Da anlässlich der heutigen Bundespräsidentschaftswahlen in Österreich wieder einmal die üblichen mahnenden Appelle und Aufrufe zur Wahrnehmung der demokratischen Rechte in Form der aktiven Beteiligung an der Wahl über das Land hereinbrechen, möchte ich gerne einen bescheidene kleine Anmerkung machen:
Warum das? Nun, nach seinen Motiven für die Beteiligung an der Wahl
befragt, antwortet fast jeder Urnengänger, er würde seinem Kandidaten
bzw. seiner Kandidatin zum Sieg verhelfen wollen. Diese Antwort klingt
so selbstverständlich und logisch, dass sie so gut wie nie hinterfragt
wird. Doch einer kritischen Betrachtung hält sie nicht stand. Denn eine
simple Kosten-Nutzen Abwägung ergibt folgendes:
Der zusätzliche Nutzen B, der für mich aus meinem Wahlakt resultiert,
tritt nur dann ein, wenn meine Stimme den Wahlausgang umdreht. Die
Wahrscheinlichkeit P, dass das der Fall ist, ist selbst in einem kleinen
Land wie Österreich so gut wie null, sobald die Wahlbeteiligung 0,1%
übersteigt. Dem gegenüber stehen Kosten C, die dadurch entstehen, dass
man zum Wahllokal marschieren und eventuell sogar Schlange stehen muss,
was wertvolle sonntägliche Freizeit kostet. Selbst wenn diese Kosten
sehr niedrig veranschlagt werden, liegen sie bei plausibler Abschätzung
immer noch um Größenordnungen über dem erwarteten Zusatznutzen. Kurz
gesagt, für meinen Nettonutzen U, wenn ich wählen gehe, gilt
Da dieser Nettonutzen negativ ist, werde ich als rationaler
wahlberechtigter Bürger den Gang zur Wahlurne also tunlichst
unterlassen. Deshalb sitze ich jetzt auch am Laptop, während halb
Österreich sich ins Sonntagsgewand zwängt. Ich gehe nämlich nicht
wählen.
Verstehen Sie das nicht falsch. Erstens: Die obige Rechnung beruht nicht
auf der Annahme, dass alle Menschen “egoistisch” handeln. Rationalität
heißt nur, konsistente Präferenzen zu haben und gemäß diesen Präferenzen
zu handlen. Zweitens: Dies ist kein Aufruf zum Wahlboykott – die
Betrachtung gilt ceteris paribus für jeden einzelnen Wahlberechtigten,
nicht aber für das Kollektiv. Die häufig gehörte kopfschüttelnde
Reaktion in Form des Einwands “Was, wenn alle so denken?!?“
lässt sich ganz einfach beantworten: Dann steigt P stark an und U wird
positiv, wählen gehen wäre dann aus individueller Sicht also wieder
rational. Aber der Einwand ist schlicht unberechtigt, denn es denken
eben nicht alle so!
Die ganze Geschichte habe ich mir natürlich nicht selbst
zusammengereimt. Tatsächlich handelt es sich um ein kleines schmutziges
Geheimnis der Wirtschaftswissenschaften. Dort ist es als Wahlparadoxon
bekannt und die Hintergründe kann man z.B.
hier nachlesen.
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