Dass der von vielen als trocken empfundene Forschungsbereich Wirtschaftsgeschichte immer mehr in den Blickwinkel des historisch interessierten Fachpublikums rückt, ist einer der Eindrücke, die sich am ersten Vormittag des 48. Deutschen Historikertages sammeln ließen: Schnell nämlich war der Seminarraum überfüllt, in dem fünf Wissenschaftler ihre Beobachtungen und Thesen zur Entstehung und Entwicklung des modernen Unternehmens in der Zeit von 1400 bis 1900 vorstellten.

Von Philipp Meller

Der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Ralf Banken von der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt eröffnete die Sektion, in der neben exemplarischen Phänomenen und chronologischen Entwicklungen auch Kontroversen um Begrifflichkeiten und Einordnungen Platz finden sollten. In seiner Einführung wies Banken auch auf Forschungstrends hin. So habe die Unternehmensgeschichte vor allem in den letzten 25 Jahren an Attraktivität gewonnen. Wie in Deutschland konzentriere sich jedoch auch die internationale Forschung der business history stark auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Perspektive auf die Entstehungszeit moderner Unternehmen zu lenken und mit der Suche nach Grundregeln für die Klassifizierung dieses historischen Phänomens zu verbinden, galt somit auch als Ziel und Leitfrage der gesamten Sektion.

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Die Veranstaltung zur Geschichte von Unternehmen war gut besucht. Am Pult stehend der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Ralf Banken.


Handel und Gewerbe der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft

Der erste Vortragende Michael Rothmann knüpfte direkt an diese Erwartungen an. Der Gießener Mediävist beschrieb anhand dreier unterschiedlicher Beispiele die Erscheinungsformen von Handel und Gewerbe in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft. Kernelement war dabei der Markt, auf dem von der Überschussproduktion kleinbäuerlicher Familien bis hin zu den spezifisch marktorientierten Gütern des städtischen Gewerbes eine große Bandbreite von Produkten angeboten wurde. Rothmann vermied es, in seinem Vortrag eine konkrete Definition des mittelalterlichen Unternehmers zu entwerfen, sondern nannte stattdessen eine Vielzahl von Marktteilnehmern und Wirtschaftsformen wie etwa socii, Verlagssystem, domus oder Familie, die in verschiedener Ausprägung bereits Kennzeichen moderner Unternehmerschaft waren.

Speziell griff der Historiker, der über Frankfurter Messen im Mittelalter promoviert hat, drei konkrete Beispiele auf. Anhand der Grafen von Wertheim wurde der Ausbau von effizienter Wirtschaftsnutzung durch den Adel herausgestellt. Die geschlossene Verarbeitungskette der agrarischen Erzeugnisse (Weinbau, Schafzucht) bis hin zur Vermarktung von Wein und Wolle auf den Messen sicherte dem Adel die Finanzierung der anfallenden Kosten seiner Herrschaft.

Der Bergbau ist als innovativste Branche des Mittelalters anzusehen.

Als zweites Beispiel wählte Rothmann den „innovativsten Zweig der mittelalterlichen Wirtschaft” aus, den Bergbau. Hier wurde besonders die Kooperation zwischen Gewerk und Kapitalgebern wie den Fuggern erwähnt. Die Compagnia dei Bardi aus Florenz markierte den Dienstleistungsbereich. Als Bank mit 25 Filialen und Kontoren in ganz Europa baute das Familienunternehmen im Spätmittelalter ein zunehmend institutionalisiertes Netzwerk auf. Der Untergang der Bank lag schließlich in äußeren Faktoren begründet, was zeigt, dass die Abhängigkeit der Unternehmen von naturräumlichen und politischen Rahmenbedingungen im Mittelalter und weit darüber hinaus in großen Teilen erhalten blieb.

Die ökonomischen Akteure im 18. und 19. Jahrhundert

Stefan Gorißen beleuchtete im folgenden Vortrag die ökonomischen Akteure im 18. und 19. Jahrhundert. Er nahm vor allem die Durchführung wirtschaftlicher Transaktionen in den Blick. Dabei wurde den Geschäftspartnern stets sogenanntes opportunistisches Verhalten unterstellt. Dies bedeutet, dass bei fehlender Überwachung der Akteure, diese das Überschreiten einer bestehenden Regel in Kauf nehmen, wenn sie sich davon einen eigenen Nutzen versprechen. Vor diesem Hintergrund stand für Gorißen die Kontrollfunktion zur Wahrung der Produktqualität im Vordergrund. Gleichzeitig verdeutlichte er am Beispiel des schlesischen Leinengewerbes, dass diese Überwachungsmaßnahmen nicht zwangsläufig eingeführt wurden. Vielmehr wog man ab, ob solche Investitionen überhaupt im Verhältnis zum Nutzen standen. In Schlesien entschied man sich gegen die Etablierung von Kontrollinstitutionen. Ihr Aufwand und ihre Kosten erschienen nicht rentabel, da die Qualität des Produktes in diesem Gewerbe nur eine untergeordnete Rolle spielte.

Der bereits erwähnte Ralf Banken ging der Frage nach, wie die Institutionalisierung moderner Unternehmen im 19. Jahrhundert erfolgen konnte. Dabei ging er auf die Kodifikation des Gesellschafts- und Handelsrechts durch den in Frankreich eingeführten Code de Commerce ein und veranschaulichte die zunehmende Transpersonalisierung der Institution des Unternehmens anhand der „Hüttengewerkschaft & Handlung Jacobi, Haniel & Hussen”. Hier stellte er vor allem die Regelungen zwischen den Anteilseignern und die Frage nach den Personen „hinter der Firma” heraus.

Aktiengesellschaften – historisch betrachtet

Als Vertreter der Copenhagen Business School kam Alfred Reckendrees zum Historikertag. Auch er verdeutlichte sein Thema – das System der Aktiengesellschaft – durch ein historisches Beispiel. Reckendrees wählte dafür die Wirtschaftsregion Aachen, die im 19. Jahrhundert mit ihrer fortschrittlichen Organisation der Bergbau-, Tuch- und Metallindustrie eine Vorreiterrolle in Preußen einnahm. Den Anfang des Phänomens der Aktiengesellschaften verlegte Reckendrees in die Stadt Eschweiler im Aachener Steinkohlerevier. Hier gründete Christine Englerth mit dem Eschweiler Bergwerks-Vereins 1835 den Vorläufer einer Aktiengesellschaft. Um ihr Ziel zu erreichen, den Familienbesitz als Ganzes zu erhalten und trotzdem alle Kinder am Erbe teilhaben zu lassen, wurden diese als Anteilseigner des Vereins eingetragen.

Der ersten Aktiengesellschaft Preußens ging es weniger um eine Verteilung von Risiken, sondern von Gewinn.

Die erste Aktiengesellschaft Preußens in der Aachener Region war also nicht primär zum Zweck der Verteilung von Risiken auf mehrere Anleger gegründet worden, sondern um mehrere Personen an dem Kapital und Gewinn des Unternehmens zu beteiligen. Dies lässt sich auch daran beobachten, dass die ersten Aachener Aktiengesellschaften keine gefährlichen Handelsaktionen in Übersee tätigten, sondern weiterhin die lokale Wirtschaft vor Augen hatten. Kennzeichnend für diese neue Form des Unternehmens ist die große Rolle von Privatbanken wie das Bankhaus Oppenheim in der Rheinprovinz und das Ausschöpfen von ausländischen Investitionen.

Drei Grundregeln für ein modernes Unternehmen

Clemens Wischermann, seit 1999 Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Konstanz, fasste in seinem kritischen Kommentar kurz vor Ende der Sektion die Ergebnisse der einzelnen Vorträge zusammen, markierte aber auch eigene Standpunkte. So entwarf er drei grobe Grundregeln für ein modernes Unternehmen: Produktion, Koordination, Kooperation. Während Produktion Wachstum und Arbeit umfasst, richtet sich der Bereich Koordination auf neue Formen von Hierarchie, Abstimmung und die Herausarbeitung günstiger Produktionsschritte. Die Kooperation greift den Aspekt Gorißens von der Qualitätssicherung auf sowie die sozialen Beziehungen innerhalb eines Unternehmens. Die nachfolgende Diskussion der Experten untereinander und mit dem Publikum zeigte noch einmal deutlich die unterschiedlichen Perspektiven auf das historische Phänomen des modernen Unternehmens und einige der kontroversen Standpunkte. Als prominenter Zuhörer äußerte der renommierte Sozialhistoriker Jürgen Kocka den Wunsch, die Handelsunternehmen noch mehr zu berücksichtigen.

Insgesamt gelang es den Vortragenden der Sektion, den allgegenwärtigen Begriff vom modernen Unternehmen in den Kontext seiner Entstehung und die Vielfalt seiner Erscheinungsformen zu stellen. Auch wenn nicht alle Fragen beantwortet werden konnten, blieb neben vielen einzelnen Erkenntnissen die Ermutigung, dass es sich durchaus lohnt, die Geschichte des modernen Unternehmens als historisches Phänomen weiter zu erforschen.

(Redaktion: KP/MS)