Ronald Naumann verfüttert in seinem Labor häufig Sekt und Schokolade. Nicht an die Mäuse, sondern an die Damen, die so geschickt mit den Mäusen umgehen. Denn der Leiter der “Transgenic Core Facility” will, dass es seinen Mitarbeiterinnen gut geht. Warum? Damit es den Mäusen gut geht.
Es ist 21 Uhr am Freitagabend. Ronald Naumann erzählt die Anekdote mit dem Sekt und der Schokolade bereits zum vierten Mal und wird sie bis zum Ende der Dresdner Langen Nacht der Wissenschaften wohl noch drei Mal erzählen.
Ich kann fast nicht glauben, wie viele Menschen sich aufgemacht haben, um von sechs Uhr abends bis um eins in der Früh Forschern über die Schulter zu schauen. Vier Dresdner Hochschulen und 32 Wissenschaftseinrichtungen, von bildender Kunst bis Physik komplexer Systeme, machen mit. Allein am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik wird Öffentlichkeitsreferent Florian Frisch am Ende des Abends rund 1.200 Mal auf den Besucherzählknopf gedrückt haben.
Aber noch mehr als die schiere Zahl der Herbeiströmenden frappiert mich, mit welcher Ernsthaftigkeit und Ausdauer sie sich auf das Dargebotene einlassen. Egal ob Halbwüchsige im Schlepptau ihrer Eltern, ob Pubertierende oder Studierende, verliebte Pärchen in voller Ausgehmontur, Mittvierziger mit Dreitagebart oder ältere Damen mit dezentem Goldschmuck – niemand meckert, alle sind neugierig.
Die Lange Nacht gibt mir Gelegenheit, meine Feldforschung zum Thema “Wie gut können Wissenschaftler Laien erklären, was sie forschen?” voran zu treiben.
Ronald Naumann kann es gut. Den Versuch, sich zwischen zwei Präsentationen mit einer längst erkalteten Bratwurst zu stärken, hat er nach wenigen Bissen abgebrochen, weil sich das Labor nach Abzug des vorherigen Publikums flugs mit neuem gefüllt hat. Die Kinder sitzen auf dem Boden, die Großen haben sich vorsichtig zwischen die mit Mikroskopen, Flaschen und Stromkabel vollgestellten Tische drapiert. Und alle hängen an Naumanns Lippen, während der temperamentvoll die nächste Mausshow abzieht.
Ist sie nicht süß?
Zugegeben, mit Powerpoint-Fotos von niedlichen Nagern lässt sich auch das wissenschaftlich unbedarfteste Auditorium erst einmal leicht einfangen. Ebenso mit Geschichten darüber, wie man es anstellt, dass Mäusebabys, die von der Mutter im Stich gelassen wurden, doch noch gesäugt werden: Man drückt das Weibchen gerade so stark, bis es vor Stress uriniert und imprägniert dann die Kleinen mit ein paar Tropfen dieses Erkennungs-Parfüms. Gut kommt auch an, wie man Mäuseweibchen scheinschwanger macht: Man setzt einen – zuvor sterilisierten – Mäusebock in den Käfig, der den nahenden Eisprung erschnuppert und sogleich seinem Trieb folgt; nach vollzogener Begattung sondert der Bock eine Flüssigkeit ab, die wie Wachs erstarrt und in freier Wildbahn das Weibchen gegen Begattungsversuche von Konkurrenten gleichsam versiegelt.
Der studierte Agrarwissenschaftler Ronald Naumann schlägt seine Zuhörerschaft jedoch auch dann noch mühelos in Bann, wenn er zum anspruchsvollen Teil kommt, der Herstellung transgener Tiere. Das sind hier meist “Knockout”-Mäuse, denen ein bestimmtes Gen fehlt, sodass Grundlagenforscher untersuchen können, was dieser Abschnitt der Erbinformation normalerweise bewirkt. Das “Ausknocken”, so einfach es klingt, ist ein höchst umständliches und kompliziertes Verfahren, das fixe Finger erfordert – und eben Sekt und Schokolade, um die dazugehörigen Mitarbeiterinnen bei der Stange zu halten.
Das (unvollständige) Transgenic Core Team
Geht nur mit Übung und viel Schokolade: 70 Tausendstel
Millimeter misst die Eizelle, die hier gerade durch eine
Mikroinjektionsnadel mit Stammzellen “beladen” wird. Die
Pipette links dient nur zum Festhalten.
Um ein “Knockout”-Tier herzustellen, müssen sie embryonale Stammzellen mit einer defekten Variante des fraglichen Gens versehen. Allerdings bauen nur sehr wenige der so behandelten Stammzellen das defekte Gen auch wirklich in ihre Erbsubstanz ein. Welche es eingebaut haben, lässt sich dank zusätzlich eingebauter Merkmale wie Antibiotikaresistenz feststellen.
Dann müssen die Assistentinnen befruchtete Eizellen aus den winzigen Maus-Eileitern herauspräparieren. Die Eizellen dienen dazu, embryonale Stammzellen aufzunehmen. Diese Stammzell-Transporter werden scheinschwangeren Mäuseweibchen eingepflanzt. Die Leihmütter bringen Chimären zur Welt, also Mischwesen, die teils aus normalen, teils aus genetisch veränderten Zellen bestehen. Durch gezielte Kreuzung lassen sich schließlich Tiere erzeugen, denen das fragliche Gen in sämtlichen Körperzellen fehlt.
Hoffentlich habe ich das alles richtig verstanden und wiedergegeben.
Das Publikum jedenfalls hat keine Fragen mehr. Und zieht weiter, unermüdlich: In den Keller, wo sich selbst zur letzten Demonstration des Elektronenmikroskops um 23 Uhr nochmals die maximal zugelassenen 15 Interessierten sammeln. Oder zur Axolotl-Station, wo neben gestandenen Max-Planck-Mitarbeitern auch der siebzehnjährige Gymnasiast und Praktikant Jan sachkundig Fragen zur Regenerationsfähigkeit des mexikanischen Wunderlurches beantwortet.
Dresden schmückt sich mit dem Slogan “Wissenschaftsstadt”. Allem Anschein nach zu Recht.
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