Vor einem kleinen Kreis stellte die Sektion spannende Grenzen unter dem Aspekt “Arbeiten an Grenzen in der Moderne” vor, wobei sie Grenzen als transitorische Räume auffasste. Sie ging dabei auf verschiedene „Räume” wie Städte, Kanäle, Lager und Bunker ein.
Von Julia Naßutt
Was passiert in den Zonen der Grenzüberschreitungen – und was passiert mit diesen Räumen? Eine Fragestellung, die dem Fachpublikum am Donnerstagvormittag in diesem Panel auf anschauliche Weise erläutert wurde. Unter der Moderation von Frau Prof. Dr. Monika Dommann (Basel) näherten sich Forscherinnen und Forscher aus den Bereichen Geschichte und Architektur dem Thema aus verschiedenen Perspektiven. (* Das Foto rechts zeigt eine Familie mit Blick auf die Freiheitsstatue Anfang des 20. Jhs.)
Janusköpfigkeit von Grenzen
Der Kulturwissenschaftler und Historiker Dr. Joachim Baur (Tübingen) forscht über die Kontrollfunktion von Grenz-Passagen in den USA und Kanada. In seinem Vortrag referierte er auf faszinierende Weise über das Beispiel Ellis Island in den USA und Pier 21 in Kanada als Nicht- und Erinnerungsorte der Migration. Immigranten erlebten diese Transiträume als Dreh- und Angelpunkt ihrer Reise. Beim Passieren der Grenze wanderten sie über die Grenze des Nationalstaates und erlebten dabei die Grenze sowohl als Ort der Kontrolle als auch als Ort des Willkommens.
Die heutigen Inszenierungen der Museen beider Kontrollstationen weisen Unterschiede und Gemeinsamkeiten auf. Ellis Island wird heute als Gateway to America gefeiert, wohingegen am Pier 21 der Wartesaal im Vordergrund steht.
Einen weiteren interessanten Ansatz bot der Architekt und Architekturhistoriker Herr Prof. Dr. Laurent Stalder (Zürich). Er beleuchtete zeitgenössische Architektur als Schwellen des Alltags. Der Eingangsbereich von Häusern stellt dabei fast immer eine Grenze zwischen Innen und Außen, zwischen Wärme und Kälte oder zwischen Privatheit und Öffentlichkeit dar.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wandeln sich die Schwellenräume kontinuierlich. Ob Drehkreuz oder Drehtür, Desinfektionsschleuse, Schiebetür oder Sensoren – die Eingangsarchitektur weist heute unzählige Ausprägungen auf, die je nach ihrer Funktion differenziert werden können.
Zivilschutzräume als Übergangsraum zur postapokalyptischen Zukunft
Das faszinierendste Beispiel, das bei den Zuhörer auf großes Interesse stieß, stellte Dr. Silvia Bergers (Zürich) zuerst etwas sperrig anmutendes Thema „Prospektives Transitorium: Der Zivilschutzraum als un/wirklicher Übergangsraum zur postapokalyptischen Zukunft” dar. Während des Kalten Krieges wurden in Europa sukzessive Schutzbunker gebaut. Die Schweiz nimmt dabei eine Vorbildrolle ein, da jeder Bürger, anders als in Westdeutschland, einen Schutzplatz zur Verfügung hätte.
Ab den 1960er Jahren stattete die Schweiz ihre Bürger mit Plätzen in Schutzbunkern aus. Nicht dass die Schweiz befürchtete, direkt angegriffen zu werden, Grund war vielmehr die geographische Nähe zu Deutschland. Die privaten Schutzbunker, die sich im Keller eines jeden Hauses befinden, haben eine Schleuse mit gestaffelter Panzertür, einen Reinigungsraum und einen Schutzraum, der als „Überlebensinsel” bei einem nuklearen Angriff fungieren würde. (* Das Bild zeigt einen Luftschutzraum in der Schweiz.)
Nutzungswandel: Ehemalige Bunker werden heute u.a. als Galerien, Minigolfanlagen oder Cannabisplantagen genutzt.
In dem Vortrag wurden die Bunker als transitorische Räume dargestellt. Dabei symbolisiert die Panzertür die Schwelle und die Schleuse den Übergang der Bevölkerung von der vertrauten Welt hin zu einem neuen Zustand. Seit den 1990er Jahren unterliegen die Räume aus Beton einem Nutzungswandel. Die Bunkerwelten werden heute zum Teil als Kunsthallen, Cannabisplantagen, für Minigolfanlagen oder als Hotels genutzt.
Der Suezkanal
Eine weitere bemerkenswerte Stellungnahme war die Darstellung des Suezkanals als Grenze und Verbindung zwischen Europa, Asien und Afrika von Frau Dr. des. Valeska Huber (Konstanz). Auf ihrer Passage, auf dem Highway to Empire, vollzogen die Emigranten Rituale, um sich auf die Gegebenheiten des neuen Raumes vorzubereiten.
Huber stellte zwei transitorische Räume im Suezkanal vor, zum einen den Kanal selbst und zum anderen Orte in der Hafenstadt Port Said. Hier wurde im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die Kontrollfunktion ausgeübt, um die Seuchenausbreitung und den „Mädchenhandel” einzudämmen.
Als ein weiteres und letztes Beispiel ging Frau Prof. Dr. Monika Dommann auf das Warenlager als transitorischen Raum ein. Anhand der Bahnhof-Kühlhaus A.G. in Basel wurde das Lagerhaus als Vorrats- und Pufferzone zwischen Produktion und Distribution identifiziert.
Im abschließenden Kommentar betonte Prof. Dr. Dirk van Laak (Gießen) die neue Perspektive in der Geschichtswissenschaft. Vor allem die Betrachtung von Räumen als nicht mehr flächenhafte Einheiten, sondern als Passagen oder Übergangszonen begeisterten van Laak, da dieser Blickwinkel, seiner Meinung nach, den Paradigmenwechsel in den Geisteswissenschaften widerspiegle. Ferner hob er die Sensibilität der Referenten hervor, die sich aus seiner Sicht weniger klassischen Grenzen widmeten, sondern vielmehr einem neuartigen Ansatz, unabhängig von der traditionellen Betrachtungsweise von nationalen Einheiten, widmeten.
- Link zur Sektionsseite: Transitorische Räume: Arbeit an Grenzen in der Moderne
Julia Naßutt ist Studienrätin für die Fächer Englisch und Geographie am Hohenstaufen-Gymnasium Eberbach. |
(Redaktion: KP/MS)
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