Professor Peter Heine, Lehrbeauftragter an der Gastgeberuniversität des 48. Historikertags, eröffnete die Sektion „Boundaries and crossing boundaries in Islamic culinary culture” mit seinem Vortrag „Migration und kulinarischer Wandel”.

Von Christina Thenuwara

Kulinarische Besonderheiten sind gemeinschaftsprägend und grenzziehend zugleich.

Einleitend ging er auf er auf klassische Stigmata ein, die der kulinarischen Grenzziehungen zwischen Nationen, aber auch anderen Gemeinschaften dienen. Die Franzosen sind nicht nur bei den Briten als „Froschfresser” bekannt und die Deutschen werden im europäischen Ausland gerne als „Kartoffeln” bezeichnet. Die Grenzmetaphorik spiegelt sich darüber hinaus sowohl im Röstigraben, der die französische von der deutschen Schweiz trennt, als auch im „Weißwurstäquator” wider, welcher zwischen Bayern und Norddeutschland zu verorten ist. Dass diese identitätsstiftenden Grenzen der kulinarischen Kultur auf der anderen Seite auch längst überwunden sind, demonstrierte Professor Heine am Beispiel des Einflusses der mediterranen und mittelöstlichen Küche auf die deutsche Cuisine.

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Anhand des Studiums hiesiger Kochbücher der Nachkriegszeit lässt sich feststellen, wie mediterrane Lebensmittel und orientalische Gerichte stetig Einzug hielten in die Rezeptsammlungen der deutschen Hausfrauen. Seit der Einwanderung von Gastarbeitern und politischen Flüchtlingen mit muslimischen Wurzeln in den 1960er Jahren veränderten sich nicht nur die häuslichen Gerichte, sondern auch die Gastronomielandschaft. Das Restaurant „Istanbul” in Berlin stellt ein gutes Beispiel dar.

Der Erfinder des legendären “Toast Hawaii” ist mittlerweile Gegenstand geschichtswissenschaftler Arbeiten.

Es folgte der Triumphzug des Döner-Kebabs, der Prof. Heine wohl sogar auf der Speisekarte eines Restaurants in Spanien als typisches deutsches Gericht begegnet ist. Das zunehmende Interesse an exotischen Speisen befeuerte darüber hinaus insbesondere der TV-“Koch”, Entertainer sowie Erfinder des Toast „Hawaii” Clemens Hahn mit seiner Sendung „Wilmenrod bittet zu Tisch”. In dieser überaus erfolgreichen Kochshow begeisterte er die Zuschauer mit teilweise sehr abstrusen Rezepten, wie zum Beispiel „arabischem Reiterfleisch”, weckte allerdings auch ihre Neugier.

In der Folgezeit erschienen dann immer mehr Kochbücher von Amateur- ebenso wie von Profiköchen, die die Cuisine des Mittleren Ostens zum Gegenstand der Betrachtung machten. So zum Beispiel Günther Palms „Orientalische Küchengeheimnisse”, mit dem vielversprechenden Untertitel „Der Sultan war entzückt”. Es stellte türkische und libanesische Rezepte vor, die sich gut in der deutschen Küche umsetzen ließen.

In den Kochbüchern findet sich ein hoher Prozentsatz an Einträgen wieder, die mediterranes Gemüse wie Auberginen und Zucchini verwenden und somit den kulinarischen Wandel aufzeigen.

Der globale Markt für Halal-Produkte

Den zweiten Beitrag zu dieser Sektion leistete Madlen Mählis aus Hongkong, die die Halal-Produktion in China unter dem Aspekt einer anthropologischen Studie von Essen thematisierte.
Während der Kulturrevolution habe der Islam mit allen seinen traditionellen Gesichtspunkten, also auch den Essensgewohnheiten, zu den „Viel Alten” gezählt, die es loszuwerden galt. Mit der Demokratisierung und der ökonomischen Liberalisierung – wenn auch beides nur in begrenztem Maße erfolgte – stieg die Produktion von Halal-Lebensmitteln in China jedoch allmählich an. Seit den 1990er Jahren wurde sie darüber hinaus von der Regierung gefördert, was nicht nur wirtschaftlichen Interessen zuzuschreiben ist, sondern auch die Einheit des Landes zu demonstrieren vermag. Die Hui stellen eine offiziell anerkannte ethnische Gruppe von Chinesen dar, die den Islam praktizieren.

Dass wirtschaftliche Faktoren allerdings oberste Priorität haben, liegt an dem enormem Interesse für Halal-Lebensmittel auf dem globalen Markt. Bis dato kann der chinesische Export am globalen Halal-Markt nicht mit der Konkurrenz mithalten. Das ist jedoch nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass nicht alle Produkte durch autorisierte Behörden mit einem glaubwürdigen Güte- oder Prüfsiegel versehen werden können. 2007 sagte Malaysia, das ein sehr gut ausgebautes staatliches Kontrollsystem für Halal-Lebensmittel hat, seine Unterstützung bei der Verbesserung und dem Ausbau des chinesischen Zertifikationssystems zu.

Es steht also außer Frage, dass die Halal-Produktion für die Volksrepublik einen ausbaufähigen und vielversprechenden Wirtschaftszweig darstellt. In diesem Zusammenhang erscheint die Instrumentalisierung der Demonstration von Einigkeit und Anerkennung der islamischen Minderheit der Hui wirtschaftlichen Interessen zu dienen und den Verlust der religiösen Bedeutung des Konsums von Halal-Produkten zu bergen.

Was dürfen wir essen? – Tabuisierung von Lebensmitteln

Dr. Riem Spielhaus’ Vortrag befasste sich mit „Taboos as community boundaries”. Es gelang ihr anhand zweier sehr interessanter Beispiele zu zeigen, wie die Tabuisierung von Essen in der Lage ist, ethische Grenzen zu überwinden, aber auch zu errichten.

Sie legte dar, wie in Frankreich die islamischen Essenstraditionen zu einer Herausforderung an die nationale kulinarische Identität geworden sind. Anfang dieses Jahres startete eine Französin unter dem Namen „Sylvie Francois” über Facebook eine Kampagne zur Verteidigung der nationalen kulinarischen Identität. Damit reagierte sie auf die Tabuisierung von Schweinefleisch und Alkoholkonsum in der islamischen Religion und Tradition. Sie organisierte einen Apéro „Saucisson et pinard”, der am 18. Juni 2010 im Zentrum von Paris stattfinden sollte und bei dem 600-800 Gleichgesinnte erwartet wurden. Demonstrativ sollten als „laizistische Antwort auf die islamischen Verbote” bei dieser Zusammenkunft Schweinefleisch und Wein konsumiert werden.

Ein Gratwanderung und Grenzüberschreitung hinsichtlich der kulinarischen Grenzen machte auf der anderen Seite Berlins Innensenator Ehrhart Körting im Jahre 2009. Er lud eine islamische Gemeinschaft zu einem Empfang, um mit ihnen das Ende der Fastenzeit, das muslimische Ramadanfest, zu feiern. Da der christliche St. Martinstag zeitlich dem Ramadanfest nahekam, entschloss sich der Innensenator, eine Martinsgans zu servieren. Diese wurde bei einem türkischer Metzger bestellt, der die Fleischproduktion gemäß den Halal-Richtlinien ausführte.
Anhand dieser zwei Beispiele wird deutlich, dass die Tabuisierung von Lebensmitteln sowohl ein inklusives als auch ein exklusives Moment haben kann und dass sie Grenzen zu errichten ebenso wie zu überwinden vermag.

Die Magie von Speisen und weitere kulinarische Analysen

Das vortragsreiche Panel beinhaltete darüber hinaus noch sechs weitere Vorträge.
Prof. Dr. Birgit Krawietz stellte in ihrem Beitrag über „Ringer von Gewicht. Körperbilder und transkulturelle Ernährungsmuster” die türkische Öl-Wrestling-Kultur der modernen Bodybuildingpraxis gegenüber und kam zu dem Fazit, dass für Gewinner keine fixierte physische Norm existiert und dass David durchaus eine Chance gegen Goliath hat, ohne auf Anabolika zurückgreifen zu müssen.

Prof. Dr. David Waines referierte über den islamischen religiösen Richter Ibn Battuta, der im 14. Jahrhundert auf Reisen ging und in den Genuss der anatolischen Gastfreundschaft kam. Er erkannte nicht nur, dass die Umwelt „constitutes the proper meal”, sondern auch, dass die Gastfreundschaft eine Form der Grenzüberwindung darstellt.

Prof. Dr. Sami Zubaida hielt einen Vortrag über „Alcohol in Social and Symbolic Boundaries” und legte dar, inwieweit Alkohol in einigen Bereichen der islamischen Le-benswelt des 19. Jahrhunderts zum Symbol von Identität wurde und als Sinnbild für Mo-dernität und Zivilisation galt.

Prof. Dr. Remke Kruk referierte über das geheimnisvolle „Black Seed”, das angeblich in der Lage ist, „alles zu heilen, bis auf den Tod”. Sie arbeitete heraus, in welchem Zusammenhang die Grenzen zwischen der Auffassung des Islam als Religion und des Islam als Tradition verschwammen.

Prof. Dr. Hinrich Biesterfeldt berichtete über 
”Speisen als Zaubermittel im arabischen Volksepos”. Das Panel schloss mit dem Beitrag Thomas Krüppners, auch Organisator dieses Sektion, über “The concept Food in Life and Afterlife”.

(Redaktion: KP/MS)