Fragen nach der Bewertung und Analyse des ökonomischen Umbaus der 1970er Jahre standen im Fokus der gut besuchten Sektion am Donnerstagnachmittag. Dabei ging es ebenso um die kritische Reflexion bisheriger Deutungen wie auch um die Suche nach geeigneten Begriffen und Konzepten zur Historisierung wirtschaftlicher Umbrüche.

Von Albrecht Franz

i-e4054a89ef359e3412a114876b91f271-Fengler.jpgMit einem Bild der Sprengung des Münchner Agfa-Gebäudes 2008 (siehe Foto rechts) eröffnete Silke Fengler ihren Vortrag zum Niedergang der deutschen Fotoindustrie seit den 1970er Jahren. Das Bild steht symbolisch für das Ende eines Prozesses, der häufig mit dem Begriff der „Deindustrialisierung” zusammengefasst wird. Gemeint ist die Verschiebung einer von „klassischer” Industrie geprägten Wirtschaft hin zu einer Wirtschaftsform, in der dem Dienstleistungssektor eine dominante Stellung zukommt. Diesem Transformationsprozess, der sich in der Bundesrepublik zwischen den späten 1960er und den 1990er Jahren vollzog, fiel auch die erwähnte Fotoindustrie zum Opfer: Zunehmender internationaler Wettbewerb, neue Kundeninteressen und eine strukturelle Unfähigkeit, auf diese Veränderungen zu reagieren, ließen die deutschen Hersteller von Foto-Produkten schließlich in der Bedeutungslosigkeit versinken.


Zu zeigen, dass es sich bei dieser Branche jedoch gerade nicht um ein Beispiel handelt, das die Entwicklung einer ganzen Volkswirtschaft widerspiegelt, war eines der Ziele der Sektion. André Steiner wies in seiner Einleitung darauf hin, dass die bisherige Interpretation des wirtschaftlichen Strukturwandels vor allem durch eine makroökonomische Perspektive geprägt ist, die der Differenzierung bedarf. Um die bestimmenden Faktoren des Umbruchs und deren jeweilige Bedeutung auf internationaler wie lokaler Ebene analysieren zu können, sei der Blick auf einzelne Branchen oder Unternehmen unabdingbar.

Die makroökonomische “Brille” ist blind für Bewältigungsstrategien einzelner Branchen.

Eingelöst wurden diese Forderungen an die Sektion anhand von weiteren Fallstudien aus dem Bereich des Maschinenbaus (Ralf Ahrens), der Automobilindustrie (Ingo Köhler) und der Tourismus-Branche (Jörg Lesczenski), die zu den Aufsteigern im Dienstleistungssektor zählt. Im Fokus standen die verschiedenen unternehmerischen Bewältigungsstrategien für den Strukturwandel. Zentrale Merkmale des Transformationsprozesses sollten auf diese Weise bestimmt und deren jeweilige Bedeutung zur Diskussion gestellt werden.

Der Konsument als Akteur ökonomischen Wandels?

Allen vorgestellten Branchen war der Versuch gemein, durch technische Innovationen oder eine Veränderung der Produktpalette im verschärften internationalen Wettbewerb zu bestehen. Eine naheliegende Reaktion lag auch in der verstärkten Standardisierung und Rationalisierung der Produktion. Darüber hinaus rückte besonders ein Faktor in den Mittelpunkt der Diskussion: die Kommunikation mit den Kunden und die Rolle, die diesem für die Neuausrichtung der Unternehmensstrategien zukam. Ralf Ahrens konnte beispielsweise für den Maschinenbau anhand der Beschäftigtenstruktur eine neue Kundenorientierung feststellen: Denn der Anteil der Angestellten gegenüber dem der in der Produktion Beschäftigten stieg stetig an. Dies sei auch auf eine zunehmende Professionalisierung im Bereich Verkauf und Marketing zurückzuführen, also der Einrichtung oder Verstärkung von Abteilungen, deren Aufgabe weitestgehend den Bereich der Konsumenten betreffen. Auch in der Tourismusindustrie stellte die verstärkte Erfassung der Kundeninteressen – und eine entsprechende Orientierung daran – eine wichtige Strategie dar. Jörg Lesczenski wies darauf hin, dass in diesem Fall der „unberechenbare Kunde” als ein zentrales Problem wahrgenommen wurde. Marktforschung und Marketing wurden daraufhin zunehmend als Instrumente genutzt, um schneller und flexibler auf entsprechende Wünsche eingehen zu können. Auch die Einrichtung von einheitlichen Buchungssystemen zählte zu den Maßnahmen der Reiseunternehmen.

Plötzlich wurde ausgerechnet der Opel Manta, vormals Inbegriff des (männlichen) Traums vom Rennfahrer, auf einmal mit seiner Wirtschaftlichkeit beworben.

Besonders plastisch wurde der „Krisenfaktor Käufer” am Beispiel der Automobilindustrie herausgearbeitet. Nachdem seit den späten 1960er Jahren der Bedarf an der Bereitstellung von Mobilität weitgehend gedeckt war, wurden Emotionalität und Status zu wichtigen Kaufkriterien, PS-starke Mittelklassewagen lösten den Kleinwagen in der Produktionsstatistik ab. Diese Strategie rächte sich, als im Zusammenhang mit der ersten Ölkrise die kritische Auseinandersetzung mit der massenhaften Nutzung des Autos zunahm. Die Tatsache, dass der neue Trend zu Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Automobils von den Herstellern zunächst nicht mit entsprechenden Modellen bedient werden konnte, führte zu teilweise seltsam anmutenden Reaktionen. So wurde ausgerechnet der Opel Manta, vormals Inbegriff des (männlichen) Traums vom Rennfahrer, auf einmal mit seiner Wirtschaftlichkeit und seinem Alltagsnutzen beworben. Der Strukturwandel stellte sich in diesem Fall in hohem Maße als ein Wandel der Nachfragepräferenzen dar.

Strukturwandel als Frage historischer Wahrnehmung?

Es bleibt festzuhalten, dass der Kunde bzw. die Käuferpräferenzen, von den Unternehmen als Krisenfaktor wahrgenommen wurden und massiven Veränderungsdruck erzeugten. Eine stärkere Ausrichtung an den Interessen der Konsumenten stellte quer durch die Branchen eine wichtige Bewältigungsstrategie dar. Die Frage nach dem Übergang von einem Verkaufs- zu einem Käufermarkt als ein Merkmal des Strukturwandels war denn auch ein wichtiger Diskussionspunkt der Sektion, in dem jedoch keine Einigkeit erzielt werden konnte. Ohne Zweifel war der Konsument nicht der auslösende oder bestimmende Faktor des wirtschaftlichen Umbruchs der 1970er Jahre und auch nicht der einzige Fluchtpunkt unternehmerischer Lösungsstrategien. Dennoch verweist er auf eine nicht zu vernachlässigende soziale Ebene dieser ökonomischen Transformation: auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die mit den wirtschaftlichen einhergingen und auf die Frage nach der Bedeutung gesellschaftlicher Leitbilder für den Verlauf und die Bewertung des Umbruchs.

In einem pointierten Kommentar wies Andreas Wirsching auf diese Ambivalenzen in der Wahrnehmung des ökonomischen Umbruchs hin und damit indirekt auf dessen soziokulturelle Komponente. Schon das Konzept des „Strukturwandels” unterliege einer Narrativität, die den Bruch gegenüber den langfristigen Ursachen und Pfadabhängigkeiten unternehmerischen Handelns betone. Hinsichtlich der analytischen Erfassung des ökonomischen Umbaus der 1970er Jahre bleibt daher weiterhin nach den geeigneten Begriffen und Konzepten zu fragen – insbesondere auch im Hinblick auf den internationalen Vergleich.

(Redaktion: KP/MS/CJ)