Bericht zum Panel „An den Grenzen des Nationalstaates. Staatsbürger und Staatenlose zwischen Heimatlosigkeit und Weltbürgertum”

von Elena Allendörfer

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„Der Verlust der Menschenrechte findet also nicht dann statt, wenn dieses oder jenes Recht, das gewöhnlich unter die Menschenrechte gezählt wird, verloren geht, sondern nur, wenn der Mensch den Standort in der Welt verliert, durch den allein er überhaupt Rechte haben kann und der die Bedingung dafür bildet, dass seine Meinungen Gewicht haben und seine Handlungen von Belang sind.”

(Foto Wikipedia: Hannah Arendt auf einer Briefmarke der Dauermarkenserie “Frauen der deutschen Geschichte”, Deutsche Bundespost Berlin 1988)

Bereits zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges beschäftigte sich die Philosophin Hannah Arendt (1906-1975), Verfasserin der obigen Worte und moralische Bezugsperson im Kommentar von Prof. Dr. Dieter Gosewinkels innerhalb der Sektion „An den Grenzen des Nationalstaates” mit der historischen Auswirkung von Gewalt auf die rechtliche Verfasstheit von Personen.

Staatlichkeit, Staatsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit

Trotz allem ist dieses Phänomen nicht ausschließlich Produkt des letzten Weltkrieges, sondern von gewaltsamen Auseinandersetzungen allgemein und bedarf daher der intensiven Auseinandersetzung in Rückbezug zur Entstehung von Staatlichkeit, Staatsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit. Dass diese Begriffe definitorisch nahe beieinander liegen und zweifelsohne Überlappungen aufweisen, scheint auf den ersten Blick natürlich. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Entstehung weitaus komplizierter, differenzierter und in stetiger Interaktion zur sich verändernden Umwelt stand und bis heute steht.

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Überwindung rechtsfreier Räume

Der Verlust der Staatsangehörigkeit, wie dies seit dem Ersten Weltkrieg und im wesentlichen während der nationalsozialistischen Diktatur in erheblichem Ausmaß geschehen ist, konfrontierte die internationale Staatengemeinschaft mit einem Problem, dem sie selbst lange Zeit versucht hatte entgegenzuwirken. Insbesondere in der Frage der Bürgerpflichten, wie der Wehrpflicht, stellte sich die Frage, welchem Staat ein Bürger nun zugehörig sein sollte (Andreas Fahrmeir). Zur Überwindung der offensichtlichen rechtsfreien Räume mussten daher neue Regelungen gefunden werden. Gleichzeitig zeigte sich in der Praxis, dass Ausbürgerung und Abschiebung darüber hinaus regelmäßig durchgeführt wurden.

Schicksal von Individuen

Für das Individuum war die radikale Form der Exklusion einerseits Strafe in öffentlicher wie in privater Hinsicht. Im ersten Falle erscheint der Entzug, dieses uns heute vollkommen selbstverständlichen Rechts, als die drastischste Form staatlichen Zugriffs über jegliche Persönlichkeitsrechte hinweg, im zweiten steht das Schicksal von Individuen und Familien, denen nicht nur umgangssprachlich „der Boden unter den Füßen weggezogen” wurde, im Vordergrund. Daneben spielte auch die Frage der willentlichen Ausbürgerung eine besondere Rolle (Kirsten Heinsohn), in denen Personengruppen bewusst ihre nationale Herkunft negieren, um eine neue Identität anzunehmen.

Abwendung von der eigenen Nation/Staatsangehörigkeit

Zu ihnen gehörte auch die Deutsch-Jüdin Eva Reichmann-Jungmann, welche als Konsequenz des Holocaust die „emanzipierte” Form der Staatsangehörigkeit in der Diaspora lebte. Ihre Lebensphilosophie war dabei so national entfremdet, dass sie als Exponentin eines Kosmopolitismus gewertet werden kann, der jegliche Form von staatsbürgerlicher Zuschreibung von sich warf. Dabei war ihre selbstgewählte Enklave London sowohl als Abwehrmechanismus zu ihrer deutschen Heimat als auch zu den in Palästina neusiedelnden Juden gedacht. Sie verwies darauf, dass ein In-der-Fremde-Sein auch als positive Erfahrung gesehen werden kann und keineswegs in die Zersetzung der jüdischen Kultur führen müsse. Damit wies sie jeglichen religiösen Rigorismus, den die zionistische Bewegung postulierte, von sich. Ihrer Meinung nach müsse die jüdische Gemeinde mit ihrem besonderen Erbe verantwortungsvoll umgehen, wobei die Erfahrung der Diaspora gleichsam als Aufgabe zu verstehen sei, die nicht in absolute Ideen abgleiten dürfte.

Neue Staatsbürgerschaftskonzepte

In diesem Spannungsfeld zwischen „Weltbürgertum und Heimatlosigkeit” bewegte sich auch der Vortrag von Dr. Miriam Rürup, welche die Veränderlichkeit nationaler Grenzen durch die Kriege des 20. Jahrhunderts nicht nur als Einschränkung von Freiheit, sondern als Chance neuer Staatsbürgerkonzepte thematisierte. Gleichzeitig beleuchtete sie auch die Kluft zwischen Handlungsbedarf und -willigkeit von Staaten, sich mit der Problematik zu befassen, was anhand der teils schwerfälligen Verabschiedung verbindlicher völkerrechtlicher Sätze im nationalstaatlichen Rahmen zu neuerlichen Komplikationen führte.

Konzept einer Welt-Nationen-Einheit

Der kosmopolitische Gedanke einer neuen Weltordnung, in der nationale Barrieren zusehend obsolet werden, war schließlich Thema des letzten Vortrags von Julia Kleinschmidt. Das „World Movement for World Federal Gouvernement” (WMWFG) gründete sich im Zuge neuer atomarer Technologien, deren Zerstörungskraft zum Gründungszeitpunkt 1947 nur allzu präsent waren. Dem gegenüber stellten die Aktivisten des WMWFG ihr radikal pazifistisches Konzept einer Welt-Nationen-Einheit, das sich verbindlich auf die Leitlinien von Menschen- und Freiheitsrechten gründen sollte. Als Motivation dahinter dürfte die Vermeidung einer neuerlichen Hegemonialstellung eines Staates gelten, dessen Machtstreben von vorneherein begrenzt werden sollte. Gleichsam impliziert dies auch die Abschaffung staatlicher Souveränität und damit eine Relativierung der Staatsbürgerschaft. Der Gedanke einer Weltgemeinschaft, in der Grenzen keine Rolle mehr spielen sollten, galt es zu verwirklichen.

Roma-Abschiebung als aktuelles Beispiel

In Anbetracht der aktuellen Lage der Thematik in Bezug auf die nicht mit EU-Recht konforme Abschiebung der Roma aus Frankreich trugen die Beiträge nicht nur historisch zu einer neuerlichen Befassung mit der Frage nach Staatsangehörigkeit, -zugehörigkeit und -bürgerschaft bei. Zudem zeigte die in der Diskussion aufgeworfene Diskrepanz in der Verwendung und Bestimmung der Begrifflichkeiten, dass es sich keinesfalls um einen abgeschlossenen Forschungsgegenstand handelt, sondern – im Gegenteil – auch in der Zukunft im Zusammenhang mit der fortschreitenden globalen Vernetzung, der asymmetrischen Kriegsführung und der Vorenthaltung von Menschenrechten in totalitären Regimen weiterhin von besonderer Bedeutung sein wird. Insofern geht es, um mit Hannah Arendt zu schließen, um „etwas viel Grundlegenderes als die in der Staatsbürgerschaft gesicherte Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz (…), wenn die Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft, in die man hineingeboren ist, nicht mehr selbstverständlich und die Nichtzugehörigkeit zu ihr keine Sache der Wahl ist”, um einen politischen Aktionsrahmen, deren „Grenzen” noch nicht abgesteckt sind.