Chancenungleichheit und Vereinbarkeitsproblematik auseinanderhalten!
Die undifferenzierte Gleichsetzung von Chancenungleichheit und Vereinbarkeitsproblematik für Frauen in der Wissenschaft verstellt jedoch die Sicht auf wissenschaftsimmanente strukturelle Barrieren, die unabhängig von vorhandenen Kindern die Karriereoptionen von Frauen generell einschränken.
Auch kinderlose Wissenschaftlerinnen sind weniger erfolgreich als ihre männlichen Kollegen.
Tatsächlich finden sich derzeit keine Belege für eine monokausale Beziehung zwischen Kindern und geringen Karriereoptionen für Wissenschaftlerinnen. Weder gibt es durchschnittlich Unterschiede zwischen Müttern und kinderlosen Wissenschaftlerinnen in der Zeitspanne für ihre Qualifikationsphasen (vgl. Lind, 2004b; Lind, 2006), noch eindeutige Belege für eine geringere Publikationsrate der Mütter (Kiegelmann, 2000; Leemann, 2002; Allmendinger, 2005; Lind, 2004c; Lind & Löther, 2006).
Vielmehr kann bereits zu einem Zeitpunkt vor der Geburt des ersten Kindes ein unterschiedlicher Karriereverlauf von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern festgestellt werden (Lind, 2004a, 2007; Lind & Löther, 2007; vgl. Allmendinger, 2005). Und nicht zuletzt sind auch Wissenschaftlerinnen ohne Kinder alles in allem seltener erfolgreich als ihre männlichen Kollegen, unabhängig davon, ob diese Kinder haben oder nicht (Allmendinger, 2005; Allmendinger et al., 2000; Stebut; 2003; Wimbauer, 1999). Diese und ähnliche Befunde verdeutlichen, dass Mutterschaft nicht das einzige Hindernis für eine Hochschulkarriere von Frauen ist.
Mutterschaft ist nicht das einzige Hindernis für eine Hochschulkarriere von Frauen!
Das Phänomen der Unterrepräsentanz von Frauen und die Thematik der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie sind im Sinne eines konstruktiven Diskurses daher als zwei getrennte – wenn auch interferierende – Phänomene zu betrachten (Lind, 2007). Möglicherweise ist beides – sowohl die geringe Kinderzahl von Wissenschaftlerinnen (und zunehmend Wissenschaftlern) als auch die geringere Aufstiegswahrscheinlichkeit von Frauen – durch Spezifika des deutschen Wissenschaftssystems bedingt, die sowohl auf die Chancenungleichheit als auch auf unzureichende Vereinbarkeitsoptionen verstärkend oder zumindest aufrechterhaltend wirken.(3)
IZ – Sozialwissenschaften.
Sie hat mehrere Studien und Analysen zu Genderaspekten in wissenschaftlichen Biographien durchgeführt und leitet derzeit das Projekt “Balancierung von Wissenschaft und Elternschaft” (www.bawie.de).
(2) Für eine ausführlichere kritische Analyse der Debatte um die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie sowie zu verbreiteten Annahmen über die Ursachen des vergleichsweise geringen Frauenanteils in der Wissenschaft in Deutschland siehe Lind , 2007.
(3) Aus unserer Sicht birgt die Betrachtung von strukturellen Bedingungen in ihrer Wirkung auf Chancengleichheit und Vereinbarkeit ein hohes Erkenntnispotential. Insbesondere die zu vermutenden Wechselwirkungen zwischen der individuellen Ebene auf Seiten der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und der strukturellen Ebene der Wissenschaftsinstitutionen sind höchst interessant und könnten Hinweise auf sinnvolle Maßnahmen liefern (vgl. dazu auch Lind, 2004a)
Letzte Kommentare