Als ausgewachsene Wesen wissen wir im Allgemeinen, wo vorn und wo hinten ist. Aber woher wusste das die Eizelle, aus der wir entstanden sind?
Bei dem Fadenwurm mit dem stilvollen Namen Caenorhabditis elegans verläuft bereits die allererste Teilung der befruchteten Eizelle asymmetrisch. Die eine der beiden neu entstandenen Tochterzellen entwickelt sich später zum Kopfende, aus der anderen wächst das Schwanzende heran.
Der Physiker Stephan Grill hat gemeinsam mit Kollegen seines Fachgebietes und Biologen die Mechanik dieses Vorganges aufgeklärt. Grill hat einen Fuß im Max-Planck-Institut für die Physik komplexer Systeme, mit dem anderen steht er beim Schwesterinstitut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden.
Wie kommt die Asymmetrie zustande? Möglich wird das durch eine Art Netzstrumpf, der direkt unter der äußeren Umhüllung liegt und die gesamte Oberfläche der Zelle überzieht. Anders als ein echter Strumpf kann er sich aus eigener Kraft verformen. Er besteht nämlich aus zellulären “Muskelfasern”. Das sind aus Proteinen aufgebaute Fäden, die sich zusammenziehen können. Dadurch gerät der ganze Netzstrumpf gleichsam ins Fließen. Und das bewirkt, dass bestimmte Proteine an ihren Zielort gelangen.
Wie das geht, welche Kräfte wo ansetzen, war bislang unklar. Stephan Grill und sein Team schnitten mit einem eigens dafür entwickelten Laser in Eizellen hinein, während diese sich gerade zur Teilung anschickten. Diese winzigen Schnitte erfolgten mal am einen, mal am anderen Ende der baseballförmigen Zellen, mal in Längsrichtung und mal quer. Dann maßen die Wissenschaftler jeweils die Spannung der Muskelfäden an der Schnittstelle. Das ist ungefähr so, als würde man ein gespanntes Gummiband zerschneiden und an den entstehenden Enden einen Kraftmesser befestigen.
Das Ergebnis, ab sofort im Wissenschaftsjournal “Nature” nachzulesen: Die Spannung fällt ganz unterschiedlich aus, je nachdem, wo die Forscher schneiden und messen. Für die weitere Erklärung müssen wir die Netzstrumpf-Analogie erweitern. Das Netz aus muskelartigen Fasern verhält sich nämlich wie ein “aktives viskoses Fluid”, sagt der Physiker Grill, und findet dafür eine auch Laien verständliche Umschreibung: Es ist einem dünnen Film aus Honig vergleichbar, der sich an bestimmten Stellen spontan anspannt und dadurch gezielt eine Strömung erzeugt. Am hinteren Ende, wo das Netz lockerer wird, ist die Strömungsgeschwindigkeit höher. “Ein seltsamer Honig”, gibt Stephan Grill zu: einer mit innewohnenden Kräften.
“Solche biologischen Vorgänge sind allein durch Beobachten nicht zu erklären”, sagt er. Der Physiker betrachtet die Zelle als kleine Fabrik, in der unzählige mechanische Vorgänge ablaufen: “Wie koordinieren die das? Wie schaffen die das, alle an einem Strang zu ziehen? Das sind Fragen, die uns in den nächsten Jahrzehnten beschäftigen.”
Kommentare (8)