Die mediale Darstellung von Geschichte ist in den letzten Jahren zu einem heiß umkämpften Feld avanciert. Zahlreiche neue Internetportale zu wissenschaftlichen Themen sind in den vergangenen Jahren eröffnet worden – auch die Geistes- und nicht zuletzt die Geschichtswissenschaften erkennen zunehmend den vielfachen Vorteil der schnellsten Informationsform. Zudem helfen die multimedialen Möglichkeiten, das Image vom angestaubten und allzu konservativen Fach zu beseitigen.
Von Nicole Güther
Der diesjährige Historikertag bietet zwar nur eine Sektion zu diesem zukunftsträchtigen Ressort, aber dafür wurden am gestrigen Tag gleich zwei brandneue Portale vorgestellt: das Projekt Europäische Geschichte Online des Mainzer Instituts (s. Screenshot rechts) sowie das Braunschweiger Schulbuchprojekt Eurviews – die Historikerschaft darf also auf deren baldiges Erscheinen gespannt sein. Daneben stellte sich aber auch das bereits etablierte Themenportal Europäische Geschichte des Clio-Vereins vor.
Sprachpluralität als Herausforderung
Das Tagungsmotto bedienend liegt der Schwerpunkt aller drei Internetportale nicht auf der nationalen, sondern auf der gesamteuropäischen Geschichte ab dem 18. Jahrhundert in einem transnationalen, ja globalen Fokus. Diese inhaltliche Grenzüberschreitung korrespondiert dabei gewollt mit der medialen Erweiterung des für Wissenschaftler bisher Machbaren. Dabei behaupten die Vertreter der vorgestellten Seiten von sich, einen innovativen Ansatz zu verfolgen und nicht einfach die herkömmliche Historiographie in ein anderes (dreidimensionales) Medium zu tradieren. Die größte Herausforderung für Europahistoriker stellt auch im medialen Feld die Sprachpluralität dar. Zwar sind die Portale zweisprachig, aber für die versprochene transnationale Darstellung bleibt die Einbindung auch wenig gesprochener Sprachen weiterhin zu wünschen übrig.
Wenig gesprochene Sprachen werden in den Internetportalen kaum berücksichtigt.
Der Herausforderung der Beweisführung stellten sich die Referenten in einer kurzen Vorführung. Hierbei wurde schnell offensichtlich, dass der Erfahrungswert des längeren Bestehens für ein älteres Portale nicht nur von Vorteil ist, aber die neuen Programme darauf aufbauend immens vom hier erworbenen Wissensstand profitieren – da heißt es dran bleiben und nachjustieren! Neben dem ästhetischen Bild betrifft das vor allem die Leser- und Userfreundlichkeit.
Themenportal Europäische Geschichte
Sicher ist es keine dankbare Aufgabe, sich im Fokus der modernen Konkurrenz, die selbst online noch allerhand nachbessern und immerhin von den Fehlern der anderen lernen kann, zu präsentieren. Die optischen und technischen Mängel sind schnell offensichtlich: das Auge wird in keinster Weise bedient und ist bei der vielfältigen Themenauswahl schnell überfordert. Sicherlich sind neueste Beiträge an herausragender Stelle platziert und auch die Suchmaske ist eine altbewährte Hilfe, aber Grenzen multimedialer Möglichkeiten werden nicht überschritten.
EGO – Europäische Geschichte Online
Anders als beim altbacken erscheinenden Themenportal besticht das neue Projekt des Instituts für Europäische Geschichte Mainz durch seine hervorragende Optik und seine gut strukturierter Startseite. Mit der ehrgeizigen Zielsetzung, ausschließlich ein akademisches Publikum anzusprechen – immerhin gelten die Geisteswissenschaftler als borniert und vom Medium Internet schwer überzeugbar – stellt sich das Portal bewusst keiner größeren Kritikerschaft. Gespannt bleibt die Eröffnung am 3.12. dieses Jahres abzuwarten.
Europa in Schulbüchern: Eurview
Die letzte Vorführung galt einem besonders interessanten Projekt, widmet es sich doch den zu Unrecht wenig beachteten und geschätzten Schulbüchern. Der Umgang mit (weltweiten?) Schulbüchern als zentrale Identitätsressource verspricht erkenntnisreiche Auswertungen und ebenso kontroverse Neubewertungen der europäischen Geschichte fernab der eurozentrischen Perspektive. Insbesondere für den Schulunterricht ergeben sich wichtige Möglichkeiten, der Geschichtspassivität entgegenzuarbeiten.
Gerechtfertigt oder anachronistisch? – Die Scheu vor Wikipedia
Der mutigen Bereitschaft zur Vorführung der altbekannten und noch nicht veröffentlichten Portale folgte eine provokante Kritikrunde von solchen, die es wissen müssen: den Usern. Das breite Spektrum der Portalkenner, vom Lehrer bis zum Verleger, bot dabei nicht nur herbe Kritik, sondern auch neue Impulse aus erster Hand. Tadel fand insbesondere die fortdauernd falsche Herangehensweise, dächten alle Betreiber doch noch im zweidimensionalen Medium „Buch”. Einen kontroversen Ansatz bot auch der Verweis auf die falsche Scheu vor frei zugänglichen Wissenssammlern wie bei der Wikipedia.
Eine Kernfrage der anschließenden Diskussion war die Frage nach der Sinnhaftigkeit virtueller Portale für die Geschichtswissenschaft. Neben der großen Reichweite (es sei denn man beschränkt diese mittels eines eingeschränkten Leserkreises selbst) und dem damit einhergehenden mobilisierenden Effekt spricht der erleichterte Zugang für die Zukunft der medialen Geschichtsschreibung. Es ist davon auszugehen, dass in nicht allzu ferner Zukunft nur noch die am häufigsten angewählten Titel gedruckt werden – davon waren alle außer dem anwesenden Verleger überzeugt.
- Link zur Sektionsseite: Geschichte Europas Online. Internet-Portale zur Forschung und Lehre
- Beitrag bei Geschichtspuls: Zur Historie Europas: Geschichtsportale im Internet
Nicole Güther ist Magisterstudentin der Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg. |
(Redaktion: KP/MS)
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