Obwohl museale Einrichtungen als “Lernorte” den Schulunterricht attraktiv ergänzen können, reicht es nicht aus, Schülerinnen und Schüler einfach “ins Museum zu schicken”. Stattdessen erfordert ein schulischer Museumsbesuch geeignete museumspädagogische Materialien sowie eine ausreichende Vorschulung sowohl seitens der Lehrer als auch seitens der Museumsmitarbeiter. In Sachsen-Anhalt hat man hierfür einen eigenen Weg gewählt.

Ein Gastbeitrag von Annette Adelmeyer, Siegfried Both, Susanne Kopp-Sievers und Christian Reinboth

Da sich Museen zuallererst als Bildungseinrichtungen verstehen, sind Schulklassen seit jeher eine wichtige Zielgruppe, die es in besonderem Maße zu umwerben gilt. In Sachsen-Anhalt wird die Zusammenarbeit von Schulen und Museen seit Mitte der 1990er Jahre systematisch von einer Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern des Museumsverbandes Sachsen-Anhalt e.V., des Landesinstituts für Schulqualität und Lehrerbildung von Sachsen-Anhalt (LISA, nicht zu verwechseln mit L.I.S.A.) und des Kultusministeriums von Sachsen-Anhalt vorangetrieben.

Obwohl das Ministerium bereits frühzeitig die Bedeutung der Museen für die Umsetzung der Bildungsstrategie des Bundeslandes erkannte, konnte das enorme Potenzial der Museen für die schulische Arbeit bislang leider nur begrenzt ausgeschöpft werden.

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Vom LISA mitentwickelte Online-Lernplattform “Luthers Zeit”

In diesem zweiten Gastbeitrag des Museumsverbands Sachsen-Anhalt für das offizielle Blog zum Deutschen Historikertag – der erste Beitrag beschäftigte sich mit der Digitalisierung von Museumsobjekten – soll es um die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Museen in Sachsen-Anhalt und die dabei gesammelten Erfahrungen gehen – beginnend mit einer ganz grundlegenden Feststellung…

Einsichten führen zu Aussichten

Während der vergangenen Jahre ist in den sachsen-anhaltischen Museen auf der einen Seite deutlich erkannt worden, dass die in den Museen stattfindende schulische Bildungsarbeit grundsätzlich dem Lehrplan bzw. den geltenden Rahmenrichtlinien verpflichtet sein muss, während den Museumsmitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Beschäftigung mit den pädagogischen Inhalten auf der anderen Seite stärker bewusst wurde, dass sich Museen über die reine Wissensvermittlung hinaus als informelle Lernorte für Schülerinnen und Schüler dazu eignen, persönliche Kompetenzen zu entdecken und zu stärken. Diese Überlegungen stehen auf schulischer Seite oftmals am Anfang der Entscheidung für einen Museumsbesuch.

Auf Seiten der Pädagogen wuchs demgegenüber die Einsicht, dass eine Ausstellung, die für einen längeren Zeitraum – in kleineren Museen oftmals sogar für bis zu 20 Jahre – geplant ist, unterschiedlichen Zielgruppen gerecht werden muss. Darüber hinaus sind gewisse Einschränkungen durch die konservatorischen Anforderungen der Objekte gegeben, die sich oftmals in Vitrinen befinden. Beide Seiten mussten erfahren, dass sich der Aussagewert auch von Objekten, die in einem thematischen Zusammenhang zueinander stehen, aller ausstellungsdidaktischen Bemühungen zum Trotz vor allem Kindern und Jugendlichen nicht auf den ersten Blick erschließt. Gewachsen ist auch das Verständnis dafür, dass nicht alle MitarbeiterInnen eines Museums, die ja häufig aus schulfremden Bereichen kommen, das pädagogische Know-How eines Lehrers besitzen können.

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Tod Gustavs II. von Schweden in der Schlacht bei Lützen (Gemälde von Carl Wahlbom)

Auf der Basis dieser Erkenntnisse wurden an verschiedenen Regionalmuseen didaktische Materialien zu kleineren Ausstellungseinheiten entwickelt und erprobt. Hierzu zählten u. a. bessere Erschließungsmöglichkeiten eines Großdioramas zur Schlacht bei Lützen im Jahr 1632 im Museum Lützen, die Entwicklung von Materialien zum Weinbergaltar von Lucas Cranach dem Jüngeren aus dem Jahr 1582 im Danneil-Museum Salzwedel sowie der Aufbau der Museumspädagogik im Lutherhaus Wittenberg. Letzteres geschah innerhalb des LISA-Projektes „Ins Leben ziehen – Luther in seiner Zeit” (2000-2004), wobei die positiven, hierbei gewonnenen Erfahrungen zu einer dauerhaften Verstetigung des Vorgehens führten. Vor diesem Hintergrund wurde dem LISA ab dem 1. August 2003 die neue Fachaufgabe „Betreuung kultureller Lernorte (Museen/Gedenkstätten)” übertragen.

Die AG Betreuung kultureller Lernorte

Mit Übernahme der Fachaufgabe entstand am LISA eine pädagogische Arbeitsgruppe zur Betreuung kultureller Lernorte, in der abgeordnete Lehrkräfte in enger Zusammenarbeit mit ausgewählten Museen in Sachsen-Anhalt Angebote für Schülerinnen und Schüler erarbeiten. Derzeit sind vier teilabgeordnete sowie eine vollabgeordnete Lehrkraft an drei Standorten tätig, die den kulturellen Bildungseinrichtungen insgesamt 96 Stunden an wöchentlicher Arbeitszeit zur Verfügung stellen. In Rahmen einer zwei- bis vierjährigen Kooperation zwischen dem LISA und dem jeweiligen Museum wird ein museumspädagogisches Konzept erarbeitet, welches auf die Besonderheiten des jeweiligen “Lernortes” ausgerichtet ist. Dabei werden unter anderem pädagogische Materialien entwickelt, erprobt und hergestellt, die von den Museen nach dem Ende der Zusammenarbeit weiter genutzt werden können.

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“Der Tross Ottos II.” beschäftigt sich in Tilleda mit einem Modell “seiner Pfalz”

Die Zusammenarbeit von LISA und Museen setzt an der Schnittmenge der Bildungsabsichten von Museum und Schule an – letztendlich beabsichtigen beide Institutionen, ein Verständnis für vergangene und gegenwärtige Lebenswelten zu vermitteln und zur Reflexion anzuregen. Dabei verfügt das Museum mit seinen originalen Objekten zwar über einen unschätzbar hohen Grad an Authentizität, Schülerinnen und Schüler müssen im Museum aber oft erst einmal das „Hinsehen” lernen, um genau dieses Verständnis entwickeln zu können.

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Mit derartigen “Selbsterkundungsbögen” wird Besuchern im Kloster Memleben das Leben in einem mittelalterlichen Kloster näher gebracht

Um eine Beziehung zum Objekt aufbauen können, muss den Schülerinnen und Schülern eine Brücke gebaut werden. Hierzu gehören:

  • Neugier wecken (z. B. bezüglich der äußeren Gestalt, der verwendeten Materialien oder besonderer funktionaler Zusammenhänge)
  • Begegnung mit Exponaten ermöglichen (z. B. um Größe oder Kleinheit, stoffliche Beschaffenheit oder Strukturen feststellen zu können)
  • unmittelbare Reaktionen hervorrufen (z. B. Bewunderung, Befremdung, Neugier, Verlangen nach Berühren oder Ausprobieren)
  • Objekte befragen (z. B. nach Verwendungszweck, Formgebung, Funktion oder Ausstattung)
  • Denkprozesse auslösen, in deren Ergebnis Gegenstände zu „Bildern” und Eindrücke zu Begriffen werden


Memleben Kloster in Deutschland

360°-Panorama von Pfalz und Kloster Memleben (von Frank Ellmerich via 360cities.net)

Den vom LISA entwickelten Angeboten wird ausdrücklich ein breiter Bildungsbegriff zugrunde gelegt, der sich nicht zu eng an einzelne Schulformen oder Unterrichtsinhalte bestimmter Fächer anlehnt. So ist ein Museumsbesuch über die Inhalte hinaus besonders geeignet für das Erlernen von Methoden wie beispielsweise der systematischen Beobachtung oder für die Stärkung von Kompetenzen. Dies schließt die Lern- und Erziehungsziele der Lehrpläne und Rahmenrichtlinien nicht aus, sondern ein, wobei es der breit angelegte Bildungsbegriff dem Museum ermöglicht, seine Zielgruppe – und seine territoriale Reichweite – zu vergrößern.

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In der Dombauhütte fertigen Schülerinnen und Schüler ein eigenes Maßwerkfenster für den Naumburger Dom und erhalten dabei einen Einblick in die mittelalterliche Handwerkskunst

Die Entwicklung eines Lernortes

Wie aber hat man sich den Auf- und Ausbau eines solchen “Lernortes” in der Praxis vorzustellen? In der Regel prüfen des LISA, der Museumsverband und das Kultusministerium des Landes zunächst im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens die inhaltlichen, räumlichen und personellen Möglichkeiten eines Museums. Darauf aufbauend werden dann die jeweiligen Angebote entwickelt. Hierzu gehören u.a. folgende Bausteine:

  • Erarbeitung von Medien und Materialien
  • Lehrerfortbildungen und Schulung der Museumsmitarbeiter
  • Gemeinsame Entwicklung der Angebote
    (die im Museum immer aus Führung und Aktion bestehen)
  • Unterstützung beim Aufbau von regionalen und überregionalen Kommunikationsstrukturen zu Schulen und anderen Einrichtungen

Insbesondere die Erarbeitung der Medien und Materialien für die Arbeit mit Schulklassen im Museum ist ein sehr langwieriger Prozess: Sie werden zunächst erprobt und entwickelt, auf Fortbildungen mit Lehrkräften diskutiert und ihr Einsatz vor Ort begleitet. Die Bandbreite dieser Arbeit umfasst Medien und Materialien zur aktiven Erkundung von Bauwerken und Ausstellungen (z.B. Selbsterkundungsmaterial, Audioguides z.T. für die Nutzung mit mp3-Playern, didaktische Ausstellungselemente und Erinnerungstests), Materialien zur Erprobung und Anwendung museal präsentierter Inhalte (z.B. Experimentieranordnungen, Bausätze, Repliken, Modelle oder Kostüme) sowie Materialien für den Einsatz in der ganzheitlichen Bildungsarbeit (zum Beispiel Publikationen speziell für Kinder und Jugendliche, Lehrfilme, Internet-Bildungsplattformen oder Computerspiele). Die Nutzung der Angebote wird intensiv ausgewertet, so dass Anpassungen und Korrekturen erfolgen können.

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Materialerprobung im “Haus der anderen Nachbarn” im Museum Haldensleben

Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Einbeziehung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen gelegt. Sie werden von Beginn an in die Lernortarbeit integriert und geschult, um nach Beendigung der Kooperation eine längerfristige Weiternutzung der Angebote durch das Museum zu gewährleisten. Zusätzlich werden auf Lehrerfortbildungen Medien etc. vorgestellt und Hinweise für die Vor- und Nachbereitung von Museumsbesuchen gegeben. Mit Abschluss der Kooperation erhält das Museum auf diese Weise ein inhaltlich und pädagogisch niveauvolles Programm.

Eine weitere Besonderheit der Angebote ist der mehrstündige Charakter der Veranstaltungen, die sie z.B. für Schulfahrten attraktiv machen sollen. Hierzu konnten als Partner für die Lernortarbeit die Jugendherbergen des Landesverbandes Sachsen-Anhalt gewonnen werden, die teilweise auch die Betreuung der Schulklassen vor Ort unterstützen.

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Erfahrung macht den Meister – Ergebnisse eines Gewölbebau-Projekts im Naumburger Dom

Informationen zu den Lernorten

Angesichts der Zahl von mehr als 200 großen und kleinen Museen in Sachsen-Anhalt und der begrenzten personellen Möglichkeiten des LISA, wird bei der Entwicklung der Lernorte auch immer auf den Modellcharakter, d.h. auf die Übertragbarkeit von Aktionen auf andere Ausstellungen geachtet. So können z. B. die für das Kloster Memleben entwickelten Einheiten zum mönchischen (Alltags-)Leben durchaus auch in anderen Museen, die das Klosterleben thematisieren, in abgewandelter Form aufgenommen werden. Die Einheiten für das Film- und Industriemuseum Wolfen, die über die Technikgeschichte hinaus auch für den Zusammenhang zwischen Industrie und Stadtbildentwicklung sensibilisieren, bieten breite Möglichkeiten der Nachahmung für viele andere Museen.

Auf dem Bildungsserver Sachsen-Anhalt gibt es daher weitreichende Möglichkeiten sich über die Bildungsorte, ihre Angebote sowie die pädagogischen Ziele umfassend zu informieren. Insgesamt wurden oder werden bisher neun museale Lernorte vom LISA unterstützt.

Geschichtskulturelles Lernen wird Bestandteil des Lehrplans

Die aus der Zusammenarbeit zwischen Schule und Museen gewonnenen Erfahrungen flossen auch in die Neugestaltung des kompetenzorientierten Fachlehrplans Geschichte für die Sekundarschulen in Sachsen-Anhalt ein, der seit Beginn des Schuljahres 2010/11 für die Schulen verbindlich ist. Einen besonderen Schwerpunkt stellt darin die Schulung der geschichtskulturellen Kompetenz dar, die Schülerinnen und Schüler zur rezeptiven und produktiven Teilnahme am öffentlichen Umgang mit Vergangenheit befähigen soll. Dazu gehört selbstverständlich die aktive Erschließung von Präsentationen historischer Themen, aber auch ein bewusster Blick auf den Aussagewert und den Umgang mit architektonischen Zeugnissen der Vergangenheit. Beide Aspekte können an historischen Lernorten genauso trainiert werden wie die drei anderen verbindlichen Kompetenzen des historischen Denkens (Gattungskompetenz, Interpretationskompetenz und narrative Kompetenz).


Schloss in Deutschland

360°-Panorama von Schloss Wernigerode (von Frank Schneidereit via 360cities.net)

So ist beispielsweise in den Schuljahren 5 und 6 die Durchführung eines Methodenpraktikums zum Umgang mit Sachzeugnissen vorgesehen, das sehr gut als Museumspraktikum gestaltet werden kann. Historische Überreste sollen dabei gezielt befragt und unter Einbeziehung von Quellen und Darstellungen erschlossen werden.

Geeignete Fragen zu stellen fällt dabei umso leichter, je mehr Erfahrungen man mit den Geschichten sammeln konnte, die Gegenstände oder Bauwerke erzählen. Gerade Lernorte wie das Kloster Memleben, Schloss Wernigerode oder der Naumburger Dom bieten besonders vielfältige Begegnungsmöglichkeiten und schulen den Blick der Schülerinnen und Schüler für derartige Zeugnisse der Vergangenheit. Die Nutzung und kritische Befragung von musealen Präsentationen ist auch in höheren Jahrgängen immer wieder Bestandteil des Lehrplans.

Versuch eines Fazits

Mit der Übertragung der Fachaufgabe „Betreuung kultureller Lernorte” an das LISA hat das Land Sachsen-Anhalt einen eigenständigen Weg gewählt. Während in anderen Bundesländern häufig LehrerInnen direkt an ein Museum abgeordnet oder zentrale Einrichtungen wie z.B. museumspädagogische Zentren geschaffen werden, musste aufgrund der personellen und finanziellen Rahmenbedingungen im Land aber auch in den Städten und Kommunen Sachsen-Anhalts ein alternativer Weg beschritten werden.

Die seit 15 Jahren bestehende kontinuierliche Zusammenarbeit von Museumsverband, LISA und Kultusministerium hat mittlerweile zu einer erheblichen Qualitätssteigerung in der musealen Vermittlungsarbeit in Sachsen-Anhalt beigetragen. Die von uns durchgeführten Evaluierungen zeigen, dass der ganzheitliche Ansatz der Fachaufgabe „Betreuung kultureller Lernorte” eine hohe Wertschätzung genießt und sich nicht nur die Zusammenarbeit von Schulen und Museen entscheidend verbessert hat, sondern vor allem auch der Wissens- und Kompetenzzuwachs sowie die Zufriedenheit der Schüler nach einem Museumsbesuch.

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Im Schlossmuseum Quedlinburg planen Schülerinnen und Schüler ein eigenes Museum

(Redaktion: MS)