Fehler sind vielleicht überall in der natürlichen Welt zu finden, aber warum sind sie in der Evolution sogar notwendig?
Falsch abgeguckt
Die vielleicht simpelste Form eines Fehlers ist der Lesefehler. DNA wird von Enzymen abgelesen, den sogenannten DNA Polymerasen, die ab und zu die falschen Nukleotide in die kopierte DNA einbauen. Schlimmer noch, es könnten auch zu viele oder zu wenige Basenpaare hinzugefügt werden. Das ergäbe nicht nur einen kleinen, vielleicht sogar vernachlässigbaren Fehler, sondern verändert die ganze nachfolgende Bedeutung eines Gens. Beispielhaft könnte man sagen, dass der Satz “Wieviel Holz fällt ein Holzfäller?” durch einfügen eines zufälligen neuen Buchstabens zu “Wieviet Lhol zfäll tei Nholzfälle r?” Bei dem genetischen Rezept für rote Blutkörperchen z.B. wäre es fatal, wenn hinterher nicht das herauskommt, was eigentlich soll. (Einem Holzfäller könnte dann nämlich schnell die Puste ausgehen.)
All solche Fehler werden in der Regel durch andere Enzyme ausgebessert, aber manchmal entgeht selbst diesen molekularen Polizisten der eine oder andere Patzer. Das ist die Geburtsstunde einer Mutation. Ist die Mutation erst einmal in der DNA drin, wird sie von einer Zellgeneration zur nächsten weiter gegeben. Entstehen solche Mutationen in Zellen, aus denen Geschlechtszellen werden, können die Mutationen auch an Nachkommen dieser Mutationsträger weiter gegeben werden. So funktioniert schon ein wesentlicher Bestandteil evolutionärer Prozesse … und zwar nur wegen einem “kleinen” Lesefehler.
Aber damit nicht genug. Passiert dieser kleine Fehler in einem Gen, das eigentlich die Enzyme produziert, die die DNA-Replikation auf Fehler kontrollieren sollen, können sich Fehler erstaunlich schnell anhäufen. In vielen Fällen entstehen so Krebsgeschwüre. Über evolutionsbiologisch relevante Zeiträume allerdings bedeutet das eine erstaunliche Möglichkeit für Veränderungen im Erbgut von Lebewesen. Relevant wird so ein Fehler dann, wenn entsprechend starker Selektionsdruck auf einem Individuum lastet. Escherichia coli (momentan besser bekannt als EHEC) zum Beispiel ist ein Bakterium, welches in vielen Fällen mit Antibiotika bekämpft wird. Viel stärkeren Druck kann so ein Lebewesen gar nicht haben; für das Bakterium geht es um Leben und Tod. Entwickelt es nun eine hohe Vielfalt an Mutationen, erhöht sich die Chance dass irgendetwas dabei rum kommt, was doch etwas resistenter ist. Bei einem Genom von ca. 4 Millionen Basenpaaren und einer geschätzten Mutationsrate von einem Fehler pro einer Milliarde Nukleotiden, bedeutet das, dass ungefähr 1% aller neuen E. coli-Bakterien eine Mutation haben, die sie von ihrer “Mutter” abheben. So klein die Zahlen erscheinen, bei Zellen die sich alle paar Stunden vermehren, entwickeln sich so schnell neue Varianten – wie die, die jetzt auf Gurken (oder sind es Tomaten?) auftauchen.
Fehler sind aber nicht nur einer der Hauptmotivatoren der Evolution, gleichzeitig sind sie auch ein unheimlich wertvolles Werkzeug für Evolutionsbiologen, um der Verwandtschaft von Arten auf die Schliche zu kommen. Haben unterschiedliche Arten die gleichen “Fehler” in ihrer DNA, ist es wahrscheinlich, dass sie auch den gleichen Vorfahren haben. Genauso wie zwei Schüler wahrscheinlich voneinander (oder von einer gleichen Quelle) abgeschrieben haben, wenn sie die gleichen Wörter irgendwo gleich falsch geschrieben haben, lässt sich mit Hilfe von Fehlern in der DNA der Ursprung eines Fehlers bestimmen. Ein klassisches Beispiel ist Hämoglobin. Nicht nur Holzfäller sind auf den Sauerstofftransport im Blut angewiesen, und ohne Hämoglobin, der rote Farbstoff in unseren Venen und Arterien, kommt Sauerstoff nicht dort an, wo er gebraucht wird. Das Protein beta-globin ist dabei ein wesentlicher Bestandteil; fünf Gene kodieren dafür, dass es produziert wird. Schaut man aber genauer, findet man noch ein weiteres, ein sechstes Gen inmitten der anderen fünf, das auf Grund von Fehlern schlicht gar nichts mehr produziert. Hier handelt es sich nicht um einen kleinen Fehler von einem verwechselten Basenpaar, sondern um viele Fehler – darunter vertauschte Basenpaare, die nun für andere Aminosäuren kodieren, und gelöschte Basen, durch die der nachfolgende Strang völlig seine ursprüngliche Bedeutung verliert. Ansonsten ist dieses sechste Gen so wie seine anderen fünf funktionsfähigen “Brüder” aufgebaut.
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