Im bundesdeutschen Fernsehen werden täglich Dokumentationen und Spielfilme mit historischen Inhalten gesendet. Das heimische Sofa wird dabei Ausgangspunkt für Geschichtsreisen, die in das alte Ägypten oder das mittelalterliche Mainz, nach Waterloo anno 1815 oder eben in das Berlin des Jahres 1989 führen. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Mauerfalls waren im vergangenen Jahr vor allem die historischen Ereignisse des Herbstes 1989 außerordentlich präsent. Ausstellungen, Tagungen und vielfältige Buchpublikationen legten hiervon ebenso ein Zeugnis ab wie die breite Berichterstattung in den Printmedien. Der Geschichtsmarkt boomt nach wie vor und Geschichte gilt als ungemein populär.
Von Angela Siebold, Martin Stallmann und Carlos A. Haas
Mittlerweile ist es ein lohnenswertes Ziel der Geschichtswissenschaft, über das Fachpublikum hinaus gehört zu werden. Die mediale Präsenz von Geschichte wird dabei von Historikern mit Freude und Sorge gleichzeitig betrachtet – ist doch das öffentliche Interesse an der Geschichte ein willkommener Legitimationsschub für ihre Disziplin; gleichzeitig wirft es aber die Frage auf, wer hier über Geschichte spricht. Denn nur, weil es um Geschichte geht, heißt das noch lange nicht, dass Historiker sprechen: Bisweilen erscheint es so, als bestimmten vielmehr die Zeitzeugen oder Journalisten die allgemeine Sicht auf die Vergangenheit.
In der Sektion „Public History – Geschichte in der Öffentlichkeit. Das zwanzigjährige Jubiläum von 1989 im Spannungsfeld von akademischer und öffentlicher Zeitgeschichte” wurde eine zweifache Annäherung an dieses Thema angestrebt: Erstens ging es um eine kritische Selbstreflexion der Geschichtswissenschaft in ihrem Verhältnis zur Öffentlichkeit. Zweitens wurden den wissenschaftlichen Referenten praxisbezogene Historiker gegenübergestellt, um einen Dialog zwischen den Fachhistorikern und den „Public Historians” zu fördern.
Wann wird die Wissenschaft zur Öffentlichkeit?
Welche Rolle kommt der Geschichtswissenschaft in der Öffentlichkeit zu? Ist sie nur „Zulieferer” von Informationen, als Fachberater, Gutachter, Materialgeber für die Geschichtsjournalisten, die dann die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in die Sprache der Öffentlichkeit übersetzen? Oder sind (wissenschaftlich arbeitende) Historiker eigenständige Akteure in der Öffentlichkeit, die selbst gehört werden sollten? Dies würde jedoch voraussetzen, dass die Historiker auch die Sprache der Öffentlichkeit sprechen – und das bedeutet nicht nur, komplexe Sachverhalte verständlich zu vermitteln, sondern ebenso die öffentlichen Darstellungsformen – von der Zeitung über das Fernsehen und das Museum bis hin zum Internet – zu beherrschen.
„Hitler sells” – was wird dargestellt?
Doch in welchem Verhältnis sollten die Fragestellungen und Themen der Geschichtswissenschaft zu ihrer Darstellungsform stehen? In der Diskussion wurde eine tiefgreifende Sorge geäußert: Möglicherweise könne eine publikumsorientierte Geschichtswissenschaft dazu führen, dass nur noch diejenigen Inhalte thematisiert würden, die medial präsentiert und gut verkauft werden könnten. Die Frage nach der medialen Darstellbarkeit von Geschichte dürfe jedoch das wissenschaftliche Denken nicht dominieren. Der Journalist Sven Felix Kellerhoff (“Die Welt”) betonte dagegen, Geschichte müsse in der Öffentlichkeit nicht nur sachgerecht, sondern vor allem publikums- und mediengerecht gestaltet sein. Dementsprechend erklärte Thomas Schuhbauer (Eco Media) die Sendeplatzanalyse zum wichtigesten Werkzeug des (historischen) Filmemachers.
Ein weiteres Problem stellte die Auswahl von Themen nach zeitlichen Kriterien dar: Während etwa die mediale Aufbereitung von historischen Jahrestagen in den Massenmedien bestimmend für die Themenauswahl sei, dürften solche Ereignisse nicht maßgeblich für die Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen sein.
Die Grenze zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ist längst durchlässig.
Abgrenzungen und Schnittstellen
In der Debatte wurde zudem deutlich, dass die Grenze zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit längst nicht mehr als trennende Linie verstanden werden kann. Es gehe nun vielmehr darum, die sich überschneidenden Grenzräume zu gestalten. Für die Geschichtswissenschaft stelle sich hier eine doppelte Problematik: Einerseits muss sie sich durch die Aufrechterhaltung wissenschaftlicher Kriterien von anderen Geschichtsakteuren abgrenzen.
Andererseits steht sie vor der Aufgabe, die Handlungsmöglichkeiten von Historikern außerhalb des wissenschaftlichen Feldes zu definieren und sich damit als wissenschaftlicher Akteur in der Öffentlichkeit zu behaupten. Hanno Hochmuth (FU Berlin) betonte, dass hierbei nicht nur historische Detailkorrekturen vorzunehmen oder eine grundsätzliche Kritik an populären Vermittlungsformen zu üben seien. Vielmehr sollte die Geschichtswissenschaft zur historischen Kontextualisierung von Spiel- und Dokumentarfilmen beitragen, eine wissenschaftlich fundierte Fachkritik gegenüber öffentlichen Darstellungen üben sowie praxisorientierte Studienangebote bereitstellen. Bestimmte Grenzen, so Frank Bösch (Universität Gießen), dürften die Fachhistoriker dabei keinesfalls überschreiten – so etwa Texte aus bereits vorgeschriebenen Drehbüchern als „Fachexperten” schlicht nachzusprechen.
Es geht darum, öffentlichkeitskompetente Historiker auszubilden.
Die verschiedenen Positionen und Forderungen im Panel zeigten, dass die „Public History” einen komplexen und noch nicht vollständig entwickelten Arbeitsbereich darstellt. In den Beiträgen wurde einerseits gefordert, eine grundlegende Methodenlehre für den Umgang mit historischen Quellen als Vermittlungsmedium zu entwickeln. Es könne dabei nicht nur darum gehen, wissenschaftliche Informationen für die Öffentlichkeit bereit zu stellen, sondern selbst öffentlichkeitskompetente Historiker auszubilden. Damit solle ein kritischer Umgang mit populären Geschichtsdarstellungen gefördert werden, der sich zum Beispiel in einer zu emotionalisierten und personalisierten Erzählung widerspiegelt.
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