Der Zionismus kann als eine Spielart des Nationalismus verstanden werden, der die Eigenschaft hat, nicht national zu sein. Dieses scheinbare Paradoxon verfliegt, wenn man bedenkt, dass geographische, politische und kulturelle Grenzen sich im Zusammenhang mit diesem Begriff unmöglich ziehen lassen. Der Zionismus ist eine Ideologie, die in vielerlei Hinsicht Grenzen überwand, im gleichen Zuge aber auch die Vertreter dieser Ideologie vor die Herausforderung stellte, die Definition des Zionismus möglichst präzise zu halten.

Von Christina Thenuwara

05.jpg
Chanukkaleuchter. (Foto: chrisandre / pixelio.de)

Wie und ob diese Gratwanderung insbesondere in Bezug auf den deutschen Raum gelungen ist, wurde in der Sektion „Nationalismus, Internationalismus und Transnationalismus im deutschsprachigen Zionismus” auf dem Historikertag analysiert.

Deutscher Nationalismus und Zionismus

Wie Grenzüberwindung in diesem Zusammenhang funktionierte, demonstrierte Dr. Stefan Vogt in seinem Vortrag „Zionismus und Weltpolitik”. Er zeigte auf, in welchem komplexen Verhältnis der Zionismus und der deutsche Nationalismus um 1900 standen, welch eine immense gegenseitige Prägung sie hingegen aber auch erfahren haben. Das Verhältnis dieser beiden Bewegungen wurde nicht nur von Differenzen bestimmt, im Gegenteil, es war gekennzeichnet durch eine rege Interaktion des deutschsprachigen Zionismus mit der nationalistischen Bewegung in Deutschland. Ebenso wie Zionisten deutsche Kolonisationspraktiken übernahmen, so bediente sich das Deutsche Reich mit seinen imperialistischen und kolonialistischen Tendenzen zentraler Konzepte des zionistischen Projekts, wie zum Beispiel „Sozialreform” und „Entwicklung”.

Jüdische Bürger stellten sich in den Dienst der Nation

Über das problematische Verhältnis des deutschen Judentums zum Ersten Weltkrieg referierte Ulrich Sieg von der Universität Marburg. Zu Beginn des Krieges habe eine starke Identifikation der jüdischen Bevölkerung mit dem Vaterland vorgeherrscht. Die deutschen Juden waren von der Unschuld der politischen Führung überzeugt, die jüdischen Intellektuellen stellten sich in den Dienst der deutschen Nation. Dieses Bekenntnis zu Deutschland wurde durch den Druck der öffentlichen Meinung, insbesondere im Zusammenhang mit der Judenzählung 1916, jedoch auf die Probe gestellt. Die Angst, der Nationalismus könne sich gegen die Juden richten, schaffte eine jüdische Binnensolidarität, die den Streit um die Meinungsführerschaft zwischen den Zionisten und dem liberalen Judentum bändigte, allerdings nicht zum Erliegen brachte.

Zionisten und ihre Bewegung

Der zweite Teil der Sektion beschäftigte sich mit Porträts von Zionisten sowie deren Auseinandersetzung mit der zionistischen Bewegung. Lutz Fiedler referierte über den jüdischen Historiker Hans Kohn, seine Nationalismusforschung und sein zionistisches Selbstverständnis. Fiedler untersuchte letzteres von dem Hintergrund von Kohns Herkunft aus Prag, die seinem Denken einen transnationalen und universalistischen Zug gab. Kohn plädierte für die Ablösung des Nationalismusbegriffs von territorialen Vorstellungen und neutralisierte damit den erdverwurzelten Nationalismus. Für ihn stellte der binationale Staat, in dem der Staat an sich vom Begriff der Nation getrennt war, eine Zukunftsvision dar. Das britische Kolonialreich verstand er als interessantes Experiment in diese Richtung, ebenso beeindruckte ihn die Lösung des Nationalitätenproblems in der Sowjetunion. In den USA sah der Historiker schließlich das Land der Zukunft verwirklicht. Der US-amerikanische Nationalismus basierte nicht auf der US-amerikanischen Geschichte. Die Vereinigten Staaten stellten die Heimat von Bürgern verschiedener Herkunft dar. Diese Bürger würden sich laut Kohn nicht durch Assimilation oder die Dominanz der amerikanischen Kultur und Sprache auszeichnen, sondern durch die Bereitschaft, sich selbst zu entwurzeln.

Akkulturation und Assimilation

Auch der nachfolgende Vortrag Michael Enderleins behandelte die Person Hans Kohns und zeigte auf, wie dessen universalistisches Konzept, die junge Generation der jüdischen Intelligenz geprägt hat. Letztere verstand sich im Gegensatz zu der Elterngeneration als antimodern und antikapitalistisch, war neoromantisch und rückwärtsgewandt. Die jungen Intellektuellen äußerten Kultur- und Fortschrittskritik und beklagten darüber hinaus die Selbsttäuschung und Lebenstugend ihrer Eltern. Deren Bemühung um Akkulturation sei sinnlos und die Assimilation nicht möglich.
Man begab sich auf die Suche nach einer kollektiven Identität und Einigkeit, um das Leben in der Diaspora zu überwinden. Man legte diesem Streben Kohns universalistisches Konzept zugrunde und pochte auf eine diesseitige Erlösung, auf eine innerweltliche politische Handlung. Das Judentum habe eine leidvolle Geschichte und Gegenwart erfahren, es lebte in der Diaspora wie eine zerrissene und verloren Herde. Eine Erlösung sah man im messianischen Reich, das gegenwärtige Hoffnungen auch gegenwärtig wahr werden lassen sollte.

Der Zionismus und die Bedrohung des Nationalsozialismus

Die Sektion schloss mit einem Vortrag von Prof. Dr. Christian Wiese über Robert Weltschs Deutung des Zionismus angesichts der Bedrohung der Juden durch das national-sozialistische Deutschland. Anfang der 1930er-Jahre glaubte der Journalist noch an die Möglichkeit eines Dialogs mit den Nazis. Er versuchte den Juden, die ab 1933 zunehmend Verfolgung und Terror ausgesetzt waren, Mut zuzusprechen. Er forderte sie auf, den Judenstern nicht als Stigmatisierung, sondern als Ehrenabzeichen zu verstehen. Dass die Assimilation in den 1920er-Jahren gescheitert war, erklärte er mit der gerechtfertigten Wahrnehmung der Juden als Fremdkörper – es gebe eine jüdische Sonderart, zu der die Juden würdevoll stehen müssten. Für diese Stellungnahmen wurde Welsch nicht zuletzt massiver Kritik von Hanna Ahrendt ausgesetzt. Sie warf ihm ein Einverständnis mit der deutschen Politik und eine Mitverantwortung vor. Er distanzierte sich später von solchen Äußerungen.

Weltsch wurde sich bewusst darüber, dass der Nationalismus als schöpferisch geistige, aber auch als zerstörerische Macht fungieren konnte. Daher warnte er vor einer zu schnellen Massenimmigration der Juden nach Palästina. Er gehörte innerhalb der zionistischen Bewegung der Strömung an, die eine friedliche Koexistenz von Juden und Arabern in Palästina forderten. Der Journalist sprach sich dafür aus, dass die Juden Palästina als moralisch legitimierte Gemeinschaft betreten und die Rechte der Araber wahren sollten. Den Nationalismus der Nationalsozialisten, der nicht nur einen ethnisch-partikularistischen, sondern auch einen zerstörerischen Charakter hatte, sah er als Negativbeispiel. Seine zentrale Schlagwörter waren ebenso wie die Kohns Transnationalismus und Universalismus – kurz: Grenzüberwindung.

Zusammenfassung

Auch wenn der Zionismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als der bessere Nationalismus gegenüber der Nationalstaatsideen der mittel- und osteuropäischen Moderne erschienen sein mag, so scheiterten die universellen Versöhnungsutopien doch an der Realität dieser Zeit. Das Dilemma lag in der Verschärfung der deutschen Bedrohung und dem Bewusstsein, dass Palästina keine Masseneinwanderung vertragen konnte. Welsch fürchtete – wie der Lauf der Geschichte lehrte – nicht unberechtigter Weise bei der Ausrufung eines jüdischen Staates einen Krieg, den entweder die Juden verlieren würden oder die mit der völligen Vertreibung der Palästinenser enden könnte.

(Redaktion: CJ)