierungen auf Länder- und Bundesebene “beraten”? Ihre Zahl dürfte locker dreistellig sein. Die Tatsache, daß sich Politik professionellen Rat von Experten holt, ist auf der einen Seite beruhigend (denn wer wollte ernsthaft, daß unsere Politiker alle Sachfragen einfach frei Schnauze entschieden?) Auf der anderen Seite ist die Tatsache, daß relevante Entscheidungen nicht in den politisch legitimierten Gremien häufig nur noch abgenickt werden, die Weichenstellungen aber in anderen Zirkeln getroffen werden, beunruhigend. (Weitere Überlegungen zu dieser Frage habe ich bereits in diesem Posting angestellt.)
Denn: wer berät die Berater? Welche Interessen kommen hier zum Zug? Wer trägt am Ende die Verantwortung für (Fehl-)Entscheidungen? Und überhaupt: Wissen wir nicht längst, daß kleine, homogene Gruppen tendenziell eher schlechtere Entscheidungen fällen und daß es sinnvoll ist, wenn Gruppen möglichst heterogen zusammengesetzt sind? (vgl. u.a. Surowiecki)
Konsensuskonferenzen: Mehr (Technologie-)Dialog wagen
Solche Überlegungen standen vermutlich auch im Hintergrund, als vor rund 20 Jahren die dänische Behörde für Technikfolgenabschätzung (Teknologi-Rådet) das Format der “Konsensuskonferenzen” entwickelte. Grundlegende Idee war: es sollen ganz normale Bürger mit Experten und Entscheidungsträgern zusammengebracht werden.
Konsensuskonferenzen setzen auf die “Weisheit der Vielen”.
Und die Konferenz soll den Rahmen dafür bilden, daß die Laien die Möglichkeit erhalten, sich möglichst optimal über den Wissensstand im jeweiligen Themenfeld zu informieren, untereinander und mit Fachleuten zu diskutieren und sich am Ende idealerweise auf gemeinsame Positionen einigen können. Es geht also um Information, Diskussion, Meinungsbildung und ein Empfehlungspapier.
Die erste dänische Konsensuskonferenz fand 1987 zum Thema “Gentechnologie in Industrie und Landwirtschaft” statt. In den folgenden Jahren gab es weitere solche Konferenzen in Dänemark (u.a. 1992 Retortentiere – Eingriffe in das Erbgut höherer Lebewesen, 1993 Zukunft des Automobilverkehrs, 1995 Möglichkeiten und Grenzen der Gentherapie). Die Konsensuskonferenzen ziehen sich üblicherweise über einige Wochen (oder auch Monate) hin. Es gibt meist drei oder vier Treffen, bei denen die Teilnehmer gemeinsam ihre Fragen diskutieren und auswählen, welche Experten sie für spätere Sitzungen einladen wollen etc. Am Ende wird ein Schlußdokument formuliert, bei dem explizit ein Konsens angestrebt wird.
In der Schweiz wurden Ende der 1990er Jahre sogenannte “Publiforen” durchgeführt, die sich stark am dänischen Vorbild orientierten. In Deutschland wurde 2001 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden die erste Konsensuskonferenz zum „Streitfall Gendiagnostik durchgeführt. Wie der Name schon sagt: bei dieser Variante der partizipativen Bürgerbeteiligung in Sachen Politikberatung geht es ausdrücklich um einen Konsens der Teilnehmer.
Bürgerkonferenzen: Meinungsbildung und Diskurs
Eine etwas abgeänderte Variante des dänischen Vorbilds findet u.a. unter dem Etikett “Bürgerkonferenz” statt. Wie etwa an diesem Wochenende in Berlin. Die Veranstaltung ist deutlich komprimierter, alles passiert an einem Wochenende und am Ende steht ebenfalls ein gemeinsames Votum der Konferenzteilnehmer. Das Format ist aber deutlicher “explorativer” ausgelegt. Der Fokus liegt stärker auf der Beobachtung und Analyse der Meinungsbildungsprozesse, die während des Wochenendes ablaufen. Und natürlich sollen alle Teilnehmer (egal ob “Laien” oder “Experten” dazulernen). Lars hat in seinem Posting seine Erwartungen zusammengefasst.
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