Die Veranstaltung “Globalgeschichtliche Perspektiven im Geschichtsunterricht” des Geschichtslehrerverbands fand nicht im Haupttagungsgebäude, sondern im Audimax des Grimmzentrums statt. Der zusätzliche Raum war auch angebracht, die Plätze waren voll besetzt. Zu Beginn führte Hans Woidt kurz in den Themenbereich “Globalgeschichte” ein. Er verwies darauf, dass dieser zwar an den Universitäten bereits ein etabliertes Forschungsfeld mit eigenen Lehrstühlen sei, dass aber weder in den Lehrplänen noch die Lehrerausbildung im Bereich der Fachdidaktik auf ihn eingestellt sei. Wie wichtig es ist, den Schülern in einer globalisierten Welt globale Zusammenhänge zu vermitteln, sei zwar mehr als nur naheliegend, leider habe der Geschichtsunterricht aber bisher höchstens durch die Initiative einzelner Lehrerinnen und Lehrer diese Entwicklung aufgenommen.
Von Daniel Rübel
Mit dieser Veranstaltung würden er und die Mitarbeiter im Arbeitskreis Weltgeschichte weder den Unterricht umkrempeln, noch komplett neue Inhalte einführen wollen. Es gehe um kleine Schritte in diese Richtung. Dies sollte am Ablauf der Sektion ersichtlich werden. Die ersten beiden Vorträge von Herrn Unsuk Han und Herrn Hermann J. Hiery wollten verschiedene wissenschaftliche Perspektiven auf die Globalisierung eröffnen. Danach folgte ein in Theorie und Praxis aufgeteilter Entwurf, wie Globalgeschichte im Schulunterricht einzusetzen sei. Abschließend stellte Herr Martin Münch ein Quellenheft zur Globalgeschichte im Unterricht vor, das aus dem genannten Arbeitskreis hervorgegangen ist.
Koreanische Schulbücher und Eurozentrismus
Unsuk Han aus Seoul berichtete über den Eurozentrismus, der in koreanischen Schulbüchern vorherrschend ist. So umfasst der Bereich über Europa 30%. Im Vergleich dazu umfasst der Bereich in den deutschen Schulbüchern, der sich mit Asien befasst, nur 3%. Gerade ist in Korea eine Debatte darüber entbrannt, wie mit diesem Ungleichgewicht, also der starken Betonung europäischer Geschichte, umzugehen sei. Unzweifelhaft ist dieser Sachverhalt der Kolonialgeschichte und den europäischen Hegemoniebestrebungen geschuldet.
Han warnte jedoch davor, dass die wohl bald kommende Reform der Lehrinhalte einerseits dazu missbraucht werden könnte, nationalistische Tendenzen zu verstärken und einen zu großen Schwerpunkt auf nationale Geschichte zu legen. Andererseits bestehe die Gefahr, dass unzweifelhafte Errungenschaften der Europäer zu kurz kommen könnten und so ebenfalls ein falsches Bild entstehen könne. Globalgeschichtliche Ansätze sind seiner Meinung nach die beste Möglichkeit, diesen Schieflagen zu begegnen. Dazu betonte er, wie wichtig der Austausch über Inhalte von Schulbüchern zwischen verschiedenen Ländern sei und lobte das Deutsch-Französische Schulbuch (im Klett-Verlag erschienen, vgl. Coveransicht).
Hermann J. Hiery stellte im Anschluss die Frage, wie sich die aktuelle, von Europa ausgehende Globalisierung auf die anderen Kulturen ausgewirkt hat. Fünf wichtige Wellen der Beeinflussung führte er an. Erstens die physische Bedrohung, die Ausrottung ganzer Völker durch Krankheiten (über bewusste und unbewusste Übertragungen). Zweitens die Zerstörung der “fremden” Kulturen im Geiste der Aufklärung. Im Zuge der religiösen Missionierungen wurde oft weniger Schaden angerichtet, da diese gerne vorhandene Traditionen aufnahmen und nur veränderten, statt bewusst alle Traditionen abzulehnen. Drittens mussten die Länder außerhalb Europas mit dem Ausschließlichkeitsanspruch des europäischen Zentrismus fertig werden.
Eine weitere Welle ist die These des “ex oriente lux”, dass nämlich das Christentum und gleichzeitig die rationalen Welterklärungen der Europäer die beeinflussten Völker dazu zwangen, ihre eigenen spirituellen Konzepte zu überdenken. Hierzu bemerkte Hiery, dass dieser europäische Versuch nirgends auf der Welt erfolgreich war. Die einheimischen Spirituelle habe sich immer gegen das Rational-Westliche durchgesetzt. Die letzte Welle, die gerade noch auf die ehemaligen Entwicklungsländer zurollt, ist die Erkenntnis, dass sowohl die meisten Staatsgründer – zum Beispiel in Asien – westlich geprägt und ausgebildet waren und dass außerdem der Nationalismus als Konzept eine weitere Vorstellung ist, die von Europa um die Welt ging. Dies führte in der Konsequenz zu Auswirkungen des Universalismus, die selbst nicht global, sondern im Gegenteil national und abschottend wirkten.
Statt eines Fazits stellte Hiery die Frage ans Ende seines Vortrags, ob nicht das Verständnis und die Entwicklung des Universalismus, der Globalisierung selbst eine westliche Modeerscheinung sei, die mit schwindender Bedeutung Europas und der USA in der Welt vielleicht selbst in einigen Jahren verschwunden sein wird.
Herausforderung an die Geschichtsdidaktik
Nach einer kurzen Diskussion schloss sich der geschichtsdidaktische Teil an. Hilke Günther-Arndt, Urte Kocka und Judith Martin stellten eine Art der Unterrichtsgestaltung vor, die in den Grenzen der bisherigen Lehrpläne einen globalgeschichtlichen Ansatz verwirklicht. Zuerst zeigten sie anhand mehrerer Beispiele, dass dieser Ansatz zu einem deutlich aufgewerteten Geschichtsunterricht und zu einem größeren Verständnis der Lerninhalte führt. Den Ritterbegriff könne man an zeitgenössischen Darstellungen von Saladin und Richard Löwenherz erarbeiten, der Themenkomplex “Sklaverei” kann außer an den Klassikern Antike und USA global betrachtet werden, wenn man die Wikinger, den arabischen Transsaharahandel oder die innerafrikanischen und inneramerikanischen Gesellschaften in die Betrachtung einschließt. Es bietet sich bei jeder Einheit an, wenigstens am Ende die Schüler selbstständig zusammentragen zu lassen, wie die gelernten Sachverhalte in anderen Ländern oder Zeiträumen aussahen. Nicht nur in den Unterricht, sondern auch in Prüfungen können Lehrer im Bereich Transfer globalgeschichtliche Fragestellungen einfließen lassen.
Dem Kompetenzerwerb, vor allem der historischen Lesekompetenz als unabdingbarer Voraussetzung zur Teilhabe an der globalisierten Welt, wurde ebenfalls Aufmerksamkeit gewidmet. Kompetenzen ersten Rangs sind allgemeine Begriffe. Die Arbeitsbegriffe des Fachs Geschichte sind Kompetenzen zweiten Rangs, diese muss der Geschichtsunterricht vermitteln, zusammen mit dem thematischen Gegenstandswissen.
Die anschließende Diskussion im Plenum und Hans Woidts Überleitung zum letzten Vortrag zeigten, dass sich die Mehrzahl der Anwesenden eine Überarbeitung der Rahmenlehrpläne wünschte. Neben der Berücksichtigung bei der Lehrerausbildung wurde auch der Wunsch nach Weiterbildungsmöglichkeiten auf dem Gebiet geäußert. Um im Rahmen des bislang Möglichen so viel und so gut Globalgeschichte wie möglich zu unterrichten, stellte Martin Münch ein Ergebnis des Arbeitskreises Weltgeschichte vor: Das Quellenheft “Globale Perspektiven im Geschichtsunterricht. Quellen zur Geschichte und Politik” (vgl. Cover rechts). Es enthält sieben große Themenbereiche auf knapp hundert Seiten und zu jedem finden sich zehn bis dreißig ausgewählte Quellen inklusive Vorschlägen zur Bearbeitung und Einbindung in den Unterricht.
- Sektionsseite: Globalgeschichtliche Perspektiven im Geschichtsunterricht
(Redaktion: KP/MS)
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