In dem schmalen Büro des Biologen Pavel Tomančák herrscht ein gepflegtes Durcheinander. Auf dem Kühlschrank, den er zum Abtauen geleert hat, steht eine beachtliche Pils-Kollektion. Ein Hinweis, dass der gebürtige Tscheche durchaus von dieser Welt ist – obwohl er ziemlich abgehobene Forschung betreibt: Er stellt dreidimensional und im zeitlichen Ablauf dar, wie die Gene von Fruchtfliegen die Entwicklung von der Eizelle bis zur Larve steuern.

Dafür war ein schlaues Programm nötig, mit dem sich Unmengen an Bilddaten auf Knopfdruck in 3-D-Animationen verwandeln lassen. Aber Biologen sind keine Programmierer, Computerspezialisten hingegen interessieren sich kaum für biologische Vorgänge.

Also musste Pavel Tomančák eine Brücke zwischen den beiden so unterschiedlichen Welten schlagen. Er ist geradezu darauf angewiesen, Nichtbiologen zu verklickern, was er tut und was er will.

Aber wie erklärt er das jetzt einem Laien wie mir? “Ich musste den Informatikern eine Herausforderung bieten”, sagt Tomančák. Auf Englisch, wie die ganze internationale Forschergemeinschaft hier am Dresdner Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik, wo er eine Forschungsgruppe leitet. Was tat Tomančák? Gemeinsam mit dem Zürcher Biologen Albert Cardona und dem Mathematiker Johannes Schindelin rief er das Projekt “Fiji” ins Leben: Ein “Open Source”-Programm, dessen Quellcode jederzeit von jedem verändert werden kann und mit dem viele Wissenschaftler rund um den Globus arbeiten. “Dann haben wir alle Leute, die sich damit befassten, zwei Wochen lang eingesperrt und ihnen genug zu essen gegeben, damit sie untereinander kommunizierten.”

Das war vor zwei Jahren. Seither fanden solche Sitzungen, “Hackathon” genannt, alle sechs Monate an angenehmen, aber ablenkungsfreien Orten statt – und jedes Mal wurde die Anwendung weiter verfeinert. Tomančák warb Informatik-Studenten an, die bereit waren, sich in die biologischen Fragestellungen einarbeiteten, und Biologen, die mit Algorithmen zu hantieren wissen. Im Mai dieses Jahres hat die Fachzeitschrift “Nature Methods” ein Ergebnis dieser Arbeit veröffentlicht: Ein “Plug-in”, das es jedem ermöglicht, Massen von Bilddaten in Filme umzuwandeln. Über 10.000 Anwender haben über Fiji jetzt unmittelbar Zugriff darauf. “Es lässt sich in vielen Bereichen der Wissenschaft, in denen Bilder analysiert und zusammengefügt werden müssen, einsetzen, von Medizin bis Astronomie”, sagt Pavel Tomančák.

So viel habe ich verstanden. Und bin wieder einmal beeindruckt, welche neuen Möglichkeiten die elektronische Datenverarbeitung der Biologie eröffnet hat. Die Genom-Entschlüsselung hat den Anstoß gegeben. Die Geschwindigkeit, mit der die DNA-Sequenzen vollautomatisch ausbuchstabiert werden, hat sich vervielfacht. Inzwischen sind Bilder und ihre Verarbeitung das “heiße Thema”.

Als krönenden Abschluss des Gesprächs spielt der Wissenschaftler mir mit sichtlicher Begeisterung vor, wozu der ganze Aufwand letztlich dient: den Film über die Entwicklung des Fruchtfliegenembryos.

Zunächst ist da nur ein schwarzes, länglich eiförmiges Etwas mit ein paar hellen Punkten. Das sind die mit einem fluoreszierenden Protein-“Fähnchen” markierten Gene. Binnen weniger Sekunden vermehren sich die Leuchtpunkte und wandern wie von Zauberhand geführt an der Oberfläche umher, bis sich eine Larve mit erkennbarem Kopfende, einer Art Rückgrat und regelmäßig eingeschnittenen Segmenten gebildet hat.
Wer das mit eigenen Augen sehen will: Der Film ist auf dieser Website zu betrachten.

Aber wie kommt die Fruchtfliegenlarve zum Film? Und wozu dient das Ganze? Mal sehen, ob die Mitarbeiter der Tomančák-Gruppe mir das in den nächsten Tagen erklären können. Aber jetzt schauen sie erst einmal Fußball-WM. Dafür haben sie sogar ein wichtiges Seminar verschoben: “Daran kannst du sehen, dass Wissenschaftler richtige Menschen sind.”

Kommentare (8)

  1. #1 Florian
    Juni 14, 2010

    schoen. bin gespannt auf mehr!

  2. #2 rolak
    Juni 14, 2010

    Willkommen!

    Das ist mal wieder ein schönes Beispiel für gesundes SW-development…

  3. #3 Alexander
    Juni 14, 2010

    Oh, ich freu mich auf mehr!

  4. #4 Redfox
    Juni 15, 2010

    Es ist ja schön das es hier einen neuen Gastblog gibt (Willkommen! Ist das Foto vom letzten Halloween? 😉 ) aber musste man dafür den Link zum Labortagebuch löschen?

  5. #5 Marc Scheloske
    Juni 15, 2010

    @redfox:

    Nö, es gibt prinzipiell genug Platz in der Seitenleiste, aber das Labortagebuch ist ja eben abgeschlossen, deshalb habe ich den Link rausgenommen. Wenn Du willst, setze ich den aber auch wieder rein.

  6. #6 Georg Hoffmann
    Juni 15, 2010

    Willkommen auch von mir. Georg

  7. #7 Rainer
    Juni 15, 2010

    Schön, dass es nur ne Pils-Kollektion ist, so ist wenigstens noch Roto Reserva im Haus.
    Gruß Rainer

  8. #8 rinaldo nonpescador
    Juni 16, 2010

    Auch Weisso Reserva ist noch da. Sogar Wittmann. Solange die Fruchfliegen nicht darüber herfallen.