Auf eine aktuelle Forschungsfrage von S. Bailer antwortet Marc Scheloske:
Die Erfahrung, dass man sich selbst im Traum überrascht, hat wohl jeder schon einmal gemacht. Man erwacht und stellt fest, dass man eben im Traum irgendeine Information parat hatte, von der man (im wachen Zustand) gar nicht ahnte, jemals davon gehört zu haben.
Die Schlußfolgerung, dass unser Wissen im Traum größer und umfassender wäre, als bei wachem Bewusstsein, ist allerdings sicher nicht korrekt. Dazu müssen wir uns kurz vergegenwärtigen, was wir in diesem Zusammenhang überhaupt unter Wissen verstehen wollen.
Wissen basiert ja im wesentlichen auf der Speicherung und Organisation von Informationen im Gedächtnis. Alles was wir erleben, sehen, hören und lernen ist zunächst einmal pure Information, mit der wir umgehen müssen. Die Frage dabei ist, wie wir die Informationen verarbeiten, abspeichern und dann später möglicherweise abrufen, also erinnern.
Psychologen und Hirnforscher unterscheiden zwischen explizitem und implizitem Gedächtnis. Das explizite Gedächtnis wird auch als “deklaratives Gedächtnis” bezeichnet und in dieser Bezeichnung wird noch klarer, was damit gemeint ist: es sind die Wissensinhalte, über die wir sprechen können, über die wir also bewusst verfügen. (Die Fachleute differenzieren hier natürlich noch weiter; v.a. in das semantische Gedächntis, also grob gesagt das Faktenwissen und das episodische Gedächtnis, was eigentlich alle autobiographischen Erlebnisse umfasst.)
Entscheidend bei der Frage, welche Informationen und Wahrnehmungen später als deklaratives Wissen zu Verfügung stehen, ist der Prozess der Informationsverarbeitung, der über viele (störanfällige) Etappen verläuft. Bereits bei der Informationsaufnahme ist mitentscheidend, ob wir in der Situation die notwendige Aufmerksamkeit haben und (sehr wichtig!), wie stark die Information an Emotionen geknüpft ist. Bei der Abspeicherung der Gedächtnisinhalte spielt es dann eine große Rolle, ob die neue Information sinnvoll in Zusammenhang mit bereits vorhandenem Wissen gebracht werden kann und schließlich sollte im günstigsten Fall eine Konsolidierung (also Wiederholung) der Gedächtnisrepräsentation erfolgen.
Und zusätzlich zu all diesen Faktoren ist für erfolgreiches Erinnern die Verfügbarkeit passender Abrufreize notwendig. Damit sind wir nun wieder bei der Ausgangsfrage angelangt: ja, es kommt vor, dass wir uns in Traumsituationen an Dinge erinnern und auch über bestimmtes Faktenwissen verfügen, was ohne weiteres im wachen Zustand nicht möglich gewesen wäre.
Das liegt – so darf man annehmen – schlicht daran, dass im Traum ein (möglicherweise emotionaler) Abrufreiz aktiviert wurde, der dann dieses “verborgene” Wissen zu Tage förderte. Unter geeigneten Bedingungen wäre es aber garantiert auch möglich gewesen, dass wir uns im wachen Zustand an die jeweilige Information erinnert hätten. Sie war wohl nur nicht “optimal” genug verknüpft und abgelegt.
» Marc Scheloske ist Wissenschaftssoziologe und Redakteur von ScienceBlogs |
Letzte Kommentare