Mathematik – daran besteht kein Zweifel – ist ein männerdominiertes Fach. Und obwohl der Frauenanteil unter Dozentinnen und Professorinnen in den letzten Jahren gestiegen ist, verharrt die Quote in Deutschland auf niedrigstem Niveau.

Vielleicht kein Wunder: Irene Pieper-Seier stellt (nachdem sie die Situation von Studentinnen und Doktorandinnen bereits skizziert hat) die Ergebnisse einer Studie vor, die eindeutig belegen, dass auch habilitierte Mathematikerinnen auf allen Karrierestufen zum Teil manifeste Diskriminierungserfahrungen machen.

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Ein anderer Blickwinkel auf die Beteiligung von Frauen in der Wissenschaftsdisziplin Mathematik ergibt sich, wenn man die Berufsverläufe von Frauen, die im universitären Bereich Karriere gemacht haben, im Vergleich mit entsprechenden Männern analysiert.

Die einschlägigen Studien (vgl. Tobies 2008, Abele et al. 2004, Vogel/Hinz 2004) zeigen übereinstimmend, dass – so die Erfahrungen der Betroffenen – NachwuchswissenschaftlerInnen in der Mathematik besser gefördert werden, als in den Sozialwissenschaften, dabei jeweils die Männer noch stärker als die Frauen.

Als Förderung wird hier die Ermunterung zu Publikationen, wie zur Teilnahme an Kongressen und Übernahme von Vorträgen, die Einführung in die jeweilige scientific community und die Einladung als MitautorIn auf einem Paper verstanden.

Interviewstudie: Frauen in der Mathematik

An der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg habe ich gemeinsam mit der Soziologin Prof. Dr. Karin Flaake und den Mitarbeiterinnen Dr. Kristina Hackmann (Soziologie) und Studienassessorin Stephanie Radtke (Mathematik und Musik) von 2002 bis 2004 eine Interviewstudie zum „Status von Frauen in der Wissenschaftsdisziplin Mathematik” durchgeführt.1

Versuch der Rekonstruktion von mathematischen Berufsbiografien. Welche Faktoren begünstigen eine Karriere?

Ziel war es, aus den Erzählungen von besonders erfolgreichen Frauen in der akademischen Profession Mathematik die Berufsbiografien zu rekonstruieren, sowie Muster für besonders günstige bzw. ungünstige Bedingungen einer Karriere zu ermitteln und die Wahrnehmung und Verortung in der Disziplin zu bestimmen.

Nach umfangreichen Recherchen ermittelten wir 76 Frauen in dieser Gruppe.2 Es stellte sich heraus, dass an knapp der Hälfte der mathematischen Institute und Fachbereiche keine Professorin oder habilitierte Dozentin in Dauerposition beschäftigt ist. Mit 65 der Frauen konnten wir verwertbare, leitfadengestützten Interviews führen.

Fast alle diese Frauen, die wissenschaftliche Universitätskarrieren in Mathematik erfolgreich abschließen konnten, sind in ihrem mathematischen Interesse und in ihren Kompetenzen schon früh und im weiteren Verlauf ihres Berufsweges immer wieder unterstützt und gefördert worden. Dieses Fazit korrespondiert mit den Ergebnissen des Braunschweiger Projekts (vgl. Vogel/ Hinz 2004: 69).

Auch in der Mathematik erleben Frauen geschlechtsspezifische Diskriminierungen. Je höher sie in den Hierarchien klettern, desto häufiger.

Die Karrierewege der befragten Frauen zeichnen sich mehrheitlich durch Geradlinigkeit aus. Zugleich wird jedoch auch von — mit jeder Qualifikationsstufe zunehmenden — geschlechtsspezifischen Diskriminierungserfahrungen in der Institution Universität berichtet. Mehr als die Hälfte der Frauen hat Kinder; sie berichten von besonderen Belastungen und Diskriminierungen. In der wissenschaftlichen Community fühlen die Mathematikprofessorinnen sich akzeptiert, sie sind mit der Resonanz auf Publikationen und Vorträge zufrieden. Aber es gibt auch Hinweise auf Ausschlussmechanismen.

Im Folgenden sollen die Formen der Förderung an der Universität und ihre Bedeutung sowie die geschlechtsspezifischen Diskriminierungserfahrungen genauer diskutiert werden.

Förderung und Unterstützung:

Für das Studium und die Promotionsphase werden der Betreuer, in seltenen Fällen eine Betreuerin, und häufig die Arbeitsgruppe als unterstützend genannt. Dabei kommt es auf die Möglichkeit zu ernsthaften Gesprächen an, darauf, akzeptiert und ernst genommen zu werden und zu erleben, dass der eigenen Leistungsfähigkeit Vertrauen von erfahreneren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen entgegengebracht wird.
Generell geht es also um eine ermutigende und motivierende persönliche Arbeitsumgebung. Es folgen einige Beispiele aus verschiedenen Interviews:

„Mein Doktorvater hat mich so mental in dem Sinne unterstützt, dass er mir immer klargemacht hat, er denkt, ich kann das. Das ist auch unheimlich wichtig, das braucht man.”

„…weil sie (die betreuende Hochschullehrerin, Anm. d. Verf.) mir einfach auch den Mut und die Kraft gegeben hat, das immer wieder durchzustehen, weil man ja doch Frustphasen hat.”

Von den befragten Frauen waren 80 % während ihres Studiums studentische Hilfskraft oder Tutorin, von denjenigen mit BRD- Ausbildungsbiografie sogar 95 %. Eine solche Tätigkeit trägt zur Ausbildung des Interesses am späteren Forschungsgebiet bei, sie bietet aber auch Zugang zu weiterer Unterstützung und systematischer Förderung und vermittelt Anerkennung, wie die folgenden Beispiele zeigen:

„Da hab ich an einem Forschungsprojekt mitgearbeitet, wo ich mich als Wissenschaftlerin auch ernst genommen gefühlt habe, zwar sicherlich als forschende Studentin, aber trotzdem, wo ich etwas selber auch tun konnte, eigenständig etwas bearbeiten konnte. Das sind sicherlich Menschen gewesen, die mir einerseits deutlich gemacht haben, du kannst dir auch zutrauen, wissenschaftlich zu arbeiten, und die mir auch den Freiraum gegeben haben, um das zu tun.”

Als Förderung wird also – so kann man die vielen verschiedenen Aspekte zusammenfassen – die Einbeziehung in fachliche Strukturen und Institutionen erlebt. Außerdem ist es von großer Bedeutung, dass die …… Zugleich wird dadurch Rückhalt und Anerkennung erfahren, eine wichtige Stütze für fachbezogenes Selbstbewusstsein.

Geschlechtsspezifische Diskriminierungserfahrungen

Auf die Frage nach Situationen, in denen es einem Mann anders ergangen wäre, berichten insgesamt 18 % für die Zeit des Studiums3 von Fällen, in denen es einem Mann besser ergangen wäre, 35 % für die Zeit der Promotion, 44 % für die Zeit der Habilitation und 45 % für den weiteren Weg.

In den frühen Karrierestufen geht es seltener um direkte Behinderung als um den Eindruck, dass die Akzeptanz in Frage gestellt wird. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Kind vorhanden ist.

„Ganz einfach, ich meine, einem Mann wäre nie gesagt worden, ‚Du kannst das nicht, weil du ein Mann bist’, was man mir halt andersrum durchaus genauso in diesen Worten, also ‚Du kannst das nicht, weil du eine Frau bist’ gesagt hat. Dieses Gefühl der Verunsicherung, das dadurch entsteht, das kriegt man nicht einfach so raus. Also z.B. das Arbeiten mit Ingenieuren, das war immer ganz deutlich, das hat man mir nie zugetraut.”

„Einer kam mal in mein Zimmer und sagte mir dann so, also eins müsse er mir jetzt doch mal sagen, er dächte, dass eine Frau mit Kindern nicht in die Mathematik gehört, sondern nach Hause zu ihren Kindern.”

Auf dem weiteren Weg geht es durchweg um Diskriminierung im Zusammenhang mit Berufungsverfahren.

„Bei meinem allerersten Vorstellungsgespräch bin ich zum Beispiel gefragt worden, was für ein Verhältnis ich zu Computern hätte. Dann, ob ich unter Zeitdruck arbeiten könnte. Die einzige vernünftige Antwort wäre gewesen: ‚Was glauben Sie denn, wie ich mit drei Kindern habilitiert habe?’.”

„Einmal, in der Berufungskommission, bin ich im Gespräch gefragt worden ‚Junges Fräulein, waren Sie denn schon mal auf einer internationalen Konferenz?’.”

„Frauen, die werden schon kritischer angeguckt. Oftmals auch einfach aus Alibifunktion wird man eingeladen. Also ich habe da wirklich Beispiele erlebt, dass man mir sagte, ‚ja, wir laden Sie ein, aber wollen Sie wirklich kommen? Wir laden Sie nur ein, weil wir eine Frau einladen müssen’.”

Ein wichtiger Aspekt der Diskriminierungserfahrungen – neben den zum Teil verletzenden Unterstellungen und Zurechtweisungen – liegt wohl darin, dass sie die Einbindung in die Community in Frage stellen, also Ausgrenzung bedeuten können.

Schlussfolgerungen

Die einzelnen Studien ergänzen sich in ihren zentralen Ergebnissen: Die Professorinnen-Studie zeigt, wie wirksam persönliche Förderung und Unterstützung für den Erfolg einer akademischen Karriere im männerdominierten Fachgebiet Mathematik sein kann. Die zitierte AbsolventInnen-Studie zeigt, dass schon für die Promotion eine Förderung durch DozentInnen eine wichtige Voraussetzung ist. Die StudentInnen-Studie macht dagegen deutlich, dass ohne eine solche Förderung und Unterstützung das fachbezogene Selbstvertrauen und damit auch Interesse von Frauen an einer akademischen Weiterbeschäftigung mit Mathematik fragil bleiben kann.

Das fachbezogene Selbstvertrauen von Frauen muß gestärkt werden. Konkrete, individuelle Fördermaßnahmen und v.a. positive unterstützende Signale können helfen.

Dabei muss hier offen bleiben, ob das Phänomen, das hier als Mangel an fachbezogenem Selbstvertrauen benannt wird, nicht als ein Konstrukt anzusehen ist, das im Interaktionsprozess unter Beteiligung der jeweiligen Frau hergestellt wird und das auch die Funktion hat, die Identität als weibliche Person hervorzuheben.

Der Wissenschaftsrat hat darauf hingewiesen, dass die gängige Form der Nachwuchsrekrutierung eine entscheidende Barriere für Wissenschaftlerinnen darstellt, da sie sich de facto vor allem nach dem Prinzip der homosozialen Kooptation vollzieht (Wissenschaftsrat 2007: 23f). Die für eine erfolgreiche Entwicklung notwendige Förderung käme damit vor allem der sozialen Gruppe zugute, die das gleiche Geschlecht wie die derzeitige Mehrheitsgruppe hat, also den Männern. Diesem Problem kann nur mit einer offensiven Gegenstrategie entgegengewirkt werden, mit der Frauen schon früh im Studium durch individuelle Ansprache, persönliche Kontakte und Einbindung als studentische Hilfskraft nachhaltige Ermutigung erfahren.

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