Kurz vor der Oscarverleihung am letzten Sonntagabend schien es mir gut zu passen, im Kino einen Film über den 16. Präsidenten der USA im Kino anzuschauen. “Lincoln” von Steven Spielberg hat viele große Momente und eine beeindruckende Leistung von Daniel Day Lewis, aber er wirkt auch häufig ziellos und klischeehaft. Der beste Moment des Films war für mich ein Gespräch zwischen Abe Lincoln und Thaddeus Stevens (Tommy Lee Jones) in der Küche des weißen Hauses. Der Moment allerdings, der mich am Meisten irritierte, war einen kurzer, euphorischer Kommentar von Tad Lincoln, Abrahams jüngstem Sohn, zu einem neuen Buch, von dem er gehört hatte. Darin ging es um Finken und deren Schnäbel, und darum dass die sich verändern, über die Zeit …
Der genaue Wortlaut war (mit Dank an Marcus Anhäuser vom Plazeboalarm):
(Sam Beckwith war, nebenbei bemerkt, der Telegraph, dem Lincoln im Film von Euklids Axiom erzählte.)
Meine Frage: Welches Buch meint Mr. Beckwith? In welchem Buch, das im Jahr 1865 noch relativ neu war, kommen Finken vor? Ich hab das Thema schon etwas auf Twitter angesprochen, aber es ist spannend genug um es hier auch noch mal zu erwähnen.
Meine erste Vermutung war, dass die Filmemacher sich auf On the Origin of Species bezogen, das berühmteste Werk von Charles Darwin. Die Tiere heißen schließlich Darwin-Finken, Darwin selbst hat sie gesammelt, und in jedem Schulbuch wird die Divergenz der Darwin-Finken als Paradebeispiel für natürliche Selektion erwähnt. Folglich bieten sie sich ja an, um in einem Film das Buch von Darwin zu erwähnen, ohne es beim Namen zu nennen. Das Problem ist aber, dass in dem Buch von Finken nirgends die Rede ist. Vögel der Galapagos-Inseln werden angesprochen, aber auch nur kurz und nirgends wird darauf eingegangen, dass sich Schnäbel mit der Zeit verändern. On the Origin of Species, das 1859 erschienen ist und sich deshalb bestens anbieten würde, kann es also nicht sein.
Doch so einfach sollte man das Rätsel nicht als schlechte Recherche der Filmemacher abtun. In welchen anderen Werken Darwins könnte diese Thematik denn eine Rolle gespielt haben? Die großartige Sammlung von Darwin Online hilft da weiter. Es gibt einige Bücher, in denen Darwin die Finken hätte erwähnen können. Naheliegend sind seine Notizbücher der Schiffsreise um den südamerikanischen Kontinent, aber diese Inhalte hätte Sam Beckwith wahrscheinlich nicht gekannt. Die Aufzeichnungen der Reise hatte Darwin aber als ein Journal of Researches publiziert, sein bekanntes Voyage of the Beagle. Das ist zwar schon von 1839, aber zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkrieges wäre es wenig verwunderlich, wenn man so ein Buch in den USA erst spät in die Finger kriegt. Unwahrscheinlich wie das vielleicht auch sein mag, im Voyage of the Beagle werden die Finken auch kaum erwähnt, nur kurz um darauf hin zu weisen, dass unterschiedliche Finken (Geospiza) auf unterschiedlichen Inseln vorkamen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Darwin die Theorie der Natürlichen Selektion noch gar nicht geformt und in seinen Notizbüchern formuliert. Bei der Reise zum Galapagos-Archipel waren ihm solche für die Zeit blasphemischen Gedanken eh nicht gekommen. Er sammelte die Vögel der einzelnen Inseln, ohne sich für jedes Exemplar Notizen zur Ökologie, zum Verhalten, zur Nahrung (ein im Nachhinein nicht wieder gut zu machender Fehler) und oder auch nur zur Insel zu machen. Zurück in England war es fast unmöglich, die verschiedenen Finken den einzelnen Fundorten zu zu ordnen. Erst als er 1837 mit John Gould, dem Ornithologen seines Vertrauens, die mitgebrachten Exemplare besprach, wurde ihm klar, dass es sich bei den unterschiedlichen Vögeln überhaupt um Finken handelte. Während Darwin die Exemplare für Tiere verschiedener Gattungen, zum Teil sogar Familien hielt, konnte Gould ihm zeigen, dass es sich um 13 Arten der gleichen Gattung handelte. Während Darwins Interesse in erster Linie dem ähnlichen Gefieder galt, lenkte Gould seine Aufmerksamkeit auf die unterschiedliche Schnabelform.
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