Dieser Prozess nennt sich Konvergenz. Bei einem gesunden Menschen dauert dieser Prozess des Scharfstellens max. 400 Millisekunden. Das ist zwar nicht viel, aber im Alltag müssen wir seltener und weniger plötzlich diesen Fokus wechseln. Bei einem sich bewegenden Objekt kann es sogar bis zu einer Sekunde dauern, vom Zeitpunkt des Stimulus bis zu dem Moment, auf dem wir unser Auge komplett auf das Objekt scharf gestellt haben.
Im Kino richten wir unsere Augen auf die Leinwand, während unser Fokus überall im Raum umher irrt. Das ist das der Grund, warum man Kopfschmerzen kriegt. In der Regel haben jüngere Besucher erwartungsgemäß weniger Probleme mit dieser Schwerstarbeit im Kinosessel.
(EDIT: Leser Mark hat in den Kommentaren das Problem von Konvergenz und Fokus wesentlich eleganter formuliert: “Der zentrale Kritikpunkt kommt in dem Artikel m.E. gar nicht richtig rüber: Im 3d-Kino müssen sich die Augen relativ zueinander so bewegen, als wären die betrachteten Gegenstände unterschiedlich weit entfernt (Konvergenz). Das Auge (die Linse) muss jedoch immer auf die Leinwand fokussieren, die in konstanter Entfernung vor dem Betrachter angebracht ist. Und das ist es, was vielen Menschen Kopfschmerzen bereitet. Und dafür gibt es auch keine technische Lösung, von bewegten Hologrammen mal abgesehen.”)
Wer entscheidet eigentlich was ich mir anschaue?
Der 3D-Effekt soll uns suggerieren wir wären in dem Film. Wie im echten Leben folgen wir den Charakteren durch ihre eigene Welt, doch ist uns nicht erlaubt selbst zu entscheiden, auf welchen wir fokussieren. Tiefenschärfe gibt uns vor wo die Action stattfindet. Bei einem komplexen Bildaufbau bedeutet das jedoch, dass wir uns bei jedem neuen Bild erst zu Recht finden müssen. In Avatar gibt es eine Szene, in der der Protagonist durch den Wald zu einer Reihe von Pflanzen kommt. Er berührt sie und plötzlich lösen sie sich in Luft auf, ziehen sich in die Erde zurück. Es gab viele dieser Pflanzen und ich wollte mir die Pflanzen genauer ansehen. Doch die Schärfe blieb bei dem Mann und den Pflanzen in seiner unmittelbaren Nähe.
Durch so eine Entscheidung tauchen wir nie in die 3D-Welt ein. Trotz aufwändiger Effekte bleiben wir immer in der vom Regisseur vorgeschriebenen Ebene, im Grunde nichts weiter als ein 2D-Film in einem 3D Raum. Schlimmer noch sind die Fälle in denen bildfüllend unscharfe Menschen durchs Bild rennen, aber unser Gehirn dazu gezwungen wird, sie zu ignorieren.
Die einzige Lösung für dieses Dilemma wäre, alles im Film scharf zu stellen, und dem Publikum die Entscheidung zu überlassen. Aber dann wären wir tatsächlich fast beim Hologramm, beim Holo-Deck – und das wäre fraglos ein atemberaubendes Erlebnis.
Quentin Tarantino ist der einzige Regisseur, von dem ich weiß, dass er bewusst so mit Tiefenschärfe spielt. In Pulp Fiction verfolgt Marcellus Wallace einen blutenden Butch; an einem Punkt verschnauft Butch an einer Hauswand während wir Marcellus stolpernd durch die Gassen rennen sehen – 100 Meter entfernt. Trotzdem sind beide gestochen scharf. In Jackie Brown gibt es bei mehreren Dialogen ähnliche Effekte; auch wenn die Charaktere nur ein paar Meter voneinander entfernt stehen, sind sie eindeutig schärfer als das erlaubt sein dürfte. So etwas kann entweder mit digitaler Nachbearbeitung, mit einer speziellen Split Field Lense oder einer extrem hohen Blendenzahl erreicht werden.
Ich denke, das ist auf kurz oder lang die einzige Option für einen 3D-Film. Denn solange der Film unser Gehirn dermaßen beansprucht, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir uns auf Dauer freiwillig in einen dunklen Saal setzen und zwei Stunden lang unsere Augen müde machen. Nicht für über 10 Euro!
Ich warte auf das Holodeck!
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