Die Liste der Frauen, die in der über hundertjährigen Geschichte des Nobelpreises vom Stockholmer Komitee ausgezeichnet wurden, ist erschreckend kurz. In den letzten Jahren sind zwar in den Kategorien Literatur und Frieden einige Frauen hinzugekommen, in den Naturwissenschaften sucht man Wissenschaftlerinnen aber fast vergebens.

In der Medizin ist Françoise Barré-Sinoussi, die gestern zusammen mit ihrem Kollegen Luc Montagnier geehrt wurde, gerade einmal die achte Frau. In der Chemie kommt man lediglich auf drei Forscherinnen und in der Physik sind es genau zwei Wissenschaftlerinnen, die seit 1901 einen Nobelpreis zugesprochen bekamen. Dabei war es gleich 1903 Marie Curie, die für ihre Arbeiten zu radioaktiven Strahlungsphänomenen ausgezeichnet wurde.

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Danach dauerte es aber ganze 60 Jahre, bis wieder eine Frau an der Reihe war: und – man traut es sich kaum auszusprechen – die theoretische Physikerin Maria Goeppert-Mayer war auch die letzte Frau, die mit Nobelpreiswürden in der Physik ausgestattet wurde. Das war im Jahr 1963.

Eine Familientradition im Zeichen der Wissenschaft

Geboren wurde die außergewöhnlich scharfsinnige Wissenschaftlerin im schlesischen Kattowitz am 28. Juni 1906. Und – das muß auch erwähnt werden – sie war von Geburt an ungemein privilegiert. Nur nur daß sie einen hellwachen Geist in die Wiege gelegt bekam, nein, sie wurde auch in einer Familie hineingeboren, der Bildung und Wissenschaft seit Generationen alles bedeutete.

“Werde nie eine Frau, wenn du groß bist.”

Ihr Vater Friedrich Goeppert – der später Professor für Kinderheilkunde in Göttingen war – war sage und schreibe der siebte Hochschullehrer in direkter Folge in der Familie Goeppert. Und ihr Vater – so ist überliefert – schärfte der heranwachsenden Maria auch ein: “Werde nie eine Frau, wenn du groß bist.”


Um diese Mahnung richtig zu verstehen: Professor Goeppert sah den Platz seiner talentierten Tochter nicht am Herd und in der Familie.

Maria studierte dann auch zunächst Mathematik, dann Physik. Beides in Göttingen – zu jener Zeit in den späten 20er Jahren die allererste Adresse. Max Born, James Franck und viele andere spätere Nobelpreisträger lehrten dort und auch der große David Hilbert hatte seinen Lehrstuhl in Göttingen.

Maria war bald von der Quantenmechanik so begeistert, daß sie die Mathematik links liegen ließ und sich der Physik hingab. 1927 lernte sie den Physikstudenten und Kommilitonen Joe Mayer kennen und freundete sich mit ihm an. 1930 promovierte Maria Goeppert bei Max Born über Doppel-Photonen-Prozesse und heiratete Joe Mayer.

Der Weg in die USA, der Weg in die zweite Reihe

Als dieser kurz darauf einen Ruf an die Johns-Hopkins-Universität Baltimore erhielt, siedelte das junge Paar nach Amerika über. Joe hatte eine Professur für Chemie inne – und wie es damals üblich war (Gerty Cori erduldete dasselbe Schicksal), durfte Maria nicht gleichzeitig an der Uni beschäftigt werden.

Maria Goeppert-Mayer trat zunächst ins zweite Glied zurück, bekam 1933 und 1938 zwei Kinder, arbeitete aber bisweilen zusammen mit ihrem Mann an physikalisch-mathematischen Problemen. So schrieben sie zusammen das Lehrbuch “Statistische Mechanik”, das ein Klassiker wurde.

Viele Jahre lang stellte Maria Goeppert-Mayer ihre Ambitionen zurück. Dann erst konnte sie ihre Scharfsinnigkeit beweisen…

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Maria am Atomwaffenprogramm der Amerikaner mit und dann nach Kriegsende erhielt sie endlich eine ordentliche Professur an der Universität von Chicago.

Nun konnte sie endlich beweisen, wie brillante sie eigentlich war. 1949 fand sie – angeregt durch Enrico Fermi – eine Lösung für die sog. “magischen Zahlen”, die für die Stabilität der Atomkerne verantwortlich gemacht wurden. Sie entwickelte ihre Theorie vom zwiebelartigen Aufbau des Atomkerns, den man sich bis zu diesem Zeitpunkt ohne Struktur vorgestellt hatte.

Für diese Arbeit wurde ihr zusammen mit dem deutschen Physiker J. Hans D. Jensen eine Hälfte des Nobelpreises für Physik zuerkannt.