“Ohne Grenzen ist keine Erkenntnis möglich.” – Auf den ersten Blick eine seltsame Feststellung, sind Grenzen doch im Alltag eher Hindernisse, die das Vorwärtskommen erschweren. Dennoch sind wir als Menschen auf Grenzziehungen angewiesen. Spätestens seit Descartes’ berühmtem Ausspruch ist das Subjekt in den Mittelpunkt seiner eigenen Welt gerückt.
Von Daniel Rübel
Damit verbunden ist eine Entwicklung, die im deutschen Idealismus mit Fichtes Philosophie ihren Höhepunkt erreicht hat: Wir bestimmen uns als mit uns selbst identisch (Fichtes Ich gleich Ich) und, daraus folgernd, als nicht identisch mit unserer Umwelt (bei Fichte Ich ungleich Nicht-Ich). Aus diesem “absoluten Wissen” versucht Fichte im weiteren Verlauf alles andere Wissen und alle möglichen Wissensoperationen abzuleiten. Dass ihm das nicht ganz überzeugend gelingt, ist für die Überlegung zu Grenzen nicht weiter wichtig.
Worauf es ankommt, ist die Grundüberlegung, die hinter diesem Gedanken steht: Um etwas zu begreifen, um etwas für den Menschen verstehbar zu machen, muss man es abgrenzen von anderem. Wissenserwerb funktioniert also nur, wenn man das, was man wissen möchte, abgrenzen kann.
Wissenserwerb funktioniert also nur, wenn man das, was man wissen möchte, abgrenzen kann.
Durch die Grenzziehung, durch eine klare Begrenzung auf etwas, kann erst klar werden, worüber man sich neue Erkentnisse erhofft. Erst aus dem sauber Bestimmten, dem, was gewiss ist, kommt man weiter und kann auf das noch Unbekannte, aber als Unbekanntes durch die Grenze schon Mitbestimmtes ausgreifen.
Denn durch das Ziehen der Grenze definiert man nicht nur das “Innerhalb”, sondern auch das “Außerhalb”. Erst wenn man diese Definition vornimmt, kann es überhaupt zu einem Fortschritt kommen. Das Weiterkommen, der Fortschritt ist als Grenzübertretung nur dann möglich, wenn es eine solche Grenze zwischen den Bereichen “Bekanntes” und “Unbekanntes” gibt. Nur so ist ein Weiterkommen erfahrbar. Ohne diese Unterscheidung wäre es nicht möglich, zu benennen, was man weiß – und was nicht.
Der Bereich unserer Welt, der im altäglichen Sprachgebrauch am häufigsten mit der Unendlichkeit identifiziert wird, der Weltraum, hat spannenderweise eine zweite Zuschreibung: Das Nichts. Grenzenloses Erkennen-Wollen verendet genauso im Nichts. Der Versuch, alles zu verstehen, alles zu begreifen, ist unmöglich. Das allgemeinste Wissen ist das unspezifischste und kann nicht mehr angewandt werden.
Zwischen den Dingen ist der wahre unendliche Raum, dort, wo die Betrachtung immer feiner werden kann und immer besser von Vorhandenem unterschieden werden kann. Dort ist der Bereich, in dem Wissen gewonnen werden kann – durch Grenzverschiebung, Grenzüberschreitung und Neubestimmung dieser Grenzen.
(Redaktion: KP/MS)
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