Unter diesem schwer greifbaren Titel fand am Donnerstag, 30.09.2010, im gut gefüllten Audimax des Grimmzentrums ein hochinteressanter Vortrag zur aktuellen Debatte um den Geschichtsunterricht in Deutschland unter der Leitung von Jörg Ziegenhagen statt.
Von Bernhard Schell
Zu Beginn dieser Sektion erläuterte Professor Peter Schulz-Hageleit einige zentrale Begriffe, wie z.B. Domäne, Grenzüberschreitung, Kompetenz und Urteil, die in der aktuellen Diskussion der Geschichtsdidaktik eine zentrale Rolle spielen. Dabei seien Urteil und Kompetenz sicherlich Zielbegriffe, wobei sie aber das Prozesshafte der Bildungs- und Lernvorgänge nicht in den Hintergrund drängen dürften. Es muss immer eine lebendige, ergebnisoffene Interaktion zwischen Schüler und Lehrer bzw. Schüler und Schüler bleiben.
Verdient Kaiser Konstantin nun das Prädikat “der Große” oder doch nicht viel eher das eines “Geschichtsunholdes”?
Am Beispiel von Kaiser Konstantin erläuterte er dann die Problematik eines Werturteils. Verdient Konstantin I. (306-337) nun das Prädikat „der Große”? Oder nicht viel eher das eines „Geschichtsunholdes”? Für Professor Schulz-Hageleit sind beide Etiketten zutreffend, komme es doch immer auf den Standpunkt des Betrachters an, sieht man ihn aus dem Blickwinkel des Christentums oder als Teil seiner Familie. Dieses Spannungsfeld gilt es auszuhalten. Ausdrücklich soll der Betrachter auch seinen Empfindungen Raum geben, die Subjektivität gehöre unabdingbar zum Geschichtsunterricht. Werturteile seien nun mal auf Diskussionen angewiesen. Ein Schüler muss Wert- und Bewertungskonflikte erklären und sich selbst darin positionieren.
Das ewige Thema: Angemessene Notengebung
Im zweiten Teil referierte Ulrich Hagemann (Berlin) über das Kerngeschäft des Lehrers, die Notengebung. Bei aller Neuausrichtung der Bildungspolitik und Bildungspraxis, in der das Prozessorientierte eines Lernprozesses über die Stunde hinaus in den Blick genommen ist, kann der Unterrichtende nicht darüber hinwegsehen, Noten geben zu müssen. Das zentrale Problemfeld bilde dabei die mündliche Notengebung, die selten transparent gestaltet bzw. von Schülern so empfunden wird. Es sei höchste Zeit, dass dem Einhalt geboten wird. Als mögliche Hilfestellung für den Lehrer führt er exemplarisch ein Diagnoseraster aus der eigenen Unterrichtspraxis ein.
Vier bewertungsrelevante fachspezifische Kompetenzbereiche werden dabei gewertet. In der Analysekompetenz wird die Fähigkeit beurteilt, in historischen Darstellungen Argumente, Begründungen und Überzeugungen zu ermitteln. In der Deutungskompetenz geht es darum, Daten, Fakten und Argumente zu einer eigenen Darstellung zusammenzufügen. Mit der Methodenkompetenz werden fachspezifische Methoden, wie z.B. die Quellenkritik, überprüft. In der Urteils-/ Orientierungskompetenz kommt die Fähigkeit begründeter und reflektierter Stellungnahmen des Schülers zu historischen oder politischen Sachverhalten auf den Prüfstand.
Hinzu kommt die Kommunikations- und Interaktionsneigung als Überprüfungskriterium. Ulrich Hagemann empfiehlt dieses Feedback alle vier bis sechs Wochen für jeden Schüler, wobei er jedem Schüler Raum für Rückmeldungen lässt, auch dies ist ein Teil des Lernprozesses für beide Seiten.
Durch diesen „Feedback-Bogen” für jeden Schüler werde der Lehrer stärker dazu angeleitet, seinen Fokus auf die Schüleraktivitäten zu legen. Dabei soll er aber sukzessiv auch die Anforderungen an die fachliche Durchdringung, die Selbstreflexion und die Transferleistung des Schülers steigern. So entstehe nach und nach eine kompetenzangereicherte, im Idealfall natürlich eine kompetenzorientierte Unterrichtspraxis. Die notwendige Mehrarbeit für den einzelnen Kollegen sei einmalig, die einmal im Computer gespeicherten Bögen müssten nur abgeändert werden.
Urteilskompetenz auch im Deutschunterricht von zentraler Bedeutung.
Frau Dr. Deborah Mohr regte im Anschluss daran an, die Domäne Geschichte, Politik, Unterrichtsdidaktik um das Fach Deutsch zu erweitern. Die Urteilskompetenz muss auch im Deutschunterricht geschult werden und dazu liefere das Unterrichtsfach Deutsch keine ausreichenden Hilfen, die die Schülerinnen und Schüler dazu befähigten, strukturierte und rational begründete Urteile zu fällen. Anhand zweier literarischer Beispiele wurde dies belegt. Herangezogene wurde zum einen die Frage, ob Werther wirklich sterben musste, zum anderen das Beispiel Wilhelm Tells. Als Grundlage für die Urteilsbildung dient ihr dabei ein vierteiliges Modell der Urteilsbildung, das sich auf Jörg Kayser, Ulrich Hagemann: Urteilsbildung im Geschichts- und Politikunterricht, stützt. Untersucht werden dabei Kategorien als leitende Begriffe, Kriterien als Leitfragen, die unterschiedlichen Betrachtungsebenen, auf denen die Kategorien Anwendung finden, sowie Perspektiven als Angabe der Sicht, aus der geurteilt wird. Mit der Umsetzung dieses Modells, der Vernetzung seiner Komponenten, lassen sich sowohl Sachverhalte im Deutschunterricht als auch im Geschichtsunterricht beurteilen und später daran orientiert handeln.
Didaktische Neuausrichtung
Jörg Ziegenhagen (Berlin) schloss den Vormittag mit seinem Beitrag zu kompetenzorientierten Prüfungs- und andere Aufgaben ab. Die 90er Jahre waren in der Didaktik geprägt durch den Erwerb von Wissen. Wenn man Ernst machen wolle mit der neuen Ausrichtung der Didaktik, dann müsste sich auch die Aufgabenstellung verändern. In den einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung (EPA) der KMK sei dem Rechnung getragen. Hier werden aber nur Hinweise in formaler Hinsicht gegeben, allerdings bleibt offen, welche Konsequenzen sich daraus für die konkrete Aufgabenstellung ergeben.
Einen Ausweg aus diesem Dilemma sieht Jörg Ziegenhagen darin, dass die Themenorientierung Voraussetzung für die kompetenzbezogene Prüfungs- und Aufgabenform bildet. Diese Themen sind im weitesten Sinne Fragen an den Sachgegenstand und legen damit den Untersuchungsschwerpunkt fest. Die Aufgabe zwingt nun den Schüler dazu, sich strukturiert mit dem Thema auseinanderzusetzen. Am Beispiel der aktuellen Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei, führte er dies weiter aus. Es gilt, den Sachgegenstand festzulegen und einzugrenzen, Ausgangspunkt soll dabei das Schülerinteresse sein. In einem nächsten Schritt gilt es, Untersuchungsscherpunkte festzulegen. Dies wird durch leitende Begriffe wie Differenzierung, exemplarische Auswahl u.v.a.m. erreicht. Fachwissenschaftliche Grundlagen und fachmethodologische Verfahren, wie z.B. Auswahl von Quellen, Darstellungen aktueller Forschungsfragen oder gesellschaftliche Kontroversen bilden eine dritte Auswahlebene. Ziel ist es, dass der Schüler geschichtliches Bewusstsein entwickelt und in der Lage ist, an aktuellen Diskussionen teilzunehmen.
Bernhard Schell ist Oberstudienrat für die Fächer Geschichte und Religion am Hohenstaufen-Gymnasium Eberbach. |
(Redaktion: KP/MS)
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