Mein Eintrag über die Fruchtfliegen war eigentlich nur die halbe Geschichte. Dass die Insekten bei ihrer Embryonalentwicklung gefilmt werden, ist sozusagen nur Mittel zum Zweck. Worauf zielt also das Ganze ab?
“Fruchtfliegen haben insgesamt rund 14.000 Gene”, erklärt mir Pavel Tomančák. Die Pils-Kollektion hat er übrigens längst wieder in den Kühlschrank zurück geräumt. “Wir wollen von jedem einzelnen genau erfassen, wann es aktiv ist, und zwar von der ersten Zellteilung an bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Larve fertig ist.”
In Wirklichkeit gestaltet sich dieses ehrgeizige Unternehmen natürlich weit komplizierter als dieser schlichte Satz vermuten lässt. Ich versuche zu vereinfachen. Die Gene, die in einem beliebigen Stadium gerade angeschaltet sind, findet man auf unterschiedlichen Wegen. Einmal mit winzigen Genchips, Microarrays genannt. Damit lässt sich für jedes der 14.000 Gene ermitteln, wie viel davon sich in welchem Zustand befindet. Mit einer weiteren Methode, die Pavel während seiner Wanderjahre als Post-Doc entwickelt hat, können die Wissenschaftler mithilfe von Gen-Sonden unter dem Mikroskop sichtbar machen, in welchem Teil des Embryos das jeweilige Gen angeschaltet ist. Und zwar für jeweils rund 400 Gene gleichzeitig. Automaten erledigen die dafür notwendigen Serien von Experimenten, präzise und ohne dass es ihnen fad wird.
Der Clou an dem Ganzen ist aber die dritte Methode: Sie besteht darin, eigens von Pavels Gruppe entwickelte fluoreszierende “Reportermoleküle” exakt nur an ein bestimmtes aktives Gen anzuhängen, die unter dem Mikroskop als Leuchtpunkte sichtbar werden und so “live” vom Geschehen in der Zelle berichten, über den ganzen Zeitverlauf von 24 Stunden hinweg, den die Entwicklung vom Ei bis zur Larve dauert. Das sind die Filme, von denen die Rede war. Allerdings können die Forscher immer nur ein Gen zur Zeit aufnehmen. Daher wird die Vollendung dieses Werks sich noch Jahre hinziehen.
Trotz Automation geht den Menschen also die Arbeit nicht aus: Pavels Mitarbeiter Radek Ejsmont zum Beispiel produziert immer neue spezifische Reportermoleküle und pflanzt die damit markierten Gene in die Zellen ein. Stephan Preibisch und Michael Weber fertigen mit viel Geduld die mikroskopischen Aufnahmen an.
Schließlich baut Pavels Gruppe mit Mihail Sarov von der “TransgeneOmics Facility” eine Datenbank auf, in der sie die gesammelten Erkenntnisse einsortiert. Am Ende soll dieser elektronische Katalog für jedes der 14.000 Gene eine Videosequenz enthalten, die für jeden beliebigen Zeitpunkt zeigt, in welchen Zellen des heranwachsenden Fruchtfliegenembryos das fragliche Gen gerade aktiv oder vorübergehend stillgelegt ist. Die Datenbank steht allen Wissenschaftlern offen, die ein bestimmtes Gen studieren und verfolgen wollen. Sie dürfen online wünschen, welche Gene die Dresdner Gruppe ganz dringend als nächstes analysieren soll.
Damit nicht genug. Das Projekt hat auch noch ein Fernziel. Die Genexpression, also das Aktivitätsmuster der Gene, verändert sich im Verlauf der Evolution. Diese Veränderungen sind neben den Mutationen ein Grund dafür, dass neue Arten entstehen. Tomančák und seine Gruppe nehmen einen kleinen Ausschnitt dieses großen Geschehens unter die Lupe: “Wir wollen die Gen-Aktivitätsmuster verschiedener Arten von Fruchtfliegen vergleichen und die Unterschiede in Bezug setzen zum äußeren Erscheinungsbild der Tiere.”
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