Zu fortgeschrittener Stunde fand im Rahmen des 48. Deutschen Historikertages eine vielbeachtete Podiumsdiskussion des Deutschen Geschichtslehrerverbandes (VGD) unter der Leitung von Ulrich Bongertmann (Rostock) statt. Als Diskutanten unterstützen ihn Dr. Wolfgang Geiger (Frankfurt a.M.), Rolf Ballof (Braunschweig), Dr. Rolf Brütting (Dortmund), Dr. Peter Droste (Jülich), Willi Eisele (Wolfratshausen) und Walter Helfrich (Speyer). Sie alle sind Mitglieder des Arbeitskreises „Bildungsstandards Geschichte” des Geschichtslehrerverbandes.
Von Bernhard Schell. Mit Anmerkungen von Friederike Gund und Klaus Körmös.
Seit Pisa kommen die Lehrpläne an den deutschen Schulen nicht zur Ruhe. Das schlechte Abschneiden war auch für das Fach Geschichte der Anlass, den Lehrplan einer Revision zu unterziehen. Im Jahr 2006 hatte der Verband einen ersten Entwurf für mögliche Standards unter dem Titel „Bildungsstandards Geschichte – Rahmenmodell Gymnasium, 5. – 10. Jahrgangsstufe” publiziert. Der bundesweite Anspruch dieser Standards gab zu intensiven Diskussionen Anlass, die auch auf dem Historikertag ihren Widerhall fanden. Der Leitgedanke eines länderübergreifenden Kerncurriculums musste inzwischen fallengelassen werden. Einige Bundesländer haben nämlich ihre Lehrpläne veröffentlicht und dabei bewusst auf Inhalte verzichtet, da dies Fachkonferenzen und letztlich jedem Fachlehrer überlassen werden soll.
Das Ringen um Standards und einen verbindlichen Kanon
In der Sitzung wurde nun den interessierten Kollegen ein Neuentwurf der Bildungsstandards für die Sekundarstufe I überreicht. Ein verdienstvolles Unterfangen, war die Kritik beim ersten Entwurf doch teilweise stark überzogen und niederschmetternd. Der Entwurf stellt ein Zwischenergebnis der letzten Jahre dar und soll das Konzept weiterentwickeln helfen.
Ulrich Bongertmann führte dann unter tatkräftiger Mithilfe seiner Mitstreiter das Auditorium durch diesen Entwurf, er machte dabei klar, dass der Arbeitskreis ebenso die Diskussion der letzten Jahre in diesen Entwurf einfließen ließ wie auch das Prinzip der Reduktion der Inhalte. Auffällig war dabei, dass es keine Spalte mehr für Sachwissen gibt. Die Antike wurde weiter reduziert. Besonders die verbindlichen Inhalte für das Mittelalter waren auch in der Arbeitsgruppe umstritten. Der Zuhörerschaft fiel in diesem Zusammenhang auf, dass der Entwurf Jahreszahlen fast ausblendete, was nicht überall Zustimmung fand.
Wie wichtig sind Jahreszahlen? Darf man aus den Lehrplänen streichen, was unbequem ist?
Die Angst, dass man weglässt, was unbequem ist, war nicht ganz auszuräumen. Hier ist aber der einzelne Fachlehrer gefordert. Trotzdem ist hier sicherlich noch Gesprächsbedarf, zumal wenn man die Lernenden im Blick hat. Ihnen ist ein zeitliches Gerüst für das für viele als schwierig empfundene Fach hilfreich. Wie ein verbindlicher Kanon aussehen sollte, ist allerdings eine andere Frage. Die Arbeitsgruppe machte allerdings klar, dass die Bundesländer einen unterschiedlichen Stundenumfang für das Fach Geschichte bereitstellten, ein bedenkliches Vorgehen!
Der Block B1 „Frühe Neuzeit” ist besonders heterogen empfunden worden. Allerdings hat die Arbeitsgruppe versucht, einen roten Faden einzubauen, indem sie einen Schwerpunkt auf Großbritannien – Frankreich – Deutschland legte, auf Demokratie – Zentralismus – Föderalismus. Damit wird ein enges nationales Geschichtsdenken überwunden, nicht nur ein Tribut an das Tagungsthema. Auch das lange 19. Jahrhundert folgt diesem Prinzip. Geschichte ist nicht nur eine Wissenschaft von der Vergangenheit, sondern auch von der Gegenwart. Es ist daher unumgänglich, so Bongertmann, sich zum Beispiel bei der Sozialen Frage im 19. Jahrhundert auch mit der Sozialen Frage des Jahres 2010 zu beschäftigen.
Der zeitliche Umfang des Blockes C + D, das „20. Jahrhundert”, wird von Seiten der Kommission als zu kurz empfunden, sie sieht aber selbst keine andere Lösung.
Weitere Diskussionen notwendig
Die sich nun anschließende Diskussion verlief in den Augen vieler Besucher unbefriedigend. Hier fiel auf, dass alte Positionen neu und emotional vorgetragen wurden. Etwas für „Insider”. Schade, hier wurde eine Gelegenheit vertan, mit dem breiten Fußvolk ins Gespräch zu kommen. Sieht man von diesem Menetekel ab, dann kam vor allem die Verkürzung des Sprachvermögens der Schüler zur Sprache, was das differenzierte Urteilen über historische Sachverhalte nicht leichter macht. Ein richtiger Sachverhalt, der aber für alle Unterrichtsfächer zutrifft. Auch die Themenauswahl des Blocks „Mittelalter” traf auf Widerspruch. Das Grundanliegen, dass die Wurzeln unserer heutigen Gesellschaft verdeutlicht werden, leuchtete allen ein, aber die Auswahl der Themenfelder nicht. Auch hier bedarf es noch weiterer Diskussion.
Das verdienstvolle Anliegen des Arbeitskreises, die Diskussion um die Bildungsstandards voranzubringen, ist gelungen, dafür sei ihm ausdrücklich gedankt. Gesprächsstoff für die nächsten Jahre ist da. Es ist daher auch sinnvoll, so wie es Herr Bongertmann andeutete, sich bei der Überarbeitung Zeit zu lassen. Die anvisierten vier Jahre sind sicherlich realistisch. Allerdings droht die Diskussion den eigentlichen Adressaten, die Schüler, aus den Augen zu verlieren und das wäre schade. Die nun folgenden Berichte zweier Schüler sind daher auch eher als Appell zu verstehen.
* Ulrich Bongertmann (Rostock) moderiert die Podiumsdiskussion
Bernhard Schell ist Oberstudienrat für die Fächer Geschichte und Religion am Hohenstaufen-Gymnasium Eberbach. |
Fällt die Geschichte nach 1945 unter den Tisch?
Ein Zwischenruf von Friederike Gund
Mit großen Erwartungen ging ich in den Vortrag „Schulfach Geschichte: Geschichtslehrpläne ohne Inhalte?” Ich war gespannt, weil nicht nur ich als Schülerin der Meinung bin, dass die neueste Geschichte nach 1945 zu wenig bzw. teilweise überhaupt nicht im Unterricht behandelt wird. Da schien der Titel dieses Vortrags sehr passend, um darauf eine Antwort zu liefern. Der sehr gut besuchte Vortrag begann mit der Vorstellung des länderübergreifenden Kerncurriculums.
Wie soll die Geschichte seit dem 2. Weltkrieg im Unterricht behandelt werden?
Die Präsentation war unübersichtlich und dem Referenten war, auf Grund verschachtelter Schriftsprachentexte, kaum zu folgen. Im Anschluss daran stellten die Diskutanten jeweils ihren Teil des Bildungsstandard-Programms vor und allmählich ging das Ganze in die Podiumsdiskussion über.
Es wurde beispielsweise die Frage gestellt, welche Argumente das Gremium vorbringen könnte, wieso man als Lehrer die Epoche Mittelalter weiterhin behandeln sollte und wie dabei der Bezug zur Gegenwart hergestellt werden kann. Diese und weitere Fragen aus dem Auditorium wurden sehr knapp und meiner Meinung nach unzulänglich beantwortet, teilweise belächelt.
Meine Erwartung, von einem Plan zu erfahren, wie man die Thematik nach dem Zweiten Weltkrieg zeitlich im Geschichtsunterricht unterbringen kann, konnte leider in keiner Hinsicht erfüllt werden. So bleibt für mich der Lehrplan nach 1945 ohne Inhalt.
Streit um Details. Das große Ganze wird vergessen.
Ein Zwischenruf von Klaus Körmös
Enttäuschend: Auch zukünftig wird die Französische Revolution vermutlich drei Mal im Unterricht durchgekaut.
Anfangs macht man sich noch Hoffnungen bei diesem Thema der Historikertage: „Geschichtslehrpläne- Lehrpläne ohne Inhalt”, da ändert sich vielleicht was für die Schülerinnen und Schüler! Vielleicht wird der Lehrplan endlich entmüllt und man bekommt auch Geschichte nach 1945 mit und wiederholt im Laufe seiner Schullaufbahn nicht drei Mal die Französische Revolution oder redet in übertriebenem Maße über die Spätfolgen des Mittelalters. Hoffnungen, Wünsche und eine gewisse Erwartungshaltung stellten sich bei mir zu Beginn dieser Vorlesung ein, doch es sollte anders kommen als erwartet und erhofft.
Viel von dem, was wir erzählt bekamen über Ideen, Ziele und auch sogenannte Lehrpläne war für mich aus Sicht eines Schülers in vielerlei Hinsicht schwer zu verstehen und kaum nachzuvollziehen.
Man bekam in der für mich persönlich zum großen Teil sinnlos erscheinenden Diskussionsrunde den Eindruck, dass hier viele kleine Interessens- und Konfliktgruppen aufeinander treffen und nicht das Wohl der Schüler und die sogenannte „Bildung” im Vordergrund stehen. Leider kann ich bestätigen, dass in meiner Schullaufbahn die Geschichte nach 1945 bis hin zur Wiedervereinigung 1989 kaum besprochen, geschweige denn behandelt wurde.
Ist es da wirklich sinnvoll, über Kleinigkeiten im Lehrplan, wie welche Jahreszahlen besonders wichtig seien, zu diskutieren, anstatt sich auf die für die Allgemeinheit wichtigen Daten und Fakten der Geschichte zu beschränken? Die Schullaufbahn soll nicht als Vorbereitung oder gar Einführung eines Geschichtsstudium dienen, sondern viel eher eine Bereicherung des Allgemeinwissens sein.
Für viele Schüler ist es schwer, sich für Geschichte zu begeistern, da viel zu viele Jahreszahlen verlangt werden anstatt verschiedene Ereignisse in den historischen Kontext einzuordnen. Ist es da ein Wunder, dass Geschichte von so wenigen Schülern positiv aufgenommen wird, wenn die Lehrer ihren eigenen Lehrplan nicht unterrichten können, sei es aus zeitlichen Gründen oder aus Kompetenzfragen? Ich denke nein und dieser Vortrag hat mir mehr als deutlich gezeigt, dass sich für den geschichtsinteressierten Schüler im Unterricht nicht viel ändern wird.
Geschichtslehrpläne ohne Inhalt? Leider ja.
(Redaktion: KP/MS)
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