Eine Synagoge haben wir nicht gesehen bei der Führung durch die Stiftung „Neue Synagoge – Centrum Judaicum“, die für 13 angemeldete Historikertagsbesucher vom Direktor des Zentrums Dr. Hermann Simon und seiner Stellvertreterin Frau Dr. Chana Schütz durchgeführt wurde. Allerdings haben wir erfahren, dass es im Gebäude eine kleine Synagoge gibt, während das mit 3.200 Sitzplätzen ehemals größte jüdische Gotteshaus Deutschlands in der Oranienburger Straße 28/30 in Berlin nach den schweren Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg bis auf die Eingangsgebäude nicht wieder aufgebaut wurde.
Von Kaya Presser
In diesen Eingangsgebäuden im maurischen Stil befindet sich heute ein Museum, das zusammen mit der Freifläche und dem mit Steinen nachgelegten Grundriss der 1866 eingeweihten „Neuen Synagoge” gleichzeitig auch Gedenkstätte und Denkmal ist. Andererseits erklärte uns Herr Simon auch, dass er selbst an diesem Abend anlässlich des jüdischen Sukkot-Festes in eine Synagoge gehe und dass dies für ihn nicht so sehr eine Angelegenheit des Glaubens als vielmehr eine der Zugehörigkeit zu einer Tradition sei. Er stelle sich vor, dass sein Vater an diesem Abend in die Synagoge gegangen wäre und er möchte nicht, dass dies bei seinem Vater aufhört.
Geschichte bewahren
Dieser Bewahrung der Geschichte und Tradition hat sich auch das Centrum Judaicum mit seiner 1995 eröffneten Dauerausstellung „Tuet auf die Pforten”, seinen Wechselausstellungen, seinem umfangreichen Archiv, seiner Bibliothek und verschiedenen kulturellen Veranstaltungen verschrieben. Man will vermitteln, „was hier war und was hier passiert ist” und legt dabei einen Schwerpunkt auf die Geschichte des Hauses und die des jüdischen Lebens in Berlin.
In der Eingangshalle befindet sich etwa ein in einer anderen Synagoge wiedergefundener Toravorhang (Foto links), der Menschen mit Hebraicum verunsichern könnte: zwar sind die Buchstaben hebräisch, die Sprache, in der gestickt wurde, ist allerdings Deutsch. In der Dauerausstellung befindet sich auch eine großformatige Fotografie des anlässlich eines Festes vollbesetzten Innenraums der Synagoge um 1935. Die interessierten Historiker erfuhren, dass Besucher der Ausstellung hier immer wieder Verwandte zu erkennen meinen, was aber noch nie einer Nachprüfung standgehalten habe. Zeitzeugen sind eben doch die schlimmsten Feinde des Historikers.
Zeitzeugen sind eben doch die schlimmsten Feinde des Historikers.
Danach wurden die anwesenden Historiker (unter anderem Professor Martin Kintzinger) von einem interessanten Exponat zum nächsten geführt, etwa zu einer Veranstaltungsankündigung von 1938 für Regina Jonas, der weltweit ersten Rabbinerin. Rabbinerin wollte sie allerdings nicht genannt werden, sondern vielmehr „Fräulein Rabbiner Jonas”. Der Nachlass dieses Fräuleins gehört zum Archiv des Centrum Judaicum, allerdings hat auch Dr. Simon bewusst nicht alles gelesen, denn manches – sagt er – gehe ihn auch einfach nichts an.
Sonderaustellung: Überlebende der Schoa
Die Führung durch die Sonderausstellung mit Fotografien von Aliza Auerbach, die bisher schon 1000 Besucher angelockt hat und damit ein großer Erfolg ist, wie Herr Simon stolz betont, übernahm Frau Schütz. Unter dem Titel „Überlebende – Survivors – ניצולים” gibt es hier Fotografien zu sehen, die Überlebende der Schoa zeigen, die heute in Israel leben. Sie werden einerseits einzeln in Schwarz-Weiß-Fotografien, andererseits im Kreis ihrer Familien in großformatigen Farbfotografien porträtiert. So geben die Bilder auch Auskunft über heutiges Leben in Israel in all seiner Verschiedenartigkeit und gleichzeitig über eine Gemeinsamkeit in der Gruppe der Überlebenden: alle haben eine Familie gegründet. Persönlich oft als Triumph über das Schicksal empfunden, gibt dies auch dem Betrachter Hoffnung – es geht weiter.
Obwohl keiner der Porträtierten aus Deutschland nach Israel einwanderte, ist die überaus eindrückliche Ausstellung mit Berlin verknüpft: zur Abdunkelung eines Fensters wurde ein Vorhang benutzt, auf dem die Namen der zehntausenden von ermordeten Berliner Juden stehen, wobei die Namen der Überlebenden weiß hervorgehoben sind.
Ambivalente Stolpersteine
Im Anschluss standen die Leiter der Stiftung Neue Synagoge noch für Nachfragen der Besucher zur Verfügung. Nach seiner persönlichen Meinung zu den Stolpersteinen befragt, verlieh Herr Simon seinem Unbehagen Ausdruck: hier würden Menschen mit Füßen getreten, die in ihrem Leben schon genügend getreten wurden, hier werde Gedenken patentiert und vermarktet. Andererseits wolle er niemandem eine Form des Gedenkens vorschreiben oder verbieten, es handle sich eben um einen hilflosen Versuch, ein Geschehen begreifbar zu machen, das man nicht begreifen könne.
Frau Schütz und Herr Simon erzählten auch Genaueres zur jüdischen Gemeinde Berlins. Gab es vor der Schoa noch 170.000 Juden in Berlin, so hat die Gemeinde heute nur noch 11.000 Mitglieder, gab es in den 20er Jahren über 100 Betstuben, gibt es heute immerhin wieder etwa acht Synagogen. Die Ostberliner Gemeinde war mit circa 200 Mitgliedern sehr überschaubar, zur Westgemeinde gehörten immerhin um die 3.000 Personen. Heute sprechen 60-75% der jüdischen Gemeinde Berlins Russisch, weshalb das Gemeindeblatt „Jüdisches Berlin” auch zweisprachig in Russisch und Deutsch erscheint. Es geht weiter.
Kaya Presser ist Historikerin und Germanistin aus München. |
(Redaktion: KP/MS)
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