Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA einer massiven Belastungsprobe ausgesetzt waren. Die Verweigerung der Gefolgschaft im Irak-Krieg 2003 durch die rot-grüne Bundesregierung führte zu Verstimmungen solchen Ausmaßes, dass in vielen Medien von einem einzigartigen Phänomen gesprochen wurde. Nie zuvor in der gesamten Nachkriegsgeschichte sei es zu einem derartigen Konflikt gekommen.

Von Carlos A. Haas

Das Historikertags-Panel „Krisenwahrnehmungen und gesellschaftlicher Wandel in den 1970er und 1980er Jahren in transatlantischer Perspektive” machte deutlich, dass es sich bei der Krise zu Beginn des 21. Jahrhunderts weder um ein singuläres Ereignis handelte, noch die konkrete politische Situation als deren alleiniger Auslöser anzusehen ist. Vielmehr sei das transatlantische Verhältnis noch nie völlig krisenfrei gewesen. Den 1970er Jahren käme hierbei die Rolle einer Epochenwende zu, was dann in den 1980er Jahren zu qualitativen Änderungen geführt habe.

* Die NATO bildet den sicherheitspolitischen Kern des transatlantischen Verhältnisses. Hier ein Foto des NATO-Gipfeltreffens zum 50. Jahrestags des Bündnisses 1999.
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Der erste Beitrag stammte von Ariane Leendertz, die das Panel konzipiert und organisiert hatte. Ariane Leendertz arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München und kann auf Lehrtätigkeiten an verschiedenen renommierten Hochschulen der USA zurückblicken.

Die vermeintliche oder tatsächliche Krisenhaftigkeit hat verschiedene (kulturelle, politische, wirtschaftliche) Dimensionen, die unterschieden werden können.

Mit Blick auf die Zeit von 1969 bis 1979 stellte sie die Frage, inwiefern die diesem Zeitraum sowohl von den Zeitgenossen als auch von der Nachwelt zugesprochene Krisenhaftigkeit sich auf ideelle und kulturelle Aspekte der transatlantischen Beziehungen auswirkte. Ausgehend von der Situation in den Vereinigten Staaten arbeitete sie in einer virtuosen Analyse die Wechselwirkungen von zeitgenössischer Krisenrhetorik und Krisenbewusstsein heraus, die mit internationalen bzw. globalen Verhältnissen korrespondierten.

Zbigniew Brzezinskis Buch „Between Two Ages – The Technotronic Era” aus dem Jahr 1971 führte sie in diesem Zusammenhang als Beispiel für die Wirkmächtigkeit von Gesellschaftstheorien im Hinblick auf Reflexionen über die Verhältnisse der Zeit an. Unterschiede in den Bewältigungsversuchen der Krise „hüben und drüben”, also in den USA und der Bundesrepublik, sah sie vor allem im jeweiligen Verhältnis zur Vergangenheit.

Als langjähriger und ausgewiesener Experte referierte anschließend Michael Geyer (Chicago) über die politische Ökonomie Europas und der USA in der Zeit von 1979 bis 2009. Er diagnostizierte für die Vereinigten Staaten eine radikale Redifferenzierung ihrer Binnenstruktur sowie eine massive Verschärfung von Ungleichheit. Ähnlich wie Leendertz sah er das Element der Zukunftsgewinnung als Unterscheidungsmerkmal von Europa einerseits und USA andererseits. Für Europa, genauer gesagt für Kontinentaleuropa, machte er die Peripherisierung prekärer Verhältnisse als Epochencharakteristikum aus. Die abweichenden Reaktionen auf den „shock of the global” seien, so Geyer, tatsächliche, nicht nur konstruierte Unterschiede.

Zwischen Krise und Kommerz

Einen kulturgeschichtlichen Ansatz vertrat im folgenden Referat Philipp Gassert (Augsburg), der die Verarbeitung der Nuklearkrise der 1980er Jahre in den Medien untersuchte. Mit zahlreichen anschaulichen Beispielen aus der Popkultur (Nicole: „Ein bisschen Frieden”, Udo Lindenberg: „Wozu sind Kriege da?”) zeigte er nicht nur das Spannungsverhältnis von Angst vor einem Atomschlag und deren Kommerzialisierung auf, sondern wies auch auf die Stellvertreterfunktion der Auseinandersetzung über Krieg und Frieden hin. Der zuvor differenziert und mit hohem Komplexitätsgrad geführte Krisendiskurs wurde auf diese Weise, so Gassert, vereinfacht und zugespitzt und eignete sich nun als orientierungsstiftende Größe mit narrativer Struktur. Dass dieses Narrativ eine starke mediale Komponente besaß, sei ein Beweis für den Wandel der Gesellschaft in eine Mediendemokratie, der bereits vor der flächendeckenden Einführung des Internets eingetreten sei.

In den 1980er Jahren kann in Westdeutschland eine Welle des Antiamerikanismus diagnostiziert werden, die als Teil eines Viktimisierungsdiskurses gelesen werden kann.

Sozialgeschichtlich argumentierte Holger Mehren (Oxford), der sich mit der westdeutschen Friedensbewegung und der Krise der transatlantischen Sicherheitsgemeinschaft befasste. Er verortete die Bewegung im Rahmen eines Viktimisierungsdiskurses, wie er in der ganzen BRD stattfand. Außerdem thematisierte er die Kategorie des Antiamerikanismus, der in der Auffassung US-amerikanischer Politik als konkrete Bedrohung für Deutschland und die Welt gegipfelt habe. Das vor den 1980er Jahren noch weitestgehend intakte Sicherheitsbündnis, das den USA vor allem militärische, der BRD wirtschaftliche Sicherheitswahrung zugewiesen habe, sei aufgrund der Auswirkungen der deutschen Erfahrungen mit massiver Gewalt im Laufe des 20. Jahrhunderts und der daraus resultierenden Ablehnung kriegerischer Politik in eine Krise geraten. Auch wenn diese in den 80ern noch nicht den politischen Bereich erreicht habe, so könne sie deshalb keineswegs negiert werden.

Die Sektion fand in den beiden brillanten Kommentaren von Uta Balbier (Washington) und Adelheid von Saldern einen Schlusspunkt. Balbier und Saldern begrüßten die Vielfalt der in den Vorträgen angewandten Ansätze, insbesondere die kulturwissenschaftlichen Herangehensweisen. Sie forderten eine differenziertere Verwendung der Begrifflichkeiten, in Sachen kulturwissenschaftlicher Methode plädierten sie für eine stärkere Einbeziehung der Kategorie „Emotionen”. Uta Balbier spitzte ihre Anmerkungen auf zwei Kernfragen zu:

Zunächst fragte sie, inwiefern die wissenschaftliche Wahrnehmung der 1970er und 1980er Jahre in einer Wechselwirkung mit der zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Methodik stünde und wie diese Wechselwirkung zu bewerten sei.
Sodann stellte sie den Begriff „der Westen” zur Diskussion und fragte, ob es sich hier nicht eher um ein Narrativ der – wiederum zu hinterfragenden – westlichen Wertegemeinschaft handle. Frau von Salbern machte auf die Ungleichzeitigkeit von Diskursen und Handlungen aufmerksam und kritisierte den Krisenbegriff als eventuell zu normativ.

Die leider nicht nach den einzelnen Vorträgen, sondern erst ganz am Ende des Panels stattfindende Diskussion zeichnete sich durch viele interessante Anfragen aus. Auf einer Metaebene ergab sich die Frage, inwieweit Zeithistoriker die eigene Zeitzeugenschaft ausblenden könnten und müssten, oder ob bei der Wahl eines alternativen Zugangs die Zeitzeugenschaft gar als unschätzbarer Vorteil anzusehen sei.
Die Sektion unter der souveränen und charmanten Leitung von Christoph Mauch (LMU München) war aufgrund der vielen grundsätzlichen Fragen, die hier thematisiert wurden, sicherlich eine der spannendsten des 48. Historikertags.

(Redaktion: KP/MS)